Berlin. Eng bestuhlte Kabinen in Flugzeugen sind in Corona-Zeiten eine Zumutung. Den Mindestabstand von 1,5 Metern muss man extra bezahlen.

  • Sich im Flugzeug vor Corona zu schützen, ist gar nicht so einfach – vorallem wenn Airlines wie die Lufthansa darauf verzichten, Mittelplätze frei zu halten
  • Ist Fliegen sicher – oder begünstigt es das Entstehen einer zweiten Corona-Infektionswelle?
  • Was sagen Virologen wie Christian Drosten und Alexander Kekulé zum Infektionsrisiko – und wie virendicht sind die Filter der Flugzeug-Klimaanlagen?

Vom Cockpit meldet sich der Pilot. Er sagt, was seine Fluglinie erfreut, aber viele an Bord irritieren dürfte: Flug LH 0202 von Frankfurt nach Berlin ist an diesem Montagabend ausgebucht, alle 168 Plätze im Airbus A320 sind belegt. Überall gilt das Abstandsgebot von mindestens 1,5 Metern, die Flughäfen achten penibel darauf – über den Wolken aber gelten andere Regeln.

Eine Airline wie die Lufthansa verzichtet seit 4. Mai darauf, die Mittelplätze frei zu halten. Und so sitzen die Menschen in der Economy-Class dicht an dicht wie vor Corona-Zeiten. Wenn die allgemeine Reisewarnung am 15. Juni aufgehoben wird und mehr Leute einen Flug in Betracht ziehen, wird es vielen Überwindung kosten – und den Fluggesellschaften Überzeugungsarbeit abverlangen. Fliegt die Angst mit?

Es gibt weltweit keinen bestätigten Fall einer Ansteckung mit Covid-19 im Flugzeug

Die Fluggesellschaften haben eine Vielzahl von Hygienemaßnahmen ergriffen. Vom Billigflieger Ryanair bis zum Premiumanbieter Lufthansa schreiben sie einen Mundschutz vor. Das hilft, um einer Tröpfcheninfektion vorzubeugen. Dass SARS-Cov-2 auch über Aerosole (in der Luft schwebende Tröpfchenkerne) übertragen wird, glauben sie nahezu ausschließen zu können, weil die Atemluft in der Maschine laut Lufthansa alle drei Minuten ausgetauscht wird.

Sie wird samt möglichen Viren nach unten abgezogen und gefiltert, während von oben frische Luft strömt. Ein Lufthansa-Sprecher sagte unserer Redaktion, seines Wissens „gibt es weltweit keinen Fall einer bestätigten Ansteckung im Flugzeug“.

Das trifft bislang auf Covid-19 zu und überrascht nicht, weil der Luftverkehr nahezu vollständig zum Erliegen gekommen ist. Der Münchner Virologe Oliver Keppler erinnerte am Donnerstagabend in der ARD allerdings an den Fall eines Mannes, der mit offener Tuberkulose ein Flugzeug bestieg und elf Mitreisende ansteckte. Keppler sieht die Praxis der Fluggesellschaften betont kritisch.

Deutschlands prominentester Virologe Christian Drosten erklärt in seinem jüngsten Podcast, insgesamt könne Luftzug helfen. Vom Flugzeug wisse man, „dass das Aerosolrisiko relativ gering ist“. Man gehe nicht davon aus, dass die ganze Flugkabine betroffen wäre. „Da gibt es wirklich Daten, die das zeigen.“ Wohlgemerkt, die ganze Kabine.

Wie virendicht sind die Filter der Klimaanlagen in den Flugzeugen?

Zwar hält es auch der Virologe Alexander Kekulé aus Halle für „sehr unwahrscheinlich, dass sich jemand ansteckt, der weiter als eine Reihe entfernt sitzt.“ Aber anderes sieht die Sache eben in der Nahzone aus, also beim direkten Neben- und Hintermann, meint der Berliner Epidemiologe Timo Ulrichs.

Beide Wissenschaftler befürworten eine freie Mittelreihe – was immer noch einen deutlich geringeren Abstand als die empfohlenen 1,5 Meter bedeuten würde. Ulrichs sagt, „ein halber Meter Abstand ist besser als nichts“. Er zieht auch in Zweifel, ob die Filter in den Flugzeugen wirklich virendicht sind.

