Berlin. Belarus' Autokrat holt immer mehr Flüchtlinge aus Nahost an die polnische Grenze. Die Situation spitzt sich zu. Die EU ist besorgt.

  • Die Lage an der Belarus-Grenze zu Polen eskaliert - tausende Migranten wollen in die EU und vor allem nach Deutschland
  • Polnische Sicherheitskräfte griffen zu drastischen Maßnahmen
  • Der belarussische Diktator Lukaschenko schleust tausende Migranten in die EU - um sich zu rächen

Es sind dramatische Bilder: An der östlichen EU-Außengrenze zwischen Belarus und Polen wollen inzwischen Tausende Migranten aus Krisenregionen wie Afghanistan und Syrien in den Westen. Nun reagiert Polen und schließt einen Grenzübergang zum Nachbarland.

Der Grenzverkehr für Waren und Personen am Übergang Kuznica werde ab Dienstag, 7 Uhr, eingestellt, teilte der Grenzschutz über Twitter mit. Reisende wurden gebeten, auf die Grenzübergänge in Terespol und Bobrowniki auszuweichen - rund 230 und 70 Kilometer von Kuznica entfernt.

Nach Angaben der Behörden gab es am Montag mehrere Versuche, die Zaunanlagen zu durchbrechen. Das polnische Verteidigungsministerium berichtete von einem solchen Versuch in der Nähe des Grenzortes Kuznica.

Belarus: Videos im Netz verdeutlichen Lage an Grenze zu Polen

"Germany, Germany", ruft eine Gruppe von Migranten auf einem im Netz kursierenden Video. Der Grenzzaun vor ihnen ist teils niedergerissen, gegenüber stehen polnische Grenzer mit Schildern nebeneinandergereiht.

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Auf einem anderen Video ist zu sehen, wie eine Gruppe von Männern versucht, mit einem Spaten und einem Baumstamm den Stacheldrahtzaun umzureißen. Ein polnischer Uniformierter setzt Tränengas ein. Die Aufnahmen machen unmissverständlich klar: Die Lage ist angespannt, könnte jederzeit eskalieren.

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Viele Flüchtlinge haben ihr Hab und Gut in einen Rucksack gequetscht

Nach Erkenntnissen der polnischen Behörden halten sich gegenwärtig zwischen 3000 und 4000 Migranten in dem belarussischen Gebiet nahe der polnischen Grenze auf, wie Regierungssprecher Piotr Müller mitteilte. Auf dem Staatsgebiet des autoritär regierten Nachbarlandes seien insgesamt sogar mehr als 10.000 Menschen, die die Grenze überqueren wollten. Die Regierung in Warschau und die EU werfen dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, Menschen aus Krisenregionen einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen.

Aus Sicht der Regierung in Warschau könnten die Flüchtlinge versuchen, in der Nähe des Ortes Kuznica Bialostocka die Grenze zu durchbrechen. „Nach neuesten Informationen steht diese riesige Gruppe von Migranten unter der Kontrolle von bewaffneten belarussischen Einheiten, die entscheiden, wohin sie gehen darf und wohin nicht“, schrieb Geheimdienstkoordinator Stanislaw Zaryn auf Twitter. Er sprach von einer weiteren feindlichen Aktion des Nachbarlands gegen Polen.

Lesen Sie dazu auch: Flüchtlingsstreit mit Belarus weitet sich aus – Röttgen droht auch Putin

Lukaschenko übt Rache wegen der EU-Sanktionen

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko lässt seit Wochen Flüchtlinge aus verschiedenen Krisenregionen des Nahen Ostens einfliegen, um sie dann in die EU zu schleusen. Zum Teil werden die Menschen mit belarussischen Fluglinien wie die staatliche Belavia aus dem Irak oder Syrien nach Minsk transportiert und dann an die Grenze gekarrt. Viele Migranten aus dem Nahen Osten profitieren von einer visafreien Einreise nach Belarus, die Lukaschenko per Dekret durchgewunken hat.

Es ist eine Rache-Aktion gegen die Europäische Union. Die Gemeinschaft hatte nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen im August 2020 sowie den brutalen Polizeieinsätzen gegen die Opposition eine Reihe von Sanktionen gegen Belarus verhängt. Lukaschenko rechtfertigte seine Schleuserpolitik mit den Worten, er werde Menschen auf ihrem Weg zu einem besseren Leben im „gemütlichen Westen“ nicht mehr aufhalten.

