Berlin/Schlat. Im Vergleich zu Israel oder Großbritannien liegt Deutschland beim Impfen weit zurück - herbe Kritik kommt von Vizekanzler Olaf Scholz.

  • Gemessen an der Einwohnerzahl liegt Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern zurück
  • Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) kritisiert den Koalitionspartner scharf. 24 Fragen sollen klären, warum Deutschland so wenig Impf-Dosen bestellt hat
  • Das Bundesgesundheitsministerium will jetzt den Abstand zwischen erster und zweiter Impfung vergrößern. Dann könnten zunächst mehr Menschen gegen das Coronavirus erstgeimpft werden

Hermann Seimetz hat es geschafft. Seit Samstag sind der 82-jährige Pensionär aus dem baden-württembergischem Schlat und seine Frau gegen Corona geimpft. Den Termin dafür hatte seine Tochter online besorgt, nachdem sie in der Hotline in der Warteschleife hängen blieb. Gewundert hat sich Seimetz, der lange für die CDU im Landtag war, dass in der Stuttgarter Liederhalle, wo er geimpft wurde, kaum Andrang war. Auch einen Termin für die notwendige zweite Impfung hat er noch nicht. Bei der Hotline wurde ihm mitgeteilt, derzeit sei nicht genügend Impfstoff vorhanden.

Rund 265.000 Impfungen meldete das Robert-Koch-Institut am Montag. Gemessen an der Einwohnerzahl liegt Deutschland damit weit hinter Ländern wie Israel, Großbritannien und Dänemark. Es häufen sich Berichte, was alles hierzulande schiefläuft.

EU in der Kritik: Es fehlt an Impfstoff

Das größte Problem: Es ist nicht genügend Impfstoff vorhanden. So konnte etwa in Berlin zum Impfstart am 27. Dezember mangels ausreichendem Impfstoff nur eines von sechs Impfzentren die Arbeit aufnehmen. Über Silvester musste es aus demselben Grund ganz schließen.

Politisch hat das Sündenbock-Spiel, wer für die schleppenden Impfungen verantwortlich ist, schon begonnen. Besonders in der Kritik steht die EU. Verzockt habe sie sich bei den Impfverhandlungen, lautet der Vorwurf. Im Sommer hatte sie bei sechs Herstellern rund zwei Milliarden Impfdosen bestellt, doch bei einigen dauert es mit der Zulassung noch länger. Im Vergleich: Israel hatte nur auf drei Unternehmen gesetzt, aber auf die richtigen, was die Schnelligkeit betrifft – Biontech/Pfizer, Moderna und Astra Zeneca.

Ein Frontalangriff von Vizekanzler Olaf Scholz

SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz hat scharfe Kritik geübt und in der Kabinettsitzung der Bundesregierung am Montag einen Fragen-Katalog vorgelegt, der es in sich hat. Der Vize-Kanzler will von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) unter anderem wissen, warum Deutschland so wenig Impf-Dosen bestellt habe, das berichtet die "Bild"-Zeitung. Dabei soll Scholz im Namen der SPD-regierten Bundesländer gehandelt haben.

Der Fragenkatalog ist umfangreich: Auf vier Seiten und in 24 Fragen und 48 Unterpunkten erbittet Scholz eine baldige Antwort. Es gehe vor allem um die Fragen, warum die EU-Kommission so wenig Impfdosen vorbestellt habe und warum die EU höhere Lieferangebote von Biontech und Moderna auschlug.

Dass die EU auch für Deutschland die Verhandlungen mitübernahm, soll einem Bericht der "Bild"-Zeitung zufolge vor allem auf Betreiben von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) passiert sein, die damit Gesundheitsminister Jens Spahn die Zuständigkeit entzogen habe – um ihre Ratspräsidentschaft zu retten. Es sei eine gemeinsame Entscheidung gewesen, die Verhandlungen der EU-Kommission zu übertragen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Diese habe als Vertreterin von 27 Ländern in den Verhandlungen auch eine "gewisse Marktmacht" gehabt.

Spahns "Impfallianz" wurde im Sommer zurückgepfiffen

Einfache Schuldzuweisungen greifen in der Tat zu kurz. Schon im Sommer hatte Spahn mit seinen Amtskollegen aus den Niederlanden, Frankreich und Italien eine europäische "Impfallianz" gebildet und mit AstraZeneca einen Vertrag über 300 Millionen Impfdosen abgeschlossen.

