Berlin. 20 Jahre ist Kreml-Chef Putin an der Macht. Seine Bilanz: Die Wirtschaft lahmt, die Opposition wird unterdrückt. Naht nun sein Ende?

Als der scheue Mann mit dem kalten Blick und den steifen Bewegungen am 9. August 1999 von Russlands Präsident Boris Jelzin zum Regierungschef ernannt wurde, fragte sich das ganze Land: „Wladimir wer?“ Wladimir Putin war als Direktor des KGB-Nachfolgers FSB den meisten Leuten unbekannt. Kaum einer nahm den 46-Jährigen in der Anfangsphase ernst. Eine Zeitung bescheinigte ihm den „Charme eines getrockneten Haifisches“.

Das sollte sich bald ändern. Im Herbst 1999 gab es eine Reihe von Sprengstoffanschlägen auf Wohnhäuser in verschiedenen Städten. Fast 300 Menschen wurden getötet. Als Drahtzieher der Attentate machte Putin Separatisten aus dem Kaukasus aus. Kurz darauf begann er den Zweiten Tschetschenien-Krieg. Die Rolle als Anti-Terror-Kämpfer trieb die Beliebtheitswerte des Ministerpräsidenten schlagartig nach oben. Aus der grauen Geheimdienst-Maus wurde der starke Mann im Kreml.

Am 31. Dezember 1999 erklärte Jelzin seinen Rücktritt, Putin wurde zum amtierenden Staatschef. Nur wenige Monate später gewann er die Präsidentenwahl. Diese Position hat er seitdem inne – mit Ausnahme der Periode von 2008 bis 2012, in der Putin Ministerpräsident war.

Wladimir Putin hat keinen Grund, sich über das Jubiläum zu freuen

20 Jahre ist Putin nun an der Macht. Doch richtige Feierlaune will nicht aufkommen. Es ist eher ein unbequemes Jubiläum. In Moskau prügeln Uniformierte gerade immer wieder auf friedliche Demonstranten ein, die freie Wahlen am 8. September zum Stadtrat fordern.

August 1999: Der russische Präsident Boris Jelzin begrüßt seinen neuen Regierungschef Wladimir Putin in Moskau – und an der Spitze der Macht.
August 1999: Der russische Präsident Boris Jelzin begrüßt seinen neuen Regierungschef Wladimir Putin in Moskau – und an der Spitze der Macht. © REUTERS /

Die Bilder der Polizeigewalt sollen nach Einschätzung von Experten zeigen, dass die Staatsmacht zu allem entschlossen ist. Kritik des Westens an den Gewaltexzessen, an der Verletzung von Menschenrechten, an den Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit prallen seit Langem an den Kreml-Mauern ab.

Die Unzufriedenheit im Land ist groß – egal, ob Bauprojekte oder Müllhalden. Oft geht es um Willkür von Behörden, die Projekte durchziehen, ohne dass sich Bürger beteiligt fühlen. In Sibirien brennt zum Entsetzen vieler Menschen seit Wochen die Taiga – der für das Weltklima wichtige Waldgürtel –, weil Behörden beim rechtzeitigen Löschen versagten.

Putin wandelte sich vom Hoffnungsträger zum Problemfall

Dabei blickte der Westen in den ersten Jahren Putins durchaus hoffnungsvoll nach Osten. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 war Putin der Erste, der US-Präsident George W. Bush anrief und Hilfe anbot. Zwei Wochen später hielt der Präsident eine viel beachtete Rede im Bundestag. Er sprach von Frieden, Abrüstung und einer verstärkten Annäherung zwischen Europa und Russland.

Der Wendepunkt kam bei einem Auftritt während der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang 2007. Putin kritisierte die „monopolare Welt“ unter Führung der USA. „Wir sehen eine immer stärkere Nichtbeachtung grundlegender Prinzipien des Völkerrechts“, wetterte der Kremlchef. Dabei hatte er die Nato-Intervention im Jugoslawien-Krieg Mitte der 90er-Jahre ebenso im Visier wie die Nato-Osterweiterung 2004.

