Berlin. Die Corona-Krise verstärkt die Kluft zwischen Arm und Reich noch weiter. Wen es besonders trifft und welche Hilfen der Staat anbietet.

Die Pandemie verstärkt das Armutsrisiko in Deutschland deutlich. Gehaltseinbußen durch das Kurzarbeitergeld, Auftragseinbrüche oder gar ein Jobverlust stellen immer mehr Haushalte in Deutschland vor finanzielle Probleme.

Mehrere Sozialverbände und Organisationen warnen daher vor einer deutlichen Zunahme gesellschaftlicher Ungleichheit durch die Corona-Krise. Darunter leiden insbesondere Familien und gerade die Kinder, für die viele Hilfs- und Freizeitangebote wegfallen.

Corona-Pandemie verschlimmert Armut von Familien

Das dokumentiert unter anderem der Deutsche Kinder- und Jugend(hilfe)-Monitor 2021. Das letzte Jahr habe die soziale Schieflage bei Kindern, Jugendlichen und Familien „drastisch verschlimmert“ heißt es in dem Bericht. „Die Corona-Pandemie hat Kinder und Jugendliche aus Elternhäusern mit niedrigen Einkommen deutlich stärker getroffen“, erklärte die Vorsitzende des Arbeitskreises Kinder- und Jugendhilfe, Karin Böllert, am Dienstag. Deutschland habe dadurch weiterhin „ein massives Problem, Kindern und Jugendlichen gleiche Startchancen zu bieten“.

Der Bericht zeige, zudem dass jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut aufwachse. „Das Fatale ist, dass die soziale Karriereleiter unten keine Sprossen hat“, erklärte Böllert. „Wer einmal in Armut – von Hartz IV – lebt, der wird das mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent auch in den nächsten fünf Jahren noch tun.“ Lesen Sie auch: Hartz IV und Ernährung: Satt ist nicht gleich gesund

Mitte der Gesellschaft schrumpft – Armutsrisiko steigt

Die Pandemie habe aber auch die Mitte der Gesellschaft getroffen. 45 Prozent der jungen Menschen hätten Angst vor der Zukunft, ein Drittel aller Familie beklage mittlerweile Geldsorgen. Die anhaltende Isolation belaste junge Menschen außerdem zusätzlich, hieß es in dem Bericht.

Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch der Sozialverband Deutschland, der vor einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich warnt. „In den letzten fünf Jahren ist die Gruppe der Armen gewachsen und gleichzeitig der Anteil der Reichen“, sagte Verbandspräsident Adolf Bauer der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ von Dienstag. Die Mitte sei geschrumpft.

Bauer sagte, die Corona-Pandemie habe bewirkt, „dass Teile der Mitte der Gesellschaft gefährdet sind, in Armut abzurutschen“. Viele Selbstständige seien nicht mehr in der Lage, ihren Lebensstandard zu halten. „Für immer mehr Menschen wird die Lage prekär, während ein anderer Teil noch reicher geworden ist.“

Corona-Krise: Verbände fordern mehr Sozialstaat

Der Sozialverband fordert daher ein frühzeitiges Gegensteuern mit staatlichen Finanzhilfen. „Die Regierung müsste schon jetzt Hilfen für die Zeit der Überbrückung nach der Pandemie in Aussicht stellen.“ Nach dieser Krise sei „mehr Sozialstaat“ nötig und auf keinen Fall weniger. „Man wird gezwungen sein, die Steuern für Besserverdienende zu erhöhen. Vor allem Städte und Landkreise müssen besser ausgestattet werden.“

Dass durch die Corona-Krise immer Menschen auf Hilfeleistungen angewiesen sind, lässt sich beispielsweise an der Inanspruchnahme der Tafeln in Deutschland ablesen. In der Pandemie ist die Zahl der auf Hilfe durch die Tafeln angewiesenen Menschen zuletzt in vielen Städten um bis zu 20 Prozent gestiegen. Das teilte der Dachverband der bundesweit beinahe tausend Tafeln am Dienstag in Berlin mit. Vor allem Hartz-IV-Bezieher und Menschen in Kurzarbeit suchten die Einrichtungen verstärkt auf.

Insgesamt meldeten rund 40 Prozent der Einrichtungen steigende Nutzerzahlen. „Wir sehen bei den Tafeln immer mehr Menschen, die durch die Pandemie in eine existenzielle Notlage geraten sind“, erklärte Verbandschef Jochen Brühl. Seit dem vergangenen Herbst habe sich die Situation vieler Betroffener weiter zugespitzt, da Ersparnisse aufgebraucht seien sowie ganze Branchen „lahmliegen“.

Immer mehr Menschen nutzen Angebot der Tafeln

Weitere etwa 40 Prozent der Tafeln meldeten eine gleichbleibende Zahl von Kunden, berichteten zugleich aber von einer veränderten Zusammensetzung. Neben Menschen in Hartz-IV-Bezug und Kurzarbeit kämen auch merklich mehr Rentner. Zugleich blieben allerdings teilweise langjährige Besucher „pandemiebedingt“ fern. Im Zuge allgemein rückläufiger Flüchtlingszahlen sei auch die Zahl der Kunden, die Sozialleistungen als Asylbewerber beziehen, gesunken.

Die Angaben des Verbands beruhten auf einer internen Befragung der Tafeln im Frühjahr, bei der Veränderungen gegenüber einer vorherigen Umfrage aus dem Herbst 2020 erfasst wurden. Damals hatte sich die Zahl der Kunden insgesamt noch nicht erhöht, auch wenn bereits mehr Hartz-IV-Bezieher und Menschen in Kurzarbeit registriert wurden. Dieser Trend habe sich nun „verdeutlicht“.

Die Tafeln-Dachorganisation verband die Veröffentlichung ihrer Erkenntnisse mit scharfer Kritik an sozialen Versäumnissen in der deutschen Corona-Politik. Die Hartz-IV-Sätze hätten in der Pandemie „dringend“ erhöht werden müssen, erklärte Brühl. Die gewährte einmalige Sonderzahlung in Höhe von 150 Euro sei „ein Witz“. Auch die langfristigen Folgen müssten angegangen werden.

(fmg/dpa/afp)