Berlin. Verunsicherung und Armutsängste: Das leichtsinnige Hin und Her um das Heizungsgesetz war brandgefährlich, findet unsere Autorin.

Kleines Gedankenspiel zum Ende dieser Woche? Dann bitte mal in die Zukunft reisen: Was sagen wohl die Leute in 100 Jahren, wenn sie auf das Jahr 2023 zurückblicken? Sie werden den Kopf schütteln über so viel politischen Leichtsinn. Der monatelange Megastreit ums Heizungsgesetz wird im Rückblick nicht das notwendige Ringen um die beste politische Lösung gewesen sein, wie es viele in der Ampel meinen. Sondern brandgefährlich.

Denn was nehmen die Menschen davon mit? Wie bleibt der Streit in Erinnerung? Als große Verunsicherung. Als Überforderung. Als Zumutung. Die einen haben es mit der Angst zu tun bekommen, die anderen sind wütend geworden. Typische Reaktionen, wenn man sich in die Enge getrieben fühlt. Und genau das taten viele.

Politik-Korrespondentin Julia Emmrich
Politik-Korrespondentin Julia Emmrich © Anja BleYL

Heizungsgesetz: Maximaler Zeitdruck bei maximaler Verwirrung

Wen wundert’s. Das, was zu Anfang von den Gesetzespläne durchgestochen wurde, war ein Schockszenario. Maximaler Zeitdruck bei maximaler Verwirrung. Wer danach als Heizungsbesitzer die Debatte und jede ihrer Wendungen verfolgte, musste schon starke Nerven haben, um nicht bekloppt zu werden. Fristen, Übergangsfristen und Ausnahmen von Fristen. Wärmequellen und Wärmenetze, Effizienzpflicht und Sanierungszwang. Debatten über Altersgrenzen von Heizungen, Häusern und Hausbesitzern. Ganz zu schweigen von der Frage, wer eigentlich welche Förderung bekommen könnte. Die halbe Republik war gezwungen, sich innerhalb von Tagen zum Heizkesselexperten fortzubilden.

Und, was man bei allem nicht vergessen darf: Das Heizungsgesetz traf ja nicht auf ein Land, das gerade tiefenentspannt vor sich hin prosperierte und bereit war, souverän die nächste Stufe im Klimaschutz zu zünden. Als die Heizungspläne auf den Tisch kamen, lag da bei den meisten Deutschen bereits ein dicker Stapel mit Sorgenthemen. Millionen Deutsche waren gerade mit Ach und Krach durch die Pandemie gekommen. Mit Schrecken starrten sie jetzt auf den Kontostand am Monatsende: Hohe Energiepreise, hohe Lebensmittelpreise, nichts mehr zum Zurücklegen.

Studien zeigen es: Die Angst vor Altersarmut ist massiv gestiegen, die Bedeutung von Klimaschutz und die Bereitschaft zur Energiewende haben deutlich abgenommen. Nicht nur bei den Älteren, auch bei den Jüngeren.

Ampel-Koalition: Habeck und Linder haben es beide verbockt

Man muss nicht Psychologie studiert haben, um zu ahnen, was die Leute in einer solchen Lage von ihrer Regierung erwarten. Genau: Orientierung, nicht Chaos. Praxistaugliche Antworten statt billige Koalitionsmanöver. Die Grünen mit ihrem einst so beliebten Krisenerklärer Robert Habeck haben es genauso verbockt wie die FDP mit Christian Lindner, der so gerne seine staatspolitische Verantwortung betont und gleichzeitig vom Streit profitieren will. Und der Kanzler? War offenbar froh, dass er anders als beim Streit um die Waffenlieferungen diesmal nicht im Feuer stand.

Keine Frage: Der Klimawandel ist da, die privaten Haushalte müssen sich umstellen. Und sie werden das mit staatlicher Hilfe auch tun. Die Mehrheit der Deutschen ist pragmatisch. Wenn man sie vom Nutzen überzeugt, gehen sie auch unangenehme Wege mit. Sie widerstehen dann auch populistischen Abwerbeversuchen. Achtzig Prozent der Bundesbürger wollen bei der nächsten Wahl NICHT die Rechten wählen. Das ist ein großes Gut. Aber es ist keine Selbstverständlichkeit.

Man kann nur hoffen, dass die Leute in hundert Jahren, um im Bild zu bleiben, noch immer in einer stabilen Demokratie leben. Und der Heizungsstreit allen eine Lehre war.