Brüssel/Berlin. Die steigenden Flüchtlingszahlen aus Belarus alarmieren die Bundesregierung und die EU. Der Ruf nach Grenzkontrollen wird immer lauter.

Der Zustrom von Tausenden Flüchtlingen über die neue Osteuropa-Route nach Deutschland reißt nicht ab. Täglich werden in Vorpommern, Brandenburg und Sachsen 150 bis 200 Flüchtlinge aus dem Nahen Osten aufgegriffen, die illegal über die polnische Grenze gekommen sind – Endstation einer Reise über den osteuropä­ischen Krisenstaat Belarus, dessen Machthaber Alexander Lukaschenko Migranten gezielt in die EU schleust.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will nun über eine verstärkte Zusammenarbeit mit Polen und der EU gegen die Weiterreise von über Belarus kommenden Flüchtlingen nach Deutschland vorgehen. Bereits über 5700 Flüchtlinge und Migranten seien „im Zuge intensivierter Binnengrenzfahndungsmaßnahmen“ an der deutsch-polnischen Grenze festgestellt worden, wie es in einem Bericht Seehofers zur Sitzung des Bundeskabinetts am Mittwoch heißt.

Bericht Seehofers: 15.000 Migranten warten auf Reise in Westen

Derzeit warteten „circa 15.000 Migranten in Belarus auf eine Weiterreise nach Westen". Polen solle "jede Unterstützung angeboten werden, den Außengrenzschutz im Rahmen des geltenden Rechts effizient umzusetzen“, so der Bericht. Mit der EU will er demnach weitere Länder in Nahost und Afrika dazu bringen, Flüge mit Flüchtlingen nach Belarus einzustellen.

Mit europäischen Partnern habe Deutschland bereits erreicht, dass Flüge aus dem Irak eingestellt worden seien, führte Seehofer in dem Bericht aus. Zudem fordert er die EU-Kommission den Angaben zufolge auf, „ihre diplomatischen Gespräche sowie Maßnahmen zur koordinierten Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten noch zu verstärken“.

Auf Seehofers Vorschlag an seinen polnischen Kollegen Mariusz Kaminski vom Dienstag, gemeinsame Streifen an der deutsch-polnischen Binnengrenze vorzunehmen, gibt es dem Vernehmen nach bisher noch keine Antwort.

Außenminister Maas kritisiert Lukaschenko und fordert Sanktionen

Wegen der Flüchtlingssituation hatten die EU-Außenminister bereits am Montag in Luxemburg über neue Maßnahmen gegen den belarussischen Machthaber und sein Regime beraten. Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte: „Lukaschenko ist nichts anderes als der Chef eines staatlichen Schleuserrings.“ Er benutze Flüchtlinge als Instrument, um Druck auf europäische Staaten auszuüben.

Maas und seine Kollegen bereiten Sanktionen gegen Fluggesellschaften vor, die die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten nach Minsk bringen, von wo sie dann weiter an die EU-Grenze geleitet werden. Hintergrund: Chefin der Asylbehörde: Deutlich mehr Asylbewerber in der EU

Die Fluchtrouten über Belarus in die EU.
Die Fluchtrouten über Belarus in die EU. © funkegrafik nrw | Pascal Behning

Die EU hatte die belarussische Fluggesellschaft Belavia zwar schon im Mai mit einem Flugverbot belegt, doch sehen die Außenminister mit Sorge, dass Airlines auch aus der EU Belavia unter die Arme greifen, etwa mit dem Leasing von Flugzeugen oder technischer Hilfe. Im Visier ist vor allem Irland.

Maas sagte, die EU werde nicht weiter zusehen, wie europäische Fluggesellschaften mit den Aktionen auch noch Geld verdienten. In Berlin und Brüssel gibt es längst keinen Zweifel mehr, dass Lukaschenko die Migranten gezielt einsetzt, um die EU zu provozieren. Es ist offenkundig die Vergeltung für jene Sanktionen gegen Vertreter seines Regimes, die die EU im Mai beschlossen hatte. Zuvor war eine Ryanair-Maschine auf dem Weg nach Litauen in Belarus zur Landung gezwungen worden. Lesen Sie auch: Warum Lukaschenko diese Journalistin seit Monaten einsperrt

Flüchtlinge irren in Sperrzone an der polnisch-belarussischen Grenze umher

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    Migranten buchen in ihrer Heimat Schleusungspakete

    Kurz darauf begannen die zahlreichen Flüchtlingsflüge von Bagdad und Istanbul Richtung Belarus, an Bord Menschen aus dem Irak, Syrien, dem Iran und Jemen, inzwischen auch aus Afghanistan. Passagiere aus dem Irak berichten, sie hätten in ihrer Heimat quasi im Reisebüro regelrechte Schleusungspakete für rund 6000 Euro gebucht. Die Mi­granten werden an die Westgrenze zu Polen, Litauen und Lettland gebracht, wo sie, oft mithilfe belarussischer Soldaten, EU-Gebiet erreichen.

    Zugleich lässt Belarus auch Flugpassagiere aus Moskau oder Dubai ohne Visa ins Land und dann gern illegal in die Europäische Union wieder ausreisen. Jetzt ist die Bundesregierung nervös, weil Minsk Touristenvisa für Menschen aus Pakistan ausgeben will. Eine neue Migrationsroute von Pakistan in die EU würde den Flüchtlingsdruck auch auf Deutschland massiv erhöhen.

    Mehr zum Thema: Lukaschenkos langer Arm: Der Todesfall Alexander Schischow