Saalfeld-Rudolstadt. Henry Trefz über freiwillige Wertschätzung und trügerische Erwartungen
Da haben wir es wieder: Andauernd ist hier eine unserer Tugenden an der Reihe, um es nicht Todsünden nennen zu müssen. Neulich kam mit einem Gastwirt die Rede aufs Trinkgeld und da stand eine These im Raum: Ist die Höhe des Trinkgeldes nicht auch eine Form der Selbstwertschätzung, in dem sie ausdrückt, dass nicht nur Essen und Service ihren Wert hatten, sondern auch die eigene Großzügigkeit dazu passt?
Bevor wir uns da versteigen, müssen wir jene versorgen, die ohnehin nicht auf diese Reise mit wollen: Ja, viele Menschen tun gute Dinge, machen sie mit Hingabe – kein Öko-Versender, der nicht mit Liebe verpackt, hergestellt und vielleicht sogar zurückgenommen hat – und die Mehrheit von ihnen erhält kein Trinkgeld. Selbst der charmanten Kassiererin im Supermarkt können wir zwar „Aufrunden!“ zusäuseln, aber davon hat sie selbst auch nichts. Dem Knastaufseher hier oder der Pflegerin da – wie würden da wohl Münzen für einen tollen Service ankommen? Ja, sagen wir es rundheraus –Trinkgeld bekommen ist was für Minderheiten.
Doch wenigstens Geber können wir alle sein. Natürlich, schwierig wird es, wenn der direkte Weg nicht möglich ist. Gerechtigkeit ist es nicht, was man mit der Aufteilung erreichen könnte, denn der Paketbote hätte die Münze ebenso verdient, wie seine Kollegin am Band im Verteilzentrum.
Mit dem Argument, weil Fairness nicht erreichbar sei, gleich Trinkgeld ganz und gar wegzulassen, macht man leider die Welt auch nicht besser. Da hilft am Ende wirklich nur die Generalperspektive: Das Gute, das ich aussende, in welcher Form auch immer, möge dann schlussendlich zu mir zurückkehren, wenn es nur genug andere auch so machen. Ich wünsche jedermann das richtige Händchen. Schönes Wochenende!
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