Sein Kollege Keppler verweist auf Simulationen in der USA, wonach Aerosole sich bis zu vier Minuten in der Kabine halten. Keppler bezieht sich auch auf die Weltgesundheitsorganisation WHO, die eine Risikozone in den zwei Reihen vor und hinter einer erkrankten Person sehe.

„Der Gesundheitsschutz hat höchste Priorität“, stellt Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im Gespräch mit unserer Redaktion klar. Um Vertrauen zurückzugewinnen, hielte er es für die Kurz- und Mittelstrecke für sinnvoll, auf höhere Anforderungen des Mund- und Nasenschutzes mit FFP2-Masken zurückzugreifen - „Somit besteht die Chance, den Mittelplatz nicht freihalten zu müssen“, meint Scheuer.

• Kommentar: Luftfahrbranche geht mit ihren Corona-Regeln hohes Risiko ein

„Keine Airline der Welt kann ein Drittel ihrer Sitze blocken“

Die Lufthansa hat schon am 4. Mai darauf verzichtet, nachdem sie im März und April tatsächlich noch die Mittelreihen freigehalten hatte. Lufthansa-Chef Carsten Spohr sagt, „keine Airline der Welt kann ein Drittel ihrer Sitze blocken. Dann ist kein Flug mehr profitabel.“ Wenn die Airlines nur noch rund 60 Prozent aller Plätze verkaufen können, machen sie Verluste. Dem Vernehmen brauchen sie eine Auslastung von mehr als 75 Prozent, um in die Gewinnzone zu kommen, zumindest wenn man von den bisherigen Flugpreisen ausgeht. Ob sie höhere Ticketpreise durchsetzen könnten, ist ungewiss.

„Dann muss man bereit sein, mehr für ein Ticket zu bezahlen. Das geht nicht anders“, meint der EU-Abgeordnete Peter Liese (CDU), von Beruf Arzt und einer der schärfsten Gegner der aktuellen Praxis der Airlines. Er empfindet es als „himmelschreiende Ungerechtigkeit“, dass man Betreibern von Fitnessstudios, von Restaurants oder Kinos Einnahmeverluste zumutet, wenn sie ihre Räume nicht voll ausnützen können, bei den Fluggesellschaften aber ein anderes Maß anwendet.

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Zusammen mit dem Virologen Timo Ulrichs hat er in Briefen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) die strengen Empfehlungen der zwei europäischen Luftfahrt-Agenturen ECDC (Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten) und EASA (Europäische Agentur für Flugsicherheit) nahegelegt, nämlich einen Mittelsitz und/oder jede zweite Reihe frei zu halten. Im Klartext: Entweder die Airlines verpflichten sich freiwillig oder werden gesetzlich dazu verpflichtet.

Liese und Ulrich schreiben, sie müssten darauf hinweisen, dass eine großflächige Wiederaufnahme des Flugverkehrs mit erheblichen Risiken für die Verbreitung des Coronavirus einhergehe. „Und generell begünstigt ein zunehmender Flugverkehr eine für den Herbst befürchtete zweite Welle der Coronavirus-Pandemie.“

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Begünstigt das Fliegen eine zweite Welle im Herbst?

Eine einheitliche Regelung wäre ganz in Scheuers Sinne. „Wir arbeiten europäisch und weltweit an einer Lösung.“ Scheuers Sorge ist, dass die eine Fluggesellschaft jeden Sitz belegen darf und die andere nicht.

Die Lufthansa hat die allgemeine Maskenpflicht an Bord zunächst bis zum 31. August befristet. Schon daran sieht man, dass die Airlines auf Sicht fliegen. Momentan wird an jedem Passagier eine kleine Wasserflasche und ein Keks verteilt. Die Passagiere nehmen kurz die Maske ab, um am Keks zu knabbern und einen Schluck Wasser zu trinken. Aber auf den längeren Strecken müssten die Passagiere richtig versorgt werden und damit über längere Zeiträume die Masken abnehmen. Billigflieger Ryanair will das Schlangestehen vor der Flugzeugtoilette untersagen. Die Flugbegleiter sollen die Passagiere nur auf Anfrage zur Toilette gehen lassen.

Minister Scheuer kennt die Probleme. Ihm ist klar, „wir müssen auf EU-Ebene und auch weltweit gemeinsam mit der Wissenschaft neue Standards festlegen.“ Scheuer: „Die Zeit drängt.“

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