Berlin. Norbert Röttgen über die gescheiterte Digitalisierung der Bildung, die Rechte von Geimpften - und die Kanzlerkandidatur der Union.

  • Nach langem Warten und corona-bedingten Absagen soll am 15. und 16. Januar der neue Vorsitzende der CDU gewählt werden
  • Zur Wahl steht unter anderem der ehemalige Bundesumweltminister Norbert Röttgen
  • Im Interview spricht er über Fehler bei der Digitalisierung der Schulden, Rechte von Geimpften und mögliche Kanzlerkandidaten der Union

Noch zwei Wochen, dann ist klar, wer Nachfolger von Annegret Kramp-Karrenbauer an der Spitze der CDU wird - und möglicherweise die Union in die Bundestagswahl führt. Norbert Röttgen, der gegen Friedrich Merz und Armin Laschet antritt, meldet sich per Video aus seinem privaten Arbeitszimmer in Königswinter zum Interview.

Sie sind als Außenseiter in das Rennen um den CDU-Vorsitz gegangen und liegen in Umfragen plötzlich vorn. Staunen Sie selber?

Norbert Röttgen: Ich freue mich wirklich! In meinen Gesprächen merke ich schon länger, dass Respekt, Sympathie und Unterstützung für meine Kandidatur wachsen. Jetzt bestätigt sich das auch in den Umfragen.

Reicht die Unterstützung für eine Mehrheit unter den Parteitagsdelegierten?

Röttgen: Ich zähle keine Stimmen, weil ich davon überzeugt bin, dass jeder Delegierte seine eigene Entscheidung trifft und das oftmals auch erst auf dem Parteitag selbst. Aber die Stimmung ist wichtig und da bin ich zuversichtlich. Lesen Sie dazu: Debatte über CDU-Vorsitz: So warben die Kandidaten für sich

Falls Sie es nicht in die Stichwahl schaffen - geben Sie eine Empfehlung für einen der verbliebenen Bewerber ab?

Röttgen: Nein. Ich würde mir nicht anmaßen, als unterlegener Kandidat den Delegierten irgendwelche Ratschläge zu geben.

Wer den CSU-Vorsitzenden Markus Söder als Kanzlerkandidat will, muss Norbert Röttgen zum CDU-Chef wählen - trifft diese Einschätzung zu?

Röttgen: Mit meiner Kandidatur zum CDU-Vorsitz ist das Selbstverständnis von mir und auch der Partei verbunden, dass der CDU-Vorsitzende sich die Kanzlerkandidatur und das Amt des Bundeskanzlers zutrauen muss. Gleichzeitig habe ich von Anfang gesagt, dass das oberste Ziel der Sieg bei der Bundestagswahl ist. Dem müssen sich alle unterordnen, es geht nicht um das Ego einzelner.

CSU-Chef Markus Söder gilt den Bundesbürgern laut Umfragen als der geeignetste Kanzlerkandidat der Union.
CSU-Chef Markus Söder gilt den Bundesbürgern laut Umfragen als der geeignetste Kanzlerkandidat der Union. © AFP | Sven Hoppe

Wie lange kann die Union noch mit der Entscheidung über die Kanzlerkandidatur warten?

Röttgen: Die Verständigung über die Kanzlerkandidatur sollte sehr schnell nach unserem Parteitag beginnen. In meiner neuen Eigenschaft als CDU-Vorsitzender würde ich meinen Amtskollegen von der CSU aufsuchen, um ein erstes vertrauliches Gespräch zu führen. Ich kenne Markus Söder seit Jahrzehnten und blicke sehr positiv auf diese Zusammenarbeit.

Es gibt also ein Frühstück bei Söder in Nürnberg - und danach ist alles klar.

Röttgen: Das Frühstück, das im Hause des CSU-Vorsitzenden eingenommen wird, hat seit Angela Merkel und Edmund Stoiber eine historische Bedeutung, der ich mich nicht ausliefern möchte. (lacht)

In Zeiten der Pandemie werden Regierungschefs vor allem an ihren Krisenmanagement gemessen. Deutschland ist zu einem Corona-Problemland geworden. Was hätten Sie als Bundeskanzler anders gemacht?

