San Francisco/New York (dpa/tmn). Wer auf dem Lincoln Highway durch die USA fährt, hat am Ende über 3000 Meilen auf der Uhr. Genau die richtige Strecke für eine Mercedes S-Klasse. Erst recht, wenn sie gerade ihren 50. Geburtstag feiert.

Von Osten nach Westen, von San Francisco nach New York: Zum 50. Geburtstag der ersten auch so genannten S-Klasse von Mercedes gehen wir im W 116 auf große Fahrt. Der Weg führt über den Lincoln Highway, benannt nach dem 16. Präsidenten der USA, so passt der staatstragende Testwagen.

Schließlich war die zwischen 1972 und 1980 in 473 035 Exemplaren gebaute Luxuslimousine nicht nur erste Wahl für Kanzler, Könige und Konzernbosse, sondern auch der Liebling der amerikanischen Elite.

In der S-Klasse Richtung Osten

Der Weg führt durch 14 Bundesstaaten über mehr als 3300 Meilen und ist in den nächsten Tagen die Richtschnur für den blauen 450 SEL, der der blaue 450 SEL, der dem Mercedes Classic Center USA gehört

Der W 116 debütierte im Oktober 1972 auf dem Pariser Autosalon. Lange bevor es bei BMW einen 7er und bei Audi einen A8 gab, war der schnörkellose und trotz seiner 4,96 Meter heute vergleichsweise filigrane Luxusliner das erste und einzige Auto aus Deutschland, das in Ruhm und Prestige an Bentley und Rolls-Royce heranreichen konnte.

Das beste Auto der Welt - jubelte die Presse

Und er galt den Briten technisch dabei haushoch überlegen: Die Presse jubelte bei der Premiere über „das beste Auto der Welt“ und so, wie alle Taschentücher irgendwie Tempos sind und alle Kleber Uhu, gilt die „S-Klasse“ heute laut Mercedes-Sprecher Peter Becker „international als Synonym für Autos der Ober- und Luxusklasse.“

Unser Reisegefährt wurde 1979 ausgeliefert und hat mittlerweile fast 400 000 Kilometer auf der Uhr. Dass es trotzdem aussieht fast wie am ersten Tag, liegt nicht allein am guten Wetter und der liebevollen Pflege. Sondern es liegt an einem Qualitätsanspruch, der damals noch unumstößlich war, sagt Mercedes-Spezialist Andreas Ignaz: „Dieser Benz ist eine Burg und durch nicht zu erschüttern.“

Bequem und luxuriös - so lässt es sich fahren

Die alte S-Klasse ist nicht nur ein Riese mit bequemen Sesseln in der ersten Reihe und einem Wohnzimmer tauglichen Sofa im Fond, erst recht in der um zehn Zentimeter gestreckten US-Version. Sondern der 116er ist mit allem ausgestattet, was damals gut war. Und teuer.

Schließlich kostete schon das Basismodell laut der Mercedes-Benz Interessengemeinschaft (MBIG) 23 809 D-Mark. Und wie immer bei Mercedes war da nach oben noch viel Luft - bis zum Top-Modell 450 SEL 6.9, das zum Ende der Karriere für 81 247 D-Mark verkauft wurde.

Dafür aber scheint jetzt auf dem Weg nach Osten durch Kalifornien und Nevada morgens noch die Sonne durchs elektrische Schiebedach, während ab Mittag die Klimaautomatik die aufsteigende Gluthitze aussperrt. Die Türen schließen zentral und die Fenster arbeiten elektrisch.

Die Leistung ist da - doch Rasen ist nicht das Ziel

Dass die ganze Technik ein bisschen Leistung kostet und die dünne Luft später auf dem Weg über die Rocky Mountains in Utah bei mehr als 2000 Metern Seehöhe auch nicht eben hilfreich ist, tut der Fahrt keinen Abbruch. Erstens sind mehr als 80 Meilen in der Stunde hier ohnehin nirgends erlaubt. Und zweitens gibt's hier genug Leistung.

Der Motor arbeitet souverän und unaufdringlich - ein klassischer V8. Mit hier 165 kW/225 PS und 375 Nm Drehmoment schreitet die S-Klasse großzügig aus und vor riesiger Panoramascheibe ziehen in schneller Folge Wyoming, Nebraska und Iowa vorbei. Früher, da hatte es das Flaggschiff richtig eilig, konnte in 9,9 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 beschleunigen und der Vortrieb endete erst bei 210 km/h.

Doch hier und heute lautet das Motto „reisen, nicht rasen“. Denn der originale Lincoln Highway hat noch nichts zu tun mit den schnurgeraden Interstates, die sich breit wie Flugzeug-Landebahnen mit acht Spuren durchs Land ziehen und sich jede Kurve verkneifen.

Durch mehrere Bundesstaaten und Zeitzonen

Stattdessen führt die Strecke durch Illinois und Indiana. Und wenn gerade mal wieder ein Mittelgebirge die endlosen Korn- und Maisfelder unterbricht, dann gibt es sogar reichlich Kurven. In denen erweist sich der 116er als überraschend handlich für ein Fahrzeug dieses Formats und hat einen angenehm kleinen Wendekreis.

So geht es Tag für Tag von einem Bundesstaat in den nächsten durch mehrere Zeitzonen ein wenig weiter nach Osten. Vier Tage später taucht mit die Chicago die erste große Stadt auf. Doch genau wie der Lincoln Highway macht auch der Mercedes einen Bogen um die Metropole und rollt stur weiter Richtung New York. Auch Washington bleibt rechts liegen. Zum Gipfeltreffen zwischen der staatstragenden Limo und dem präsidialen Taufpaten kommt es dennoch immer wieder: Überall wie etwa in Dixon, Illinois, stehen seine Statuen.

Letztes Etappenziel vor dem Endspurt nach Manhattan ist Pittsburgh, wo der Klassiker der rostigen Iron-City beim Schaulaufen in der Rushhour mühelos die Schau stiehlt. Denn während die Hütten, Walzwerke und Stahlfabriken am Allegheny und Monongahela River ihre besten Zeiten längst hinter sich haben, ist der 116er noch immer auf der Höhe und rollt durch Siedlungen, in denen manche Häuser weniger Platz und weniger Komfort zu haben scheinen als dieses Auto.

Später führt Lincoln Highway vorbei an Gettysburg und dann durch den dichter werdenden Verkehr an den Ausläufern Philadelphias vorbei auf den Hudson zu. Angesichts des nahenden Abschied macht sich eine gewisse Melancholie breit. Doch beim ersten Blick auf Manhattans Wolkenkratzer ist der Trübsinn wie weggeblasen. Diese Skyline verträgt keine schlechte Laune, erst recht nicht bei Sonnenuntergang.