Berlin. Bei ihrer letzten Bundestags-Rede wurde Merkel zur Wahlkämpferin. Ein bemerkenswerter Strategiewechsel, kommentiert Miriam Hollstein.

Es ist der wohl bemerkenswerteste Strategiewechsel, den wir in diesem Wahlkampf erlebt haben. Allerdings kommt er von keinem der drei Kanzlerkandidaten, sondern von der Kanzlerin.

Lange Zeit weigerte sich Angela Merkel, mit Blick auf den Kampf um ihre Nachfolge Position zu beziehen. Außer einer eher pflichtschuldig wirkenden Teilnahme am Wahlkampfauftakt von CDU/CSU im Berliner Tempodrom war von ihr kein Wort zu hören, bei wem sie das Erbe ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft für am besten aufgehoben hielte. So deutlich war ihr Schweigen, dass schon erste Witze in Berlin kursierten, man wisse ja gar nicht, ob Merkel überhaupt die CDU wähle.

Merkel begeistert sich doch noch für Laschet

Doch seit ein paar Tagen ist alles anders. Auf den letzten Metern scheint Merkel doch noch ihre Begeisterung für den Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet entdeckt zu haben – oder auch die Notwendigkeit, für ihn zu werben. Mehrfach trat sie mit ihm in den vergangenen Tagen auf, mal bei einem gemeinsamen Besuch im Hochwassergebiet, dann bei einer Veranstaltung von CDU und CSU am Montag in der Berliner Parteizentrale, bei der die neue Digitalagenda der Union vorgestellt wurde.

Jedes Mal fand Merkel dabei überschwängliche Worte für den bislang eher glücklos agierenden Laschet. Wer ein so großes Land wie Nordrhein-Westfalen führen könne, der sei auch der Richtige, um Deutschland zu führen, sagte sie. Weitere gemeinsame öffentliche Auftritte sind geplant, unter anderem am 21. September in Stralsund, Merkels Wahlkreis.

Miriam Hollstein, Chefreporterin Politik in der Zentralredaktion.
Miriam Hollstein, Chefreporterin Politik in der Zentralredaktion. © David Hollstein | David Hollstein

Merkels Rede am Dienstag im Bundestag markiert zweifelsohne den Höhepunkt dieser neuen Strategie. Merkel trat als Bundeskanzlerin ans Pult und verwandelte sich dort vor den Augen des Plenums und der Öffentlichkeit in eine Wahlkämpferin. Sie warnte vor einem Linksbündnis und warb für eine von der Union geführte Bundesregierung mit Laschet als Kanzler. Nur eine solche stehe für „Stabilität, Verlässlichkeit, Maß und Mitte“. Die Opposition schäumte.

Ist Merkels Auftritt angemessen?

Allerdings wirft Merkels Auftritt tatsächlich Fragen auf: Ist es angemessen, dass eine Kanzlerin – die per Amtsdefinition das Wohl aller Bürgerinnen und Bürger im Blick haben muss – sich im Bundestag so deutlich parteipolitisch positioniert? Oder ist das Parlament als Arena des politischen Wettstreits nicht vielleicht sogar der beste Ort für eine solche Intervention?

Dass die langjährige ehemalige CDU-Vorsitzende für den Kandidaten der eigenen Partei wirbt, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Irritierend ist aber, dass sie ausgerechnet bei ihrer letzten Rede als Kanzlerin im Bundestag es mit einer nie dagewesenen Verve tut.

Noch aus einem anderen Grund überrascht dieser Auftritt. Weil er für Merkel ein sehr untypisches Verhalten ist. Bei der Wahl des CDU-Vorsitzes hat sie sich komplett herausgehalten. Und auch, als es um die Frage ging, wer als Kanzlerkandidat für die Union ins Rennen geht, übte sie sich in Zurückhaltung.

Forsa-Umfrag fällt für Union verheerend aus

Dass sie nun so ganz gegen ihre Art sogar vor dem Parlament derart demonstrativ für Laschet eintritt, könnte man auch als Zeichen dafür werten, dass sie ihr Erbe und ihre Partei ernsthaft in existenzieller Gefahr sieht.

Wie berechtigt eine solche Sorge ist, zeigt die neueste Forsa-Umfrage. Sie fällt für die Union verheerend aus – sowohl für die Partei, als auch für Laschet. Dieser muss jetzt auf ein Wunder hoffen – oder darauf, dass es eine Art schweigende konservative Mehrheit in Deutschland gibt, die wenn schon nicht ihn, dann doch für Kontinuität in der Politik stimmen wird. Ob Merkels Vermischung ihrer Rollen am Dienstag im Bundestag Laschet eher schadet oder hilft, wird sich noch zeigen.