Berlin. Bekommen wir die Flüchtlingskrise in den Griff? Es reicht nicht, auf die EU-Asylreform zu warten. Berlin muss selbst schnell handeln.

Die Lage an der deutsch-polnischen Grenze wird immer brisanter. Kriminelle Schleuser organisieren unerlaubte Massen-Einreisen von Migrantinnen und Migranten, für deren Aufnahme nach den EU-Regeln eigentlich Polen zuständig wäre. Dass das Nachbarland im Osten so zunehmend zum Drehkreuz für Asylbewerber in Deutschland werden kann, ist nur das jüngste Kapitel in der Krise der Migrationspolitik.

Sie hat mehr Sprengkraft als 2015. Nicht wegen der täglichen Ankunftszahlen: Aber zu den Migranten, die jetzt in steigender Zahl illegal einreisen, kommen ja deutlich mehr als drei Millionen Schutzsuchende, die bereits in Deutschland leben, davon eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine. Die Kommunen ächzen unter der Belastung, es gibt schon wieder Zeltstädte, belegte Turnhallen und Containerunterkünfte – diesmal wohl für längere Zeit.

Heute fehlt es an Wohnungen, Schulplätzen, Sprachkursen. An erfolgreiche Integration ist so gar nicht mehr zu denken. Auch der Bundespräsident spricht nun davon, dass die Belastungsgrenze erreicht sei. Die Konsequenz liegt auf der Hand: Die Politik muss Migration besser steuern – und illegale Einreisen entschlossener eindämmen, ohne berechtigte Schutzansprüche zu verletzen.

Europas Hilfsmöglichkeiten sind nicht unbegrenzt

Ein Balanceakt. Er gelingt auf längere Sicht nur, wenn die große europäische Asylreform endlich unter Dach und Fach kommt. Sie wird auch weiter Hilfe für Flüchtlinge garantieren. Aber mit mehr Außengrenzschutz, mehr Härte gegenüber offenkundig chancenlosen Asylbewerbern, konsequenter Abschiebung und neuen Flüchtlingsabkommen mit Drittstaaten. Es sind klare Signale, dass Europas Hilfsmöglichkeiten nicht unbegrenzt sind. Und dass es gute Gründe gibt, erst gar nicht die gefährliche Überfahrt übers Mittelmeer zu wagen.

Christian Kerl, Politik-Korrespondent.
Christian Kerl, Politik-Korrespondent. © Funke Mediengruppe | Privat

Gut, dass die Bundesregierung in Brüssel eingelenkt hat und mit ihrer Zustimmung zur umstrittenen Krisenverordnung als Teil dieser EU-Reform ihre Blockade aufgibt. Aber: Endgültig beschlossen ist in der EU noch nichts – und selbst wenn sich Parlament und Mitgliedstaaten bis Jahresende verständigen, wird die große Reform frühestens 2025 praktische Auswirkungen haben. Zu spät für viele Städte hierzulande, die längst am Limit sind.

Grenzkontrollen helfen im Kampf gegen Schleuser

Der Verweis auf die Verantwortung Europas für die Migrationspolitik ist also nicht falsch, aber er reicht nicht zur Krisenbewältigung. Die Politik muss auch auf nationaler Ebene schnell handeln: Dazu gehört jetzt die Ausweitung der Grenzkontrollen. Sie werden nicht sofort die Zahl der unerlaubten Einreisen reduzieren – wer Asyl beantragt, darf nicht zurückgewiesen werden. Aber im Kampf gegen die zunehmend entscheidende Schleuserkriminalität taugen die Maßnahmen sehr wohl. Was an der deutsch-österreichischen Grenze bereits Praxis ist, muss schnell und umfassend auch an den Grenzen zu Polen und Tschechien passieren.

Ob feste Kontrollen an Übergängen etabliert werden oder flexible Einsätze im Hinterland oder – idealerweise - eine Mixtur beider Ansätze, ist dabei zweitrangig. Jede Lösung hat Vor- und Nachteile. Innenministerin Nancy Faeser muss nur endlich ihren Schlingerkurs in dieser Frage beenden. Wichtig ist, dass der Staat jetzt überhaupt handelt, sichtbar nach außen und nach innen, bevor die Stimmung im Land gefährlich kippt. Politik und Polizei müssen das kriminelle Treiben der Schleuser entschlossener stoppen. Die Zustände von 2015, als der Staat zeitweise die Kontrolle über den Zugang ins Land verloren hat, dürfen sich nicht wiederholen.