Putin will nicht nur Russland, sondern auch sich selbst als stark darstellen – wie auf diesem Foto aus dem Jahr 2010.
Putin will nicht nur Russland, sondern auch sich selbst als stark darstellen – wie auf diesem Foto aus dem Jahr 2010. © picture alliance/AP Photo | dpa Picture-Alliance / Dmitry Astakhov

In den Jahren danach verfolgte Putin die Wiederherstellung der Großmacht-Rolle Russlands. „Der Zusammenbruch der Sowjetunion ist die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“, sagte er einmal. Moskau will Supermacht sein – auf Augenhöhe mit den USA. Eine Ausdehnung des westlichen Bündnisses bis an die russische Grenze ist für Putin ein strategisches Tabu. Vor diesem Hintergrund annektierte Russland im März 2014 die Schwarzmeer-Halbinsel Krim und unterstützte prorussische Separatisten in der Ost-Ukraine mit Geld, Soldaten und Waffen.

Als US-Präsident Barack Obama im syrischen Bürgerkrieg bei einer militärischen Antwort auf einen Chemiewaffenangriff des Regimes zauderte, nutzte Putin die Schwäche eiskalt aus. Seit September 2015 ist Moskau militärisch in Syrien präsent und hält den Diktator Baschar al-Assad an der Macht. Russland schwelgte damals in einer Welle von Pa­triotismus-Euphorie.

Im Atomstreit zwischen den Vereinigten Staaten und Iran steht der Kreml fest an der Seite des Mullah-Regimes. Russland begreift sich als Hüter des Status quo. Moskaus Lesart: Die Invasionen der USA im Irak 2003 und westlicher Länder in Libyen 2011 haben nur Chaos hinterlassen.

Geht die Ära Putin in Russland dem Ende entgegen?

Doch fünf Jahre nach der Einverleibung der Krim herrscht „Putin-Dämmerung“. Die von der EU und den USA verhängten Sanktionen wegen des Ukraine-Konflikts lasten schwer auf der stolzen Rohstoffmacht Russland. Die einfachen Bürger schimpfen massiv über steigende Preise. Russlands überbordende Investitionen auf der Krim, die Verwicklung in den Krieg in Syrien sowie ambitionierte Rüstungsprojekte kosten Milliardensummen. Putin hat es nicht geschafft, seinem Land eine Innovations- und Modernisierungskur zu verpassen. Außer Öl und Gas hat die Wirtschaft kaum etwas zu bieten.

Dabei war der heute 66-Jährige als großer Hoffnungsträger gestartet. Nach den chaotischen 90er-Jahren, der Jelzin-Ära mit weit verbreiteter Korruption und dem Schattenreich der Oligarchen sollte Putin aufräumen und den Aufschwung bringen.

Dabei ersetzte Putin einfach Jelzins Oligarchen durch die Wirtschafts- und Finanzmagnaten seines Vertrauens. Der kraftmeierische Auftritt und der kultivierte Polit-Machismo kamen an. Putin mit nacktem Oberkörper und Jagdgewehr, beim Ritt durch die Steppe oder als Eishockey-Crack: Diese Bilder entzückten viele. Seither hat Putin es verstanden, die einzelnen Kraftzentren – das Militär, die Geheimdienste und die Oligarchen – in einer Balance unter Kontrolle und sich so im Amt zu halten.

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    Doch es mehren sich die Zweifel, ob Putin das Land wirklich noch in eine bessere Zukunft führen kann. Der Eishockey-Superstar Artemi Panarin, lange Fan von Putin, meinte, dass der Präsident wohl nicht mehr begreife, was in seinem Land los sei. „Wenn dir alle 20 Jahre lang sagen, dass du ein Prachtkerl bist und alles richtig machst, denkst du etwa, dass du dann noch deine eigenen Fehler siehst?“, sagte der 27-jährige Eishockey-Profi.

    2024 endet Putins gemäß Verfassung vorläufig letzte Amtszeit. Doch der Präsident selbst lässt seine Zukunft offen. „Es stehen noch fünf Jahre anstrengender Arbeit bevor. Und in einer solchen stürmischen Dynamik, wie wir sie jetzt in der Welt beobachten, ist es schwer, Vorhersagen zu treffen“, meinte er. Ein Nachfolger ist jedenfalls nicht in Sicht.