Washington. US-Präsident Joe Biden ist seit 100 Tagen im Amt. Das sind seine Erfolge in der Corona-Krise und die Meinung der Bevölkerung über ihn.

Timing, sagt Joe Biden, sei alles alles in der Politik. Pünktlich zum 100-Tage-Jubiläum am 29. April glaubt der Präsident der USA mit zwei weithin populären Entscheidungen den Nerv der Zeit zu treffen. Für Hunderttausende Arbeitnehmer, die im Auftrag der Zentralregierung tätig sind, soll der Mindestlohn auf 15 Dollar die Stunde nahezu verdoppelt werden. Gleichzeitig sollen reiche Bürger für Aktiengewinne künftig doppelt so hohe Steuern zahlen müssen.

Zwei von Dutzenden Instrumenten, mit denen Biden in seiner ersten Rede vor dem Kongress in Washington am 28. April darlegen wird, wie und warum er Amerika auf einen neuen Kurs bringen will.

Biden: Covid-Bekämpfung als erster Erfolg

Die Umfragenwerte zeigen ein polarisiertes Land. 60 Prozent waren laut einer Umfrage des Pew-Instituts im April mit Bidens Arbeit und der seiner organisiert auftretenden Regierungsmannschaft einverstanden. Fast 20 Prozentpunkte mehr als Vorgänger Donald Trump nach 100 Tagen hatte, aber weniger als bei George W. Bush (63 Prozent) und Barack Obama (69 Prozent).

Als ersten Fleißkarte kann Biden den Stand bei der Covid-Bekämpfung verbuchen. Dank massiver Intervention der Regierung sind im 330 Millionen-Volk bereits über 50 Prozent der Erwachsenen und 80 Prozent der über 65-Jährigen mindestens ein Mal geimpft. Statt versprochenen 100 Millionen Dosen in den ersten 100 Tagen landeten bis heute knapp 220 Millionen in US-Oberarmen. Von 3500 Toten pro Tag vor der Inauguration am 20. Januar ist die Zahl der Corona-Opfer zuletzt im Schnitt auf unter 700 gesunken.

Trump wollte Biden Demenz andichten

Was man an ihm schätzt: Biden beleidigt nicht, zettelt nicht alle halbe Stunde via soziale Medien Scharmützel an. Das hat die Temperatur im politischen Grabenkampf gesenkt. Biden ist anders als die Karikatur vom „Sleepy Joe”, den Trump aus ihm machen wollte: Agil und schwer zu packen. Lesen Sie hier: Warum Biden nun das Massaker an Armeniern Völkermord nennt

Der Mann aus Delaware hat sich die impulsiven Aussetzer der Vergangenheit abdiszipliniert. Republikanische Versuche, dem 78-Jährigen Demenz oder Fremdbestimmung anzudichten, schlugen kolossal fehl. Schadenfreude, als der Präsident auf der Treppe der Air Force One ins Straucheln geriet, löste Kopfschütteln aus. Biden, zeitlebens politisch in der Mitte zu verorten gewesen, macht sich wie mit einer Camouflage-Decke sein leutseliges Image als „Onkel Joe” zunutze.

Biden: Pragmatiker mit Bauchgefühl für Stimmungsumschwünge

So einer löst nicht automatisch Argwohn aus, wenn er sich plötzlich in einer Weise links-progressiv gebärdet, mit der kaum jemand gerechnet hatte. Selbst Bernie Sanders und Elizabeth Warren, im parteiinternen Wahlkampf die linken Gegenspieler Bidens, reiben sich verwundert die Augen.

Dabei war Biden stets Pragmatiker mit Bauchgefühl für Stimmungsumschwünge. Heute leite ihn die Überzeugung, dass die beispiellose Corona-Pandemie-Krise, die über zehn Millionen Jobs vernichtet hat, den in Amerika notorisch skeptisch beäugten Staat dazu verpflichtet, sein Hochleistungsvermögen unter Beweis zu stellen.

Darum der knapp 2000 Milliarden Dollar schwere „Rettungs-Plan” (bereits genehmigt) für Firmen, Familien und Kommunen. Darum der große, an Franklin D. Roosevelt (1933 bis 1945) erinnernde Wurf, die marode öffentliche Infrastruktur (äußerlich: Straßen, Brücken, Häfen, innerlich: die schwindsüchtigen Sozialsysteme) bei strikter Wahrung von Klimaschutz-Kriterien zu sanieren und dabei Millionen neuer Jobs zu initiieren. Bidens „Jobs-Plan” im Volumen von weiteren 2200 Milliarden Dollar hat noch Fragezeichen. Die Zustimmung im Kongress ist ungewiss.

Joe Biden drückt aufs Tempo

Biden ist der Auffassung, dass sich in dieser Dekade erweisen wird, ob westliche Demokratien im Abgleich zu autoritären Staatsmodellen (China etc.) noch „für ihre Leute sorgen können”. Verweise auf die exorbitante Neuverschuldung der öffentlichen Hand tut er ab. Es sei „riskanter” in der monumentalen Krise „zu wenig auszugeben anstatt zu viel”.

Bis die Republikaner bei den Zwischenwahlen im Kongress im Herbst 2022 die Mehrheitsverhältnisse möglicherweise zu ihren Gunsten kippen, soll möglichst viel in trockenen Tüchern sein. Darum drückt Biden, den Zeitgeist im Rücken, aufs Tempo. Auch interessant: Biden will Truppen bis September aus Afghanistan abziehen

Zwei von drei Amerikanern billigen Bidens Hilfspakete

Die Auffassung der Opposition, die seine Programme als sozialistisch diffamiert, wird in der Bevölkerung so nicht geteilt. Zwei von drei Amerikanern billigen Bidens Hilfspakete. Bei parteiunabhängigen Wählern sind es sieben von zehn. Bei den Republikanern sind fast ein Drittel für die sozialdemokratisch angehauchte Politik des Präsidenten empfänglich. Mehr zum Thema: Flüchtlingsdrama wird zur Feuerprobe für Kamala Harris

Der macht bei der Durchsetzung seiner Prioritäten keine Gefangenen. Biden will zwar Kooperation über Parteigrenzen hinweg. Weil die Gegenseite das Angebot ausschlägt, zuletzt beim Infrastruktur-Programm mit einer abgespeckten Version dagegen hält, schultert der Präsident die Dinge unter Ausnutzung parlamentarischer Verfahrenstricks allein mit den Demokraten. Auch das, sagt er, sei eine Frage des Timings.