Rom. Rund um Neapel brechen bis zu 60 Prozent der Jugendlichen die Schule ab. Kriminelle Banden marodieren, es herrscht rohe Gewalt.

In den Vorstädten Neapels brechen 50 bis 60 Prozent der Jugendlichen die Schule ohne Abschluss ab. Die Peripherie der Vesuvstadt gilt als Nährboden für Kriminalität und organisiertes Verbrechen. Bewaffnete Jugendbanden im Dienst von Drogendealern terrorisieren die Bürger. Der heruntergekommene, von der Camorra geplagte Vorort Caivano ist kürzlich wegen der Vergewaltigung von zwei zehn- und zwölfjährigen Mädchen in die Schlagzeilen geraten, die von einer Gruppe Jugendlicher mehrfach missbraucht wurden. Die Verdächtigen sind zwischen 13 und 19 Jahre alt. Anführer der Horde waren Söhne örtlicher Mafiaclan-Führer.

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Hunderte von Jugendlichen, manche nicht älter als 13 Jahre, schließen sich im Raum von Neapel in Jugendgangs zusammen; ihre Bosse sind nur knapp über 20. Oft bekriegen sie sich gegenseitig. Immer wieder werden bei Schießereien auch unschuldige Passanten und Polizisten verletzt oder getötet.

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In Neapels Vororten herrscht teilweise Krieg unter den Jugendgangs.
In Neapels Vororten herrscht teilweise Krieg unter den Jugendgangs. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Alessandro Garofalo

Italien: Sicherheitsverwahrung schon für Sechsjährige

Als Reaktion auf die zunehmende Jugendgewalt hat die Regierung von Premierministerin Giorgia Meloni vor einigen Monaten härtere Strafen für Kriminelle ab 14 Jahren eingeführt. Vorgesehen sind mehr Tatbestände im Strafgesetzbuch. Hinzu kommt die Untersuchungshaft für Jugendliche, die bereits beim Handel mit kleinen Mengen Drogen oder für das illegale Führen von Waffen angeordnet werden kann, wozu auch Messer gehören und Sicherheitsverwahrung von Kindern, die nicht erst wie bisher ab neun Jahren, sondern ab sechs Jahren möglich ist.

Trauriger Ort in Italien: „Jugendliche werden hier regelrecht zu Kriminellen gemacht“

In Caivano gibt es keinen Sportplatz, kein Jugendzentrum, kein Kino. Die Kleinstadt nördlich von Neapel zählt 36.000 Einwohner und liegt circa 13,5 Kilometer von der Vesuvstadt entfernt. „Den Kindern bleibt gar nichts anderes übrig, als auf der Strasse herumzulungern. Sie werden hier regelrecht zu Kriminellen gemacht“, klagen Sozialkräfte. Die Gangs haben keinerlei Probleme, Nachwuchs zu rekrutieren, denn mit Drogenhandel ist viel Geld zu verdienen. Fürs Wachestehen allein gibt es rund 200 Euro pro Woche, fürs Dealen 400 Euro.

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Caivano war wie viele Vorstädte im Norden Neapels ein Zentrum der Textilproduktion. Seitdem in den 1990er Jahren viele Fabriken geschlossen wurden, ist die Kleinstadt stark von Arbeitslosigkeit und sozialen Problemen betroffen. Don Maurizio Patriciello, ein im Kampf gegen die Camorra aktiver Priester, lud Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zu einem Besuch in den Vorort Neapels ein. Meloni versprach Soforthilfen und die Renovierung des heruntergekommenen und zum Drogenumschlagplatz verwandelten örtlichen Schwimmbads. Die Regierung stellte nun 30 Millionen Euro bereit, über deren Verwendung ein Kommissar bestimmen soll.

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Die Regierung Meloni hat sich auch den Kampf gegen Schulabbruch auf die Fahne geschrieben. So wurden die Strafen für Eltern verschärft, deren Kinder nicht zur Schule gehen. Im Zeitraum zwischen Juli 2022 und Juni 2023 wurden im Raum von Neapel 228 Eltern angezeigt, weil sie ihre Kinder nicht in die Schule schickten. Diese Zahl soll steigen. 300 Kontrollen wurden zuletzt in den Schulen der Region durchgeführt.

Ein verlassenes Sport- und Kulturzentrum in Caviano: In der Vorstadt von Neapel kommt es immer wieder zu sexuellen Übergriffen gegen Minderjährige. Die italienische Regierung hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, um die Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern.
Ein verlassenes Sport- und Kulturzentrum in Caviano: In der Vorstadt von Neapel kommt es immer wieder zu sexuellen Übergriffen gegen Minderjährige. Die italienische Regierung hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, um die Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern. © KONTROLAB/LightRocket via Getty Images | KONTROLAB

Italien und die hoffnungslosen Jugendlichen: Schulleiterin äußert klare Wünsche

Der Präsident des Berufungsgerichts Neapels, Eugenio Forgillo, schlägt Alarm. „Es gibt Kinder, die dem organisierten Verbrechen als Drogenhändler dienen, und daher nicht in die Schule gehen. Ihre Eltern sind sich oft nicht einmal bewusst, dass sie eine Straftat begehen, weil sie in absoluter Armut leben“, meint der Jurist. In Sizilien und Kampanien haben über 15 Prozent der Jugendlichen die Schule vorzeitig verlassen: ein Negativrekord, der die beiden Regionen an die Spitze der europäischen Schulabbrecherliste bringt, wie aus Zahlen des Kindernetzwerks „Con i bambini“ („Mit den Kindern“) hervorgeht. Gegen den Schulabbruch hat das italienischeBildungsministerium jetzt eine digitale Plattform eingerichtet, mit der genau kontrolliert werden soll, welche Kinder die Schule nicht besuchen.

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Um die Schüler Caivanos kämpft die Direktorin der Hauptschule „Francesco Morano“. Hier werden u.a. Jugendliche ausgebildet, die als Küchenchefs und in den Hotels in Neapel und Umgebung arbeiten wollen. „Unsere Schule ist wie ein Leuchtturm, ein Schimmer der Hoffnung für viele Jugendliche, die schwierige familiäre Situationen erleben“, sagt Schulleiterin Eugenia Carfora. „Ich habe eine Vorliebe für Herausforderungen. Als ich 2007 in Caivano ankam, war ich von der Unordnung und den resignierten Gesichtern überwältigt. Überall lagen Spritzen, auf den Straßen streunten Hunde. Ich habe hart gekämpft, um schwierige Situationen zu sanieren. Ich habe die Schulen säubern, in einigen Fällen sogar Pistolen beschlagnahmen lassen“, erzählt Carfora.

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    Als sie 2013 als Schulleiterin eingesetzt wurde, lag die Zahl der Schulabbrecher bei 41 Prozent, inzwischen ist diese Rate auf 15 Prozent gesunken. „Ich bin selber ins der Kinder gegangen, um die Eltern zu überreden, sie weiterhin in die Schule gehen zu lassen“, sagt die kämpferische Schuldirektorin. Viele Eltern würden keinen Nutzen darin sehen, dass ihre Teenager Zeit in der Schule verbringen. Dies gelte vor allem für die ärmeren Familien, die dringend Geld benötigen. Strafen oder Anzeigen gegen die Eltern betrachtet Carfora nicht als effektive Maßnahme zur Eingrenzung der Zahl der Schulabbrecher. „Man muss eher eine kulturelle und soziale Arbeit leisten, um den Eltern die Bedeutung einer guten Erziehung klar zu machen“, meint die Schuldirektorin.