Berlin. Die Grünen-Kanzlerkandidatin ist glanzvoll gestartet, doch jetzt gerät sie in die Defensive. Ein Grund dafür sind ihre Nebeneinkünfte.

Vier Wochen lang hat die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock einen beinahe unheimlichen Höhenflug erlebt, jetzt droht der Rückschlag: Baerbocks Wahlkampagne verläuft holpriger als gedacht, auch durch eigene Fehler. Und plötzlich schauen die Wähler kritischer hin: Im neuen ZDF- „Politbarometer“ ist die 40-Jährige bei der Beurteilung von Sympathie und Leistung schon deutlich abgesackt.

Kam sie vor zwei Wochen bei den Beliebtheitswerten auf einer Skala von minus fünf bis fünf auf solide 1,0, liegt sie jetzt bei nur noch 0,5 – schlecht wie noch nie und deutlich weniger als etwa SPD-Konkurrent Olaf Scholz oder ihr grüner Vorsitzendenkollege Robert Habeck.

Kanzlerkandidatin meldete dem Bundestag die Nebeneinkünfte nicht

Noch ist nichts verloren für die erfolgsverwöhnte Baerbock, die Grünen liegen in den meisten Umfragen weiter vor der Union. Doch im Wahlkampf, in dem die Kandidatin gnadenlos auf den Prüfstand gestellt wird, droht ein gefährlicher Verlust an Glaubwürdigkeit. Hintergrund: Wahlprogramme zur Bundestagswahl: Was wollen die Parteien?

Die Grüne in Bedrängnis: Besonders schmerzlich ist die Debatte um nicht gemeldete Nebeneinkünfte. Immerhin 25.220 Euro erhielt Baerbock in den vergangenen drei Jahren aus der Parteikasse, zusätzlich zu den jährlich rund 120.000 Euro an Diäten als Bundestagsabgeordnete. Aber ausgerechnet die Spitzen-Grüne, deren Partei bei jeder Gelegenheit Transparenz fordert, nahm es mit den Vorschriften nicht so genau: Sie versäumte es, dem Bundestag die Nebeneinkünfte zu melden.

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Baerbock erhielt ungewöhnliche Erfolgsboni

Erst am 30. März, drei Wochen vor ihrer Kanzlerkandidatur und mitten in der von den Grünen scharf verurteilten Maskenaffäre der Union, reichte sie die Angaben nach. Und erst in dieser Woche räumt Baerbock „ein blödes Versäumnis“ ein. Abgesehen von dem Regelverstoß gibt es auch in ihrer eigenen Partei Fragen, warum sie diese Bonuszahlungen überhaupt erhalten hat – ein Gehalt als Parteichefin zahlen die Grünen für Abgeordnete grundsätzlich nicht.

Doch sie bekam nicht nur Weihnachtsgeld, sondern auch eine Corona-Sonderzahlung und sogar eine Europawahl-Prämie. Solche Erfolgsboni kennen andere Parteien nicht. „Ich habe mich darüber gewundert“, sagt der Ur-Grüne Hans-Christian Ströbele dem „Spiegel“.

Der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, meint: „Einnahmen verschweigen ist mindestens unsauber. Aber warum braucht es einen steuerfreien Corona-Bonus für Parteivorsitzende?“ CSU-General Markus Blume spricht von „Doppelmoral“ und „Verschleierung“. Lesen Sie hier: Bundestagswahl 2021: Wen sich Europa als Kanzler/in wünscht

Falsche Vorwürfe und ein großzügig beschriebener Werdegang

Es ist nicht die einzige Kritik, mit der Baerbock umgehen muss. Ihr ungewöhnlich harscher Umgang mit dem Parteirebellen Boris Palmer oder ihr Vorstoß zu Kurzstreckenflügen gilt auch manchem Grünen als ungeschickt. Tiefere Spuren hat die Debatte um die Qualität ihres Studiums hinterlassen. Vorwürfe in den sozialen Netzwerken, sie habe sich einen Abschluss erschummelt, sind falsch – wie auch andere, teilweise abstoßende „Fake News“, die Kritiker im Netz verbreiten.

Doch ein Befund bleibt: Die Grüne legt bei der Beschreibung ihres Werdegangs eine gewisse Großzügigkeit an den Tag. Sie bezeichnet sich stets sehr betont als Völkerrechtlerin, auf ihrer Internetseite heißt es: „Meine akademische Heimat ist das Völkerrecht.“ Juristin ist sie aber nicht, tatsächlich hatte sie in Hamburg ohne Abschluss Politikwissenschaft studiert und im Nebenfach öffentliches Recht.

Es gelang ihr, schon mit dem Vordi­plom Zugang zu einem einjährigen Master-Studiengang für öffentliches internationales Recht an der so anspruchsvollen wie teuren Londoner School of Economics zu erhalten. Dort erwarb sie nach einem Jahr ihren Master. Stolz erklärt sie nun, sie komme „aus dem Völkerrecht“, während sich ihr Co-Vorsitzender Robert Habeck eher um Hühner und Schweine kümmere. Lesen Sie auch: Baerbock, Laschet und Scholz beim ersten Schlagabtausch

Die Taxifahrer-Zeiten bei den Grünen sind vorbei

Nach diesem Prinzip schildert sie auch die nächste Station: „Meine politische Laufbahn habe ich im Europäischen Parlament in Brüssel begonnen.“ Dahinter verbirgt sich die Tätigkeit für eine Europaabgeordnete. Sie stellte Baerbock nach dem Studium in ihrem Potsdamer Wahlkreisbüro an, später beschäftigte sie sie in ihrem Brüsseler Parlamentsbüro.

Aber schon nach insgesamt gut zwei Jahren wechselte ­Baerbock als Referentin in die Bundestagsfraktion, machte Parteikarriere im kleinen Landesverband Brandenburg und dann als Bundestagsabgeordnete. Eine ehrenwerte Laufbahn ist das allemal, Qualifikationen hat Baerbock gewiss.

Doch monieren Kritiker nun, für Baerbocks internationalen und akademischen Hintergrund gelte „etwas mehr Schein als Sein“. Für die Grünen, bei denen einst Joschka Fischer selbstbewusst mit seiner Qualifikation als Taxifahrer kokettierte, wäre das eine neue Erfahrung. Mehr zum Thema: Bundestagswahl: Die Spitzenkandidaten der kleinen Parteien