Berlin. Corona, russische Muskelspiele, atomare Rüstung – das sind nur drei von vielen Krisen, die im neuen Jahr 2022 Antworten verlangen.

Im noch neuen Jahr 2022 gefährden gleich mehrere Krisen den Frieden und die Weltwirtschaft. In vielen Ländern hat sich die Gesellschaft angesichts der Corona-Impffrage radikalisiert. Die Wirtschaft leidet unter stockenden Lieferketten. Russlands Muskelspiele, Chinas Weltmachtambitionen sowie die Gefahr eines atomaren Rüstungswettlaufs im Nahen Osten sorgen für zusätzliche Spannungen. Und schließlich könnte die Verkettung dieser Probleme neue Migrationswellen auslösen. Diese sieben Krisen bedrohen die Welt.

Weltweites Corona-Impfgefälle

Fast zwei Jahre lebt die Welt mit dem Coronavirus. Doch die Lage ist je nach Kontinent völlig unterschiedlich. Während Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für Deutschland „Licht am Ende des Tunnels“ sieht, gibt es in Afrika noch viele Länder mit nur minimalem Impfschutz. Für Virusvarianten ist das der ideale Nährboden. So trat Omikron im November erstmals in Südafrika auf, wurde dann über Reisende nach Großbritannien eingeschleppt, bevor es sich blitzartig im Rest der Welt ausbreitete. Lesen Sie auch: Paxlovid – Was über das Corona-Medikament bekannt ist

Nach Angaben der Online-Plattform Our World in Data sind in der Demokratischen Republik Kongo nur 0,12 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, in Äthiopien beträgt die Rate 1,3 Prozent. Den Löwenanteil der bislang knapp neun Milliarden verabreichten Impfdosen sicherten sich die wirtschaftsstarken Länder.

Das solidarische Impfprogramm Covax bekam zwar Geld und Spenden von reichen Staaten, aber nicht genug. „Wenn nicht alle Länder genügend Vakzine bekommen, zieht sich die Pandemie in die Länge. Damit steigt die Gefahr, dass gefährliche Mutanten zu uns zurückkommen“, mahnt Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen.

Radikalisierung der Gesellschaft

Die Spaltung der Gesellschaft bis hin zum Kulturkrieg galt bislang vor allem für die USA unter Präsident Donald Trump. Doch im Zuge der Corona-Krise hat sich die Kluft in der Bevölkerung europa- und weltweit vertieft. Das Thema „Impfen – ja oder nein?“ wurde für viele zur reinen Glaubensfrage.

Zwischen Rotterdam, Wien, München und Bautzen machten Gegner der Corona-Maßnahmen ihrem Ärger Luft. Zum Teil kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen die Polizei. Auch in der Politik steigt die Aggressivität. In den ­sozialen Netzwerken häufen sich Hetztiraden bis hin zu Todesdrohungen gegen Politiker. Bei einer Wahlkampfveranstaltung des rechtsradikalen französischen Präsidentschaftskandidaten Éric Zemmour in Paris gingen dessen Anhänger auf linke Aktivisten los – es kam zu Tumulten. Politologen befürchten die schmutzigste Kampagne in der Geschichte Frankreichs.

Globales Lieferkettenchaos

Die dramatische Ausbreitung des Coronavirus löste eine Serie von Lieferkettenproblemen aus. Länder mit einer hohen Dichte an Fabriken – China, Südkorea, aber auch Industriegiganten wie Deutschland – wurden durch die Seuche besonders stark getroffen. Viele Firmen machten dicht oder kürzten die Fertigung.

In Erwartung der schrumpfenden Nachfrage strichen die Reedereien ihr internationales Netz an Routen zusammen. Gleichzeitig fand eine Verschiebung im Konsumentenverhalten statt. Viele Menschen schafften sich für ihr Homeoffice Computer, Drucker oder Bürostühle an. Das Interesse an diesen Artikeln nahm schlagartig zu. Etliche Betriebe hat es kalt erwischt. Für den Run fehlten die Handelsschiffe.

Der Lieferkettenstau hat sich in der Zwischenzeit verschärft. Nach der Aufhebung der starren Lockdown-Maßnahmen in immer mehr Ländern zog die Konjunktur wieder an. Die Reedereien konnten aber mit dem steigenden Bedarf an Waren nicht Schritt halten. Das ist einer der Gründe, warum die Inflationsrate rund um den Globus nach oben geklettert ist.

Russlands Muskelspiele

Im Ukraine-Konflikt geht Russlands Präsident Wladimir Putin aufs Ganze. Er will mit einer massiven Konzentration von Truppen und Waffen vor der Grenze zum Nachbarland extremen Druck aufbauen. Die Regierung in Kiew soll eingeschüchtert, die Bevölkerung verunsichert werden. Putins Ziel: Er will um jeden Preis verhindern, dass sich die Ukraine politisch, wirtschaftlich und militärisch im Westen verankert.

