Tobias Schüfer über das Nachdenken am Palmsonntag

Am Anfang hatten sie noch alle gejubelt. Na gut, nicht wirklich alle, aber fast alle. Sie hatten von ihm gehört, sein Ruf war ihm vorausgeeilt. Nun, am Palmsonntag, zieht dieser Jesus in Jerusalem ein. Auf einem Esel, eher unspektakulär. Und trotzdem strömen die Massen zu ihm, stellen sich am Straßenrand auf. Dann, als er kommt, jubeln sie ihm zu, winken mit Palmenzweigen, laufen ihm nach: „Hurra! Endlich ist er da. Mit ihm wird alles besser!“

Und was sie nicht alles erwarten: Der wird die Römer rauswerfen, die unbeliebte Besatzungsmacht. Für Recht wird er sorgen, aufräumen bei denen da oben, die Inflation bremsen, Mietpreise deckeln, die Heizungskosten zurückdrehen, am besten wird er machen, dass es wieder so wird wie früher…

Tobias Schüfer ist Regionalbischof im Sprengel Erfurt der evangelisch-lutherischen Kirche in Mitteldeutschland.
Tobias Schüfer ist Regionalbischof im Sprengel Erfurt der evangelisch-lutherischen Kirche in Mitteldeutschland. © Privat | Privat

Die Begeisterung hält nicht lange an. Bald kippt die Stimmung. Beim nächsten Massenauflauf am Karfreitag, da rufen sie ganz anders. Ähnlich laut, doch im Tonfall aggressiv. Unter denen, die jetzt so anders rufen, sind viele, die ihm eben noch zugejubelt hatten. Aus dem euphorischen „Ja“ ist längst das gebrüllte „Nein“ geworden. Nun fordern sie lauthals sein Ende. Weil er zu viele Erwartungen enttäuscht hat! Bei unerfüllter Erwartung kippt die Stimmung.

Doch es wenden sich nicht alle von ihm ab. Einige bleiben bei ihm oder zumindest in seiner Nähe. Auch sie waren irgendwie enttäuscht. Auch sie hatten sich das ganze irgendwie anders vorgestellt. Und trotzdem halten sie ihm die Treue.

Der Palmsonntag ist ein nachdenklicher Tag. Und ich frage mich, was ich gemacht hätte, wie schnell bei mir die Stimmung kippt. Und wie ich bei Enttäuschung reagiere.

Tobias Schüfer ist Regionalbischof im Sprengel Erfurt der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland