Baku/Eriwan. Nach der Gewalteskalation am Sonntag dauern die Gefechte zwischen Armenien und Aserbaidschan weiter an. Entspannung ist nicht in Sicht.

  • Armenien und Aserbaidschan streiten sich seit Jahren um die Region Bergkarabach im Südkaukasus
  • Am Sonntag eskalierte die Situation erneut: Armenien rief nach schweren Gefechten den Kriegszustand aus
  • Die Kämpfe dauerten auch am Montag weiter an. Auf beiden Seiten gab es Verletzte und Tote

Die Lage in der Konfliktregion Bergkarabach spitzt sich weiter zu: Die Kämpfe zwischen den verfeindeten Nachbarn Armenien und Aserbaidschan dauern nach der Gewalteskalation am Sonntag weiter an. Am Montagmorgen meldeten beide Seiten Beschuss.

Die Zahl der Toten auf armenischer Seite sei auf 58 gestiegen, bestätigte das Verteidigungsministerium in Eriwan am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Demnach starben am zweiten Tag der Gefechte 42 Armenier. Das armenische Militär sprach zudem von Dutzenden Toten auf aserbaidschanischer Seite. Eine Bestätigung aus Baku gab es zunächst nicht.

Nach Angaben der Sprecherin des armenischen Verteidigungsministeriums gingen die Gefechte in der Nacht mit unterschiedlicher Intensität weiter. Die gegnerische Seite habe am Morgen auch schweres Gerät und Artillerie eingesetzt. Das Militär in Aserbaidschan teilte mit, dass armenische Streitkräfte die Stadt Terter an der Grenze zu Bergkarabach unter Beschuss genommen hätten. Man warne Armenien vor „angemessenen Gegenmaßnahmen“, hieß es.

Südkaukasus: Auch Zivilisten getötet

Nach offiziellen Angaben wurden in Bergkarabach am Sonntag 16 Soldaten durch Beschuss getötet und mehr als 100 verletzt. Aserbaidschan teilte mit, dass es fünf Tote und Verletzte in den eigenen Reihen gebe. Auch Zivilisten kamen bei den Gefechten ums Leben. Es handelt sich um die schwerste Eskalation seit langem.

Armenien hatte nach Kämpfen mit Aserbaidschan am Sonntag den Kriegszustand ausgerufen. Zuvor hatte Aserbaidschan angekündigt, eine Militäroperation zu starten. Nach Angaben beider Seiten war es zwischen den Nachbarländern am Sonntagmorgen zu schweren Gefechten gekommen. Wie die Behörden in Bergkarabach mitteilten, sei die Hauptstadt Stepanakert beschossen worden. Die Menschen seien dazu aufgefordert worden, sich in Sicherheit zu bringen. Zahlreiche Häuser in Dörfern seien zerstört worden.

HAAserbaidschan, Stepanakert: Frauen liegen auf Betten in einem Luftschutzkeller.
HAAserbaidschan, Stepanakert: Frauen liegen auf Betten in einem Luftschutzkeller. © dpa | Uncredited

Armenien und Aserbaidschan beschuldigen sich gegenseitig

Unklar bleibt, wie die Gefechte begonnen haben – beide Seiten gaben sich am Sonntag gegenseitig die Schuld. Der Beschuss habe von aserbaidschanischer Seite begonnen, schrieb Paschinjan auf Facebook. „Die gesamte Verantwortung dafür hat die militär-politische Führung Aserbaidschans“, erklärte die Sprecherin des Verteidigungsministeriums von Armenien. Eriwan habe Hubschrauber und Kampfdrohnen abgeschossen. Auch drei gegnerische Panzer seien getroffen worden.

Baku dementierte die Vorwürfe und betonte, es handele sich bei den Gefechten um eine Gegenoffensive an der Frontlinie. Die Kämpfe seien von Armenien provoziert worden.

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Bergkarabach-Konflikt: Russland ruft zu Deeskalation auf

Bereits im Juli kam es an der Grenze zwischen den verfeindeten Republiken zu heftigen Gefechten. Die Kämpfe erfolgten jedoch Hunderte Kilometer nördlich von Bergkarabach.

Das völlig verarmte Armenien setzt auf Russland als militärische Schutzmacht, das dort Tausende Soldaten und Waffen stationiert hat. Das öl- und gasreiche Aserbaidschan hat die Türkei als Verbündeten. Türkische Truppen sollen nach armenischen Angaben in den aktuellen Gefechten hinzugezogen worden sein. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es nicht.

Aserbaidschans autoritär regierender Staatschef Ilham Aliyev ordnete am Montag eine Teilmobilmachung der Bevölkerung an. Damit würden Wehrpflichtige zum Kriegsdienst eingezogen, hieß es.

In Aserbaidschan gibt es in einigen Regionen Ausgangssperren am Abend, auch der Flugverkehr wurde eingestellt. Russland kündigte unterdessen an, vermitteln zu wollen. „Russland hat die Möglichkeit, seinen Einfluss und die traditionell guten Beziehungen zu beiden Ländern für eine Lösung dieses Konflikts zu nutzen“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Moskau. Die Situation müsse bei sofotiger Beendigung der Kämpfe auf diplomatischem Weg gelöst werden. Das sei jetzt wichtiger, „als darüber zu streiten, wer Recht und wer Schuld hat“.

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EU fordert sofortiges Ende der Kämpfe

Auch die Europäische Union hat ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen in der Unruheregion gefordert. EU-Ratspräsident Charles Michel erklärte am Sonntag, die Konfliktparteien müssten „umgehend an den Verhandlungstisch zurückkehren“. Die Informationen über die jüngsten Kampfhandlungen seien Anlass zu „größter Besorgnis“.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bemüht sich um eine diplomatische Lösung. Der zuständige Sonderbeauftragte Andrzej Kasprzyk sowie die OSZE-Minsk-Gruppe mit ihren drei Co-Vorsitzenden Frankreich, Russland und USA seien stark mit Verhandlungen beschäftigt, sagte ein Diplomat aus Albanien der dpa. Albanien hat derzeit in der OSZE den Vorsitz inne.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan stellte sich hinter Aserbaidschan. „Es ist nun an der Zeit, die Krise (...) zu beenden. Die Region wird erneut Frieden und Ruhe finden, wenn Armenien den von ihm besetzten aserbaidschanischen Boden sofort verlässt“, sagte Erdogan. Die Türkei stehe „mit allen Mitteln und ganzem Herzen“ an Aserbaidschans Seite.

Hintergrund: Worum geht es im Südkaukasus-Konflikt?

Die von Armenien kontrollierte Region Bergkarabach gehört völkerrechtlich zum islamisch geprägten Aserbaidschan. Nach dem Ende der Sowjetunion hatte Baku in einem Krieg die Kontrolle über das von christlichen Karabach-Armeniern bewohnte Gebiet verloren. Seitdem streiten sich Armenien und Aserbaidschan um die Kontrolle. 1991 rief Bergkarabach seine Unabhängigkeit aus. International wird das Gebiet jedoch bis heute nicht als eigenständiger Staat anerkannt.

Seit 1994 gilt in der Region eine Waffenruhe, die aber immer wieder gebrochen wurde. Zuletzt kam es 2016 zu einer Eskalation des Konfliktes. Dabei starben mehr als 120 Menschen.

(dpa/afp/raer)