Die Zahl der Flüge aus dem Nahen Osten nach Minsk hat sich verdoppelt

Nun zieht der Autokrat aus Minsk die Daumenschrauben weiter an. Nach einem Bericht der „Welt am Sonntag“ will Lukaschenko die Flugverbindungen aus dem Nahen Osten ausbauen. Nach den neuesten Landeplänen des Minsker Flughafens seien bis März 2022 wöchentlich rund 40 Flüge aus Istanbul, Damaskus und Dubai geplant.

Diese drei Airports werden derzeit am häufigsten von Flüchtlingen für Direktflüge nach Belarus genutzt, um von dort Richtung EU weiterzureisen. Damit hat sich die Zahl der Flugverbindungen aus der Region nach Minsk im Vergleich zum Winter 2019/2020 mehr als verdoppelt.

Viele der Migranten wollen weiter nach Polen und dann nach Deutschland

Nach Angaben deutscher Sicherheitskreise landen derzeit täglich rund 800 bis 1000 Migranten in Belarus. Viele wollen weiter nach Polen und dann nach Deutschland. In den ersten vier Novembertagen reisten insgesamt 572 Menschen aus Belarus illegal nach Deutschland ein, berichtete die Bundespolizei. Auf das ganze Jahr gesehen gab es demnach 8407 unerlaubte Grenzübertritte.

Endstation: Hunderte Flüchtlinge haben sich vor dem Stacheldrahtzaun an der belarussisch-polnischen Grenze versammelt.
Endstation: Hunderte Flüchtlinge haben sich vor dem Stacheldrahtzaun an der belarussisch-polnischen Grenze versammelt. © AFP | LEONID SHCHEGLOV

Polen hatte als Reaktion auf die steigende Zahl von Flüchtlingen Tausende Soldaten an der Grenze stationiert. Sicherheitskräfte zogen einen Stacheldrahtzaun hoch, im Grenzgebiet wurde der Ausnahmezustand verhängt. Das Parlament in Warschau gab zudem grünes Licht für den Bau einer befestigten Anlage an der Grenze zu Belarus. Die Barriere soll sich auf eine Länge von mehr als 100 Kilometern entlang der östlichen EU-Außengrenze erstrecken.

„Staaten wie Russland und die Türkei suchen nach Faustpfand für Verhandlungen“

Die Verschärfung der Lage kommt keinesfalls überraschend. Schon im Frühjahr warnte das Bundesinnenministerium in einem Analysepapier detailliert vor einem solchen Szenario. Bestimmte Staaten, so heißt es in dem 19-seitigen Papier, würden das Thema Migration für ihre politischen Zwecke missbrauchen und im Sinne einer hybriden Bedrohung instrumentalisieren. Es gehe dabei um die „Aufwiegelung“ und „Spaltung“ westlicher Gesellschaften.

Migration werde von solchen Staaten teilweise als „Faustpfand für Verhandlungen“ genutzt. Um den Druck auf ein Zielland wie Deutschland zu erhöhen, würden „Migrationsströme gezielt an einen bestimmten Grenzabschnitt zur EU“ gesteuert. Durch Kampagnen in sozialen Medien würde versucht, Migranten zu „massenhaftem Grenzübertritt zu mobilisieren“. Erwähnt werden in diesem Zusammenhang Staaten wie Russland und die Türkei.

Erdogan hatte der EU mehrmals gedroht, „die Toren zu öffnen“

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte der EU mehrmals gedroht, „die Tore zu öffnen“. So ließ er im Februar Hunderte Flüchtlinge aus dem Landesinneren an die türkisch-griechische Grenze fahren. Diese versuchten vergeblich, den von griechischen Behörden gebauten Zaun zu überwinden.

Das Kalkül hinter Erdogans aggressivem Kurs: Er wollte damit von Brüssel mehr Gelder für die Unterbringung von rund vier Millionen Migranten im eigenen Land sowie eine Erweiterung der EU-Zollunion erzwingen.

Nato: Wir stehen bereit, die Verbündeten zu unterstützen und für Sicherheit zu sorgen

Lukaschenko geht noch rücksichtsloser vor. Er benutzt die Migranten offen als Waffe, um die EU-Sanktionen – die der belarussischen Mangelwirtschaft wehtun – zurückzudrehen. In Brüssel schrillen bereits die Alarmglocken. Die Nato sehe die „jüngste Eskalation an der Grenze zwischen Polen und Belarus“ mit Sorge, erklärte ein Vertreter der Allianz.

Das Militärbündnis stehe bereit, die Verbündeten zu unterstützen und für Sicherheit zu sorgen. Die EU-Kommission drängte Polen, bei der Bewältigung der Migration aus dem Nachbarland Hilfe anzunehmen. Bislang hatte die Regierung in Warschau dies abgelehnt. (mit dpa)