Der Kremlchef hat kürzlich erstmals „rote Linien“ definiert – keine Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato, keine Waffenlieferungen des Westens in die Ukraine, keine zusätzliche Osterweiterung der Allianz. Moskau facht Kriegsangst im Westen an, um seine Bedingungen für eine Sicherheitsarchitektur in Europa durchzuboxen. Putins imperiales Denken in Einflusssphären erinnert an den Modus der politischen Führung der Sowjetunion.

Nicht nur wegen des Ukraine-Konflikts ist das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland angespannt wie lange nicht. Mit dem demonstrativen Test einer Antisatellitenwaffe im All nahm Moskau die Gefährdung der Astronauten an Bord der Internationalen Raumstation (ISS) in Kauf. Cyberangriffe und Fake-News-Kampagnen sind weitere Waffen im Kremlarsenal des „hybriden Kriegs“ gegen den Westen.

Chinas Weltmachtambitionen

Das bevölkerungsreichste Land der Welt hat eine beispiellose Aufholjagd hingelegt. Gerade einmal 20 Jahre hat es gedauert, um Chinas Anteil an der globalen Wirtschaft von 3,6 Prozent auf heute rund 18 Prozent hochzuschrauben. Nach Berechnungen der meisten Ökonomen wird die Volksrepublik spätestens bis 2030 die USA überholen.

Seinen wirtschaftlichen Expansionskurs flankiert China durch eine autoritäre und militarisierte Außenpolitik. In der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong, der bis 2047 nach dem Motto „Ein Land, zwei Systeme“ mehr Freiheiten versprochen worden waren, herrscht nun Friedhofsruhe. Lesen Sie dazu auch: EU, USA und China – Was die neue Regierung anpacken muss

Der chinesische Rüstungsetat ist in den letzten 26 Jahren ununterbrochen gewachsen – auf zuletzt 252 Milliarden. Im Südpazifik errichtet Peking immer mehr Militärbasen, was die Nachbarstaaten zunehmend besorgt. Auch gegenüber Taiwan erhöht China den Druck. Die kommunistische Regierung betrachtet den demokratischen Inselstaat als „abtrünnige Republik“ und strebt eine „Wiedervereinigung“ mit dem Festland an. Sie untermauert ihren Anspruch durch eine verstärkte militärische Präsenz in der Straße von Taiwan. Der lange Arm Chinas reicht bis in die EU. Als Litauen kürzlich Taiwan die Eröffnung eines Verbindungsbüros erlaubte, verhängte Peking einen bilateralen Handelsboykott.

Atomangst im Nahen Osten

2022 ist mit Blick auf das iranische Atomprogramm ein entscheidendes Jahr. Nach dem Ausstieg von US-Präsident Donald Trump aus dem Nu­klearabkommen 2018 hat Teheran die Anreicherung des Kernwaffenbaustoffs Uran auf 60 Prozent hochgefahren. Im Vertrag von 2015, der die Atomkapazitäten des Irans drastisch beschränkt hatte, waren nur 3,67 Prozent erlaubt.

Teheran will bei den Verhandlungen in Wien den Druck auf den Westen erhöhen, die Sanktionen gegen das eigene Land zurückzufahren. Sollte es nicht zu einem neuen Deal kommen, wäre ein Angriff Israels oder der USA auf iranische Nuklearanlagen wahrscheinlich. Gelänge dem Mullah-Regime der Bau einer Bombe, wäre ein atomarer Rüstungswettlauf in der Hochkrisenregion Nahost programmiert. Saudi-Arabien, das mit dem Iran um die Vorherrschaft am Golf kämpft, würde nachziehen. Das Gleiche gilt für die Türkei.

Neue Migrationswellen

Es gibt mehr Krisen auf der Welt – und sie sind heftiger geworden. 2022 dürfte deshalb neue Flüchtlingswellen auslösen. Da sich nach der Machtübernahme der Taliban die Lage in Afghanistan radikal verschlechtert hat, werden sich wahrscheinlich noch mehr Menschen von dort auf den Weg machen. In Äthiopien tobt ein Bürgerkrieg. Im Irak herrschen Instabilität und Korruption, die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) ist in einzelnen Gebieten wieder erstarkt.

Das westafrikanische Mali, wo die Bundeswehr mehr als 1300 Kräfte stationiert hat, wird von Terroranschlägen erschüttert. Die gesamte Sahel­zone ist derart zerbrechlich, dass eine Massenflucht jederzeit möglich scheint. Hinzu kommen Hitzewellen, Dürren oder Überschwemmungen. Die Klimakrise fordert auch hier ihren Tribut.