Bei einem Treffen der EU-Gesundheitsminister wurde dann aber beschlossen, die Verhandlungen der Kommission zu übertragen. Das dürfte auch an den Erfahrungen des Frühjahrs gelegen haben. Damals hatte Deutschland vorübergehend ein Exportverbot für Schutzmasken und andere Schutzkleidung verhängt und damit eine tiefe Krise in den deutsch-italienischen Beziehungen ausgelöst.

Außerdem wurde ein zerstörerischer Überbietungswettbewerb befürchtet, wenn alle EU-Länder einzeln mit den Pharmafirmen über Impfstoffkontingente verhandeln würde. Dass der Vertrag mit Biontech erst im November zustande kam, war auch dem Mitspracherecht aller EU-Länder bei den Verhandlungen geschuldet.

Zweite Impfung soll verschoben werden

Das eigentliche Problem ist jedoch nicht die bestellte Zahl von Impfdosen, sondern die Produktionsknappheit. Jens Spahn will dies nun auf mehreren Ebenen beheben. Das geht aus einem internen Papier des Bundesgesundheitsministeriums hervor, das unserer Redaktion vorliegt. So soll der Abstand zwischen der ersten und der zweiten Impfung verlängert werden, damit sich mehr Menschen erstimpfen lassen können. Momentan liegt die Frist bei maximal 42 Tagen nach der Erstimpfung. Spahn lässt nun prüfen, ob eine spätere Zweitimpfung den Impfschutz wesentlich beeinträchtigen würde. In Großbritannien ist die Frist bereits verlängert worden, auf bis zu zwölf Wochen.

Außerdem soll der existierende Impfstoff von Biontech/Pfizer besser genutzt werden. Pro Behälter wurden bisher nur fünf Dosen verimpft, möglich sind aber bei einer Entnahme mit den richtigen Spritzen sechs Dosen. Damit könnte die Zahl der derzeit verfügbaren Impfdosen um 20 Prozent erhöht werden, heißt es im Strategiepapier.

Spahn braucht Erfolge. Denn auch der Minister ist in der Kritik. Bis heute hängt ihm nach, dass im Frühjahr nicht genügend Schutzmasken für das Klinikpersonal geordert wurden. Auch der Impfstart verlief alles andere als reibungslos, in einigen Bundesländern kamen die versprochenen Impfmengen nicht an. Dafür ist aber der Bund zuständig.

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    Schlechtes Impfmanagement ist Thema beim Bund-Länder-Gipfel

    Schwierigkeiten gibt es auch mit der telefonischen Hotline 116117. Diese ist eigentlich die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes und in einigen Bundesländern mit dem zusätzlichen Service überlastet. In einem internen Papier der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist von einer „teils sehr unbefriedigenden Situation“ die Rede. Vor allem in Bayern, Baden-Württemberg und Berlin seien die Call-Center in den ersten Tagen schlecht besetzt gewesen.

    Das schlechte Impfmanagement soll auch Thema sein, wenn sich Bund und Länder am Dienstagvormittag zum Corona-Gipfel zusammenschalten. Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, fordert mit Blick auf das Treffen dringend ein bundeseinheitliches Vorgehen. Auch in einem föderalen System müsse es "bei einer so wichtigen Aufgabe wie der Bekämpfung der Pandemie möglich sein, bundeseinheitlich koordiniert vorzugehen“", sagte Reinhardt dieser Redaktion.

    "Ich appelliere deshalb an die Ministerpräsidenten, die Corona-Schutzmaßnahmen und auch Impfungen in den Ländern abgestimmt und zeitgleich zu organisieren. Ein Potpourri länderspezifischer Regelungen, welche Bevölkerungsgruppen zuerst geimpft werden und wie Impftermine vereinbart werden können, führt nur zu Verunsicherung und stellt Krisenmanagement in Frage." Die Menschen würden jetzt eine einheitliche Strategie erwarten, wann sie wo geimpft werden: "Dazu sind auf der morgigen Bund-Länder-Konferenz verbindliche Beschlüsse erforderlich."

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      Ärztevertreterin weisen auf mangelnde Routine hin

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