New York. New York hat sich zum globalen Epizentrum der Corona-Krise entwickelt. Der Stadt fehlt es an Klinikbetten, Beatmungsgeräten und Ärzten.

New Yorker meiden gewöhnlich die alten Piers am Hudson River, an denen jede Woche gigantische Kreuzfahrtschiffe andocken und Touristenmassen in die Stadt spülen, die den Verkehr entlang des Flusses lahmlegen und die Taxis im Westen der Stadt besetzen. Doch an diesem Dienstag kamen sie zu Hunderten an den Fluss und vergaßen vorübergehend die strengen Regeln der sozialen Distanz, die der Bürgermeister der Stadt, Bill de Blasio, Tag für Tag den Menschen einbleut.

Grund für den Auflauf war die Ankunft der „USNS Comfort“, des lange ersehnten Krankenhausschiffes der US Marine. Das trefflich „Trost“ genannte Schiff mit 1000 Betten ist für New Yorker ein Zeichen der Hoffnung inmitten einer verzweifelten Lage. „Die Comfort“, sagte De Blasio bei einer Ansprache an der Anlegestelle, „ist ein Zeichen, dass wir nicht alleine sind.“

Eben dieses Gefühl, alleine und verlassen zu sein, hatte sich in den Wochen zuvor immer stärker in New York ausgebreitet. Die Stadt und die umgebende Region entwickelten sich rasant zum globalen Epizentrum der Corona-Krise. Nirgendwo sonst stiegen die Infektionszahlen derart dramatisch an.

New York droht von der Epidemie überrollt zu werden. Die Ressourcen der Stadt, um mit der Krise fertig zu werden, reichen nicht einmal annähernd aus. So meldete der Bürgermeister am Dienstagabend mehr als 1000 Tote und 40.000 Infizierte. Und die Zahl der Neuinfizierten steigt täglich um 30 Prozent.

Coronavirus in New York: Lange standen keine Tests auf Sars-CoV-2 zur Verfügung

Menschen warten vor dem Elmhurst Krankenhaus darauf, auf Covid-19 getestet zu werden.
Menschen warten vor dem Elmhurst Krankenhaus darauf, auf Covid-19 getestet zu werden. © AFP | Stephanie Keith

Ein Grund für diese dramatische Entwicklung: Bis Mitte der vergangenen Woche standen keine Tests zur Verfügung. Mittlerweile wurden Krankenhäuser mit Tests ausgestattet und eigene Center für die Diagnose eingerichtet.

Den Behauptungen der Bundesregierung in Washington, dass sich nun jeder, der möchte, testen lassen könne, widersprechen jedoch die Berichte aus den Krankenhäusern vor Ort. Selbst Ärzte, die an den Intensivstationen mit Covid-19-Patienten arbeiten und Symptome haben, bekommen oft noch immer keine Tests.

So kann in New York niemand sicher sein, wie viele Menschen tatsächlich infiziert sind und wo sie sich befinden. Es geht die Angst um, jeder, dem man auf der Straße begegnet, könnte ein potenzieller Virusträger sein. Jeder Gang in den Supermarkt kann auf der Intensivstation enden.

Corona-Epidemie: Gouverneur von New York rechnet mit Höhepunkt Ende April

Fest steht derzeit nur, dass die Zahlen in absehbarer Zeit weiter ansteigen werden. Der New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo rechnet damit, dass der Gipfel der Epidemie nicht vor Ende April erreicht wird. Und selbst dieser Zeitpunkt wird der geplagten Stadt kaum Entlastung bringen.

Bevor die Zahl der Infektionen und Infizierten zurückgeht, dürfte es weitere zwei bis drei Wochen dauern, so die Prognosen. Und das nur, wenn ganz streng die Ausgangssperren eingehalten werden.

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    Die Mittel, um gegen die Epidemie anzukämpfen, werden der Stadt New York jedoch schon deutlich früher ausgehen. Bürgermeister De Blasio befürchtet, dass bereits am kommenden Wochenende dramatische Engpässe in der Versorgung des medizinischen Personals mit dem Allernötigsten auftreten werden.

    Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenpfleger berichten bereits von katastrophalen Zuständen – etwa in einem Krankenhaus in Elmhurst, einem Einwandererbezirk im New Yorker Stadtteil Queens. Vier Ärzte kümmern sich dort normalerweise um die Notfälle.

    Mit dem Coronavirus sei jedoch die Anzahl der akut Erkrankten um das Fünf- bis Sechsfache angestiegen, berichtet ein Arzt aus der Klinik. Zwei seiner Kollegen seien obendrein ausgefallen, weil sie sich selbst infiziert hätten.

    Coronavirus in New York: Pfleger müssen komplizierte Aufgaben der Ärzte übernehmen

    Eine Apothekerin in Elmhurst, New York.
    Eine Apothekerin in Elmhurst, New York. © AFP | Stephanie Keith

    Nun müssten, so der Arzt, Krankenschwestern und -pfleger komplizierte Aufgaben übernehmen, etwa das Beatmen von Patienten, die bereits in einem kritischen Stadium erkrankt sind. Dutzende Corona-Kranke, die dringend auf die Intensivstation müssten, liegen auf den Gängen, warten – und sterben. In der vergangenen Woche erreichte Elmhurst den traurigen Rekord von 13 Toten an einem Tag.

    Noch schlimmer: Man sei schon lange nicht mehr dazu in der Lage, die infizierten von den nicht infizierten Patienten zu trennen, heißt es außerdem aus dem Krankenhaus. Zumal viele Patienten, die mit anderen Diagnosen eingeliefert werden, ebenfalls infiziert sind. „Man hat das Gefühl, das Virus hat das ganze Krankenhaus infiziert“, so der Arzt.

    In dieser verheerenden Situation fehlt es dem medizinischen Personal an Schutzkleidung. Zum Teil müssten Schutzmasken mehrere Tage getragen werden. Manche Ärzte behelfen sich mit selbst gebasteltem Schutz oder Taucherbrillen.

    Inzwischen geht beim Personal die Angst um: „Das ist eine Selbstmordmission“, sagt eine Ärztin aus dem ebenfalls stark betroffenen Jacobi-Krankenhaus in der Bronx. „Wir machen ständig Witze über das Sterben, um mit unserer Angst zurechtzukommen.“

    Coronavirus: New York hat nicht mal die Hälfte der benötigten Krankenhausbetten

    Ein improvisierter Lazarett für Covid-19-Erkrankte im Central Park.
    Ein improvisierter Lazarett für Covid-19-Erkrankte im Central Park. © ddp/ZUMA | VANESSA CARVALHO

    Vor der Krise hatte New York 20.000 Krankenhausbetten. Mit dem Schiff, einem improvisierten Lazarett im Central Park und der Umwandlung des Messezentrums in ein Notkrankenhaus hat die Stadt mittlerweile eine Kapazität von 50.000. Doch auch das reicht bei Weitem nicht aus, befürchtet der Gouverneur. Er geht davon aus, dass New York bis Ende April mehr als 120.000 Betten brauchen wird.

    Der größte Engpass für die Metropole sind jedoch nach wie vor Beatmungsgeräte. Schon jetzt werden zwei Patienten mit einem Gerät beatmet. Der Bürgermeister hat am Mittwoch die Bundesregierung dringend um 400 weitere Geräte bis zum Wochenende angefleht. „Sonst sterben hier Menschen.“

    Bis zum Höhepunkt der Krise in drei Wochen, so die Schätzungen, wird New York bis zu 15.000 Geräte brauchen. Woher die kommen sollen, weiß im Moment niemand. Die Regierung in Washington bestreitet den Bedarf und hält gelagerte Geräte für andere Städte zurück.

    „Wir müssen uns mit anderen Staaten und Städten auf dem freien Markt um die Geräte prügeln“, berichtet der frustrierte Gouverneur Cuomo. Und das sei erst der Anfang.

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