Berlin. Hundertfach wurde seit 2015 in Gebäude der Bundeswehr eingedrungen – oder dies versucht. Vor allem bei rechten Tätern ist das brisant.

Sie sollen Funkgeräte geklaut haben, Videokameras und Kompasse der deutschen Soldaten. Der Schaden, so schätzen es die Ermittler derzeit, ist sechsstellig. Zehn Beschuldigte hat die Staatsanwaltschaft Kiel im Visier. Davon vier aktive Bundeswehr-Soldaten.

Der Vorwurf: Sie sollen sich als Einbruchsbande zusammengeschlossen haben – und mehrfach vor allem in zwei Kasernen der Armee in Schleswig-Holstein eingestiegen sein.

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Waffen und Munition wurden – Stand jetzt – nicht durch die mutmaßlichen Täter geklaut. Brisant ist jedoch: Bei Durchsuchungen vor einigen Wochen in den Wohnungen entdeckte die Polizei bei einem der Beschuldigten Kurz- und Langwaffen und Munition sowie Material für selbstgebastelte Sprengsätze.

Über Waffenerlaubnisse verfügte der Soldat in seinem Privatleben nicht. Schießübungen hatten die beschuldigten Bundeswehrsoldaten im Rahmen ihres Dienstes absolviert.

Der Tatvorwurf ist: Bandendiebstahl – bis zu zehn Jahre Haft drohen den Beschuldigten

Laut Medienberichten gab es Hinweise darauf, dass sich die Bundeswehr-Soldaten und ihre Mittäter mit Waffen und Gerät in die Ukraine absetzen wollten. Nachbarn sollen davon berichtet haben. Nach Informationen unserer Redaktion sehen die Ermittler dafür derzeit allerdings keine Hinweise. Der Tatvorwurf ist: Bandendiebstahl – bis zu zehn Jahre Haft drohen den Beschuldigten.

Immer wieder scharf in der Kritik: Teile der Elite-Truppe „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) der Bundeswehr.
Immer wieder scharf in der Kritik: Teile der Elite-Truppe „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) der Bundeswehr. © dpa | Kay Nietfeld

Der Fall ist heikel – und kein Einzelfall. Dem Bundesverteidigungsministerium sind seit Anfang 2015 insgesamt 791 Fälle bekannt, in denen Täter in Gebäude und Liegenschaften der Bundeswehr eingedrungen sind oder dies zumindest versucht haben. Das geht aus der Antwort des Ministeriums auf Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor, die unserer Redaktion vorliegt.

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„Bei möglichem Eindringen handelt es sich um nicht zweifelsfrei nachweisbares Eindringen, wie beispielsweise Beschädigungen am Zaun“, hält das Ministerium in der Antwort fest. Details zu möglichen entwendeten Waffen und Geräten und zu den Motiven der mutmaßlichen Täter der Einbrüche nennt die Bundesregierung nicht – und beruft sich auf Geheimhaltung aus Gründen der „Militärischen Sicherheit“.

Tausende Schuss Munition der Bundeswehr „abhandengekommen“

Im aktuellen Jahresbericht schreibt die Wehrbeauftragte Eva Högl von rund 30 Meldungen im Jahr 2021, in denen es um den Verdacht von Munitionsdiebstahl ging — das war demnach vor allem Bundeswehr-Munition, die Ermittler bei Hausdurchsuchungen entdeckten.

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Das Bundesministeriums gibt für 2021 zudem an, dass zwei Handfeuerwaffen (Signalpistolen), knapp 4.000 Schuss Munition sowie in elf Fällen Sprengstoff „abhandengekommen“ sei. Laut der Wehrbeauftragten ist die Ursache „unklar“. Mit 3000 Schuss gibt die Wehrbeauftragte die Verluste für 2020 etwas niedriger an, sieht aber schon damals „dringenden Handlungsbedarf“.

Vor allem ein Fall sorgte in der Vergangenheit für Aufsehen: Bei der Elite-Truppe „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) entdeckten Ermittler auf dem Grundstück eines KSK-Soldaten ein Versteck mit Waffen, mehreren Tausend Schuss Munition und auch Sprengstoff – aus Beständen der Bundeswehr. Besonders brisant: Die Kompanie des KSK war auch mit rechtsextremen Vorfällen in die Schlagzeilen geraten. Die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer löste die Einheit schließlich sogar auf.

Rechte in Uniform: Hunderte rechtsextreme Verdachtsfälle bei der Bundeswehr

Es bleibt nicht der einzige rechtsextreme Vorfall. Laut Verteidigungsministerium wurde Ende 2021 in insgesamt knapp 1500 Verdachtsfällen gegen Extremisten in den Reihen der Bundeswehr ermittelt. Das sind 436 mehr als ein Jahr zuvor. Die allermeisten Fälle betreffen mutmaßliche Rechtsextremisten. Waffenklau und rechtsextreme Gewalttäter – es ist vor allem diese Verbindung, die Ermittlern und Bundeswehr-Kommandeuren Sorge bereitet.

Die Innenexpertin der Linksfraktion im Bundestag, Martina Renner, sieht durch die Funde an Waffen und Munition bei rechtsextremen Personen „starke Indizien“ dafür, dass rechte Netzwerke „auch innerhalb der Bundeswehr existieren“. In den Sicherheitsbehörden fehle „ein Grundverständnis dafür, was sie ideologisch eint und welche Gefahren von ihnen ausgehen“, sagte Renner.

Die vier Bundeswehr-Soldaten sind den Ermittlern bisher nicht als Kriminelle bekannt

Im Fall der Einbruchsserie in Schleswig-Holstein haben die Strafverfolgungsbehörden bisher keine Hinweise auf einen rechtsextremen Hintergrund der mutmaßlichen Täter. Sie hätten die Geräte vor allem zum Verkauf und zur eigenen Nutzung entwendet, so der bisherige Stand der Ermittlungen. Einer der Täter war dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) nach Angaben der Bundesregierung schon früher einmal aufgefallen: eine Prüfung hat den Extremismus-Verdacht demnach jedoch nicht bestätigt.

Martina Renner, Innenexpertin der Linksfraktion im Bundestag.
Martina Renner, Innenexpertin der Linksfraktion im Bundestag. © imago/Metodi Popow | imago stock&people

Die Staatsanwaltschaft Kiel prüft nun, ob die Waffen bei dem Hauptbeschuldigten aus Beständen der Bundeswehr stammen. Auch beschlagnahmte Handys, Tablets und Computer werten Kriminaltechniker aus, um Näheres zum Tatmotiv herauszufinden.

Die vier beschuldigten aktiven Bundeswehr-Soldaten waren keine Offiziere oder Unteroffiziere. Der Polizei sind sie bisher nicht als Straftäter aufgefallen. Linken-Politikerin Renner hatte zu der Einbruchsserie bei der Bundesregierung nachgehakt, wollte Details zu Motiven der Täter erfahren. Die Bundesregierung antwortet darauf nicht – mit Verweis auf die Geheimhaltung und die laufenden Ermittlungen.