Röttgen: Ich fände es anmaßend, im Nachhinein zu sagen, wie ich gehandelt hätte. Aber wir stehen alle miteinander in der Pflicht, für die Zukunft zu lernen. Wir müssen lernen, in der Pandemie und auch in anderen Krisen vorausschauend zu handeln. Unser Ziel muss sein, soweit es möglich ist, den Ereignissen nicht hinterherzulaufen.

Erst gab es zu wenig Masken, jetzt gibt es zu wenig Impfstoff.

Röttgen: Ich finde es richtig, dass die deutsche Politik einem Impf-Nationalismus eine klare Absage erteilt hat. Uns ist nicht geholfen, wenn um Deutschland herum das Virus weiter tobt. Die Impfungen haben inzwischen begonnen, und ich bin davon überzeugt, dass die Produktionskapazitäten ausgeweitet und neue Impfstoffe hinzukommen werden. Ich gehe davon aus, dass wir im Sommer einen hohen Impfgrad von 60 Prozent oder mehr in Deutschland erreichen werden.

Sollen Geimpfte mehr Freiheiten bekommen? Sonderrechte?

Röttgen: Ich möchte diesem Begriff der Sonderrechte wirklich entgegentreten. Da ist im Denken etwas verrutscht. Die Einschränkung von Freiheit ist nicht der Normalzustand - und die Wiederherstellung grundrechtlicher Freiheit kein Privileg. Es ist genau andersherum: Die Einschränkung der Freiheit ist der Ausnahmezustand. Lesen Sie dazu: Corona: Jens Spahn will keine Sonderrechte für Geimpfte

Ergo?

Röttgen: Es geht darum, welche praktischen Schlussfolgerungen man daran knüpfen kann, wenn ein Geimpfter sich selber nicht mehr gefährdet und auch andere nicht mehr gefährden kann: Soll jeder seinen Impfausweis mitführen? Das müsste dann ja auch kontrolliert werden. Es sind praktische Fragen, die geklärt werden müssen, nicht moralische. Die Einschränkung von Freiheit ist nur gerechtfertigt, so lange die Gefährdung vorliegt. Wenn die Gefährdung nicht mehr da ist durch Impfung, muss die Einschränkung prinzipiell und auch verfassungsrechtlich aufgehoben werden. Lesen Sie mehr: Impfkommission: Diese Gruppen sollen zuerst geimpft werden

Erschwert die Macht der Bundesländer eine erfolgreiche Corona-Bekämpfung?

Röttgen: Ich bin Föderalist aus Überzeugung. Wir haben allerdings eine Krise des Bildungsföderalismus, die in der Pandemie überdeutlich geworden ist. Die Bundesländer sind zuständig, gleichzeitig ist Bildung aber von überragender nationaler Bedeutung. Das föderale Bildungssystem war nicht einmal in der Lage, die fünf Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt für die Digitalisierung der Schulen auch tatsächlich auszugeben. Ich will den Ländern keine Kompetenzen wegnehmen, aber dieses Systemversagen ist inakzeptabel. Im Ergebnis sind die deutschen Schulen von der Fähigkeit, Online-Unterricht zu erteilen, in allen Aspekten weit entfernt. Von Online-Pädagogik, von hybriden Bildungskonzepten redet erst gar keiner.

Wie lange sollen die Schulen geschlossen bleiben?

Röttgen: Ich plädiere dafür, dass wir uns jetzt an den verabredeten Zeitplan halten. Es gibt keinen Grund, in die eine oder andere Richtung Ankündigungen zu machen, bevor der Zeitpunkt zur Bewertung der pandemischen Lage erreicht ist. Verlässlichkeit und Nachvollziehbarkeit des Handelns sind in der Pandemie für die Vertrauensbildung ganz besonders wichtig.

Die Regierungschefs von Bund und Ländern schalten sich am Dienstag wieder zusammen. Welche Erwartungen haben Sie?

Röttgen: Dass rationale Entscheidungen fallen, die sich auf den Rat der Wissenschaft stützen und darum einheitlich getragen werden. Es geht allein darum, die Pandemie unter Kontrolle zu bringen, um die Menschen, die Gesellschaft und die Wirtschaft zu schützen.