Berlin. Durch die Feiertage sind die Corona-Daten weiterhin nicht belastbar. Ab wann kann man das Infektionsgeschehen wieder bewerten?

Wie wirkt der harte Lockdown? Beginnt sich die Pandemielage zu entspannen? Nach vier Wochen hat RKI-Chef Lothar Wieler am Donnerstag eine erste Bilanz gezogen – sie fällt nicht gut aus. Nicht nur weil die Zahl der neu gemeldeten Todesfälle mit 1244 einen neuen Höchststand erreicht hat. Nicht nur weil es noch immer so viele Neuinfektionen gibt, dass die Marke von insgesamt zwei Millionen Fällen in Kürze erreicht ist.

„Dieser Lockdown ist nicht so effektiv wie der im Frühjahr“, warnt der Präsident des Robert Koch-Instituts. Heißt: zu viele Kontakte, zu viel Mobilität, zu wenig Disziplin. Würde man nachschärfen, würde man dem Virus weniger Chancen geben, sagt der Regierungsberater. „Für mich ist das kein vollständiger Lockdown, es gibt immer noch zu viele Ausnahmen.“

Corona-Daten: Wie belastbar sind die aktuellen Zahlen?

Neue Infektionsfälle, Sieben-Tage-Inzidenz, Reproduktionszahl: Alle drei Werte seien nach den Test- und Meldeverzögerungen durch die Feiertage erst in knapp einer Woche wieder endgültig belastbar, so Wieler. Bis zum kommenden Donnerstag könne man sicher sagen, ob die jüngsten Trends stabil seien. Aktuell sinkt die Sieben-Tage-Inzidenz (neue Fälle pro 100.000 Einwohner), liegt aber immer noch bei über 150 Fällen und damit dreimal so hoch wie die vorläufige Zielmarke von weniger als 50 Fällen.

Auch der R-Wert geht seit einigen Tagen leicht zurück, liegt aber immer noch im Schnitt über der Marke von 1,0. Ein Infizierter steckt damit im Schnitt immer noch eine weitere Person an. Ziel ist ein R-Wert unter 0,7. Die Zahl der Neuinfektionen innerhalb eines Tages lag am Donnerstag bei 25.164 Fällen. „Die Fallzahlen haben sich möglicherweise stabilisiert“, sagt Wieler. „Doch das Niveau ist deutlich zu hoch.“

Wie verbreitet ist die Corona-Mutation in Deutschland?

Noch nicht kalkulierbar ist die Wirkung der neuen, hochinfektiösen Virusvarianten: Bekannt seien hierzulande bislang 16 Fälle von Infektionen mit der britischen Mutante, mindestens 15 davon seien durch Einreisende ins Land gekommen. Zudem gebe es vier Fälle mit der südafrikanischen Mutante, ebenfalls bei Reiserückkehrern.

Nach jetzigem Stand spreche nichts dafür, dass die Virusvariante in Deutschland schon weitverbreitet sei, sagt Wieler. Eine Entwarnung ist das nicht. Denn: Die britische Mutante ist laut RKI um 50 Prozent infektiöser als die herkömmlichen Varianten – angesichts der nach wie vor hohen Mobilität der Deutschen könnte sie sich, einmal eingeschleppt, rasant übers Land verbreiten. „Es besteht die Möglichkeit, dass sich die Lage noch verschlimmert“, warnt Wieler.

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Wie ist die Lage in den Kliniken?

Anfang Januar wurden mehr als 5700 Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen behandelt, 90 Prozent von ihnen mussten beatmet werden. Seitdem sinkt die Zahl und liegt jetzt bei rund 5200. Für Wieler „ein schönes Zwischenergebnis“ – aber noch nicht belastbar.

Auch der Aachener Intensivmediziner Gernot Marx ist vorsichtig: „Wir sehen jetzt die allerersten Anzeichen, dass der Lockdown wirkt. Wir müssen jetzt aber konsequent weitermachen“, sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) unserer Redaktion. „Es kann gut sein, dass wir noch sehr lange harte Einschränkungen benötigen.“

Corona-Pandemie: Kliniken nach wie vor an Belastungsgrenze

Trotz leicht sinkender Zahlen seien die Kliniken nach wie vor in vielen Regionen an ihrer Belastungsgrenze. „In Ampelfarben gesprochen: In elf von 16 Bundesländern ist die Ampel rot, dort gibt es weniger als 15 Prozent freie Intensivbetten. Entspannt ist etwas anderes.“

Lockerungen sollten aus Sicht der Intensivmediziner erst greifen, wenn sich die Patientenzahl auf den Intensivstationen deutlich reduziert habe. „Die Zahl der intensivmedizinisch versorgten Covid-19-Kranken muss dafür bundesweit stabil klar unter 1000 Patienten liegen.“ Man dürfe nicht vergessen: „Jeder zweite Covid-19-Patient, der klinisch behandelt wurde, ist verstorben.“

Infektionsschutz: Muss der Lockdown verschärft werden?

„Die Mobilität ist zu hoch“, sagt Wieler und appelliert: „Arbeiten Sie zu Hause, treffen Sie nur wenige Menschen und möglichst immer dieselben.“ Mit Blick auf die Beschäftigten, die im Homeoffice arbeiten könnten, aber es nicht tun, warnte der RKI-Chef: Viele würden sich im Büro zwar an die Corona-Hygieneregeln halten, nicht aber in den Pausen: „Man steckt sich beim Mittagessen an.“

Das Plädoyer ist klar: Die Kontakte müssen weiter reduziert werden. Im Job wie im Privaten. Und wie? Eine strenge Ein-Freund-Regel? Schärfere Ausgangsbeschränkungen? Studien zeigten, dass etwa die Beschränkung des Bewegungsradius auf 15 Kilometer die Mobilität gerade mal um fünf Prozent reduzieren würde. „Wenn man den Radius verringert, ist der Effekt ungleich höher“, sagt RKI-Epidemiologe Dirk Brockmann. Es klingt wie ein Vorschlag für das nächste Treffen der Kanzlerin mit den Länderchefs.

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Lauterbach: Wirkung des Lockdowns bisher enttäuschend

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach teilt Wielers Einschätzung: „Der Lockdown ist nicht so erfolgreich, wie er sein muss“, sagte der Mediziner dieser Redaktion. „Die Wirkung ist bisher noch enttäuschend. Wir sind in einer sehr prekären Situation.“

SPD-Gesundheitsexperte Karl lauterbach ist vom eigentlich
SPD-Gesundheitsexperte Karl lauterbach ist vom eigentlich "harten" Lockdown enttäuscht. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Würden sich ansteckendere Corona-Varianten stärker in Deutschland verbreiteten, so Lauterbach, „hätten wir ein Riesenproblem“. Die Unternehmen müssten stärker in den Lockdown einbezogen werden, forderte der SPD-Politiker. „Wir sollten das Homeoffice verpflichtend machen - dort, wo es geht.“

Die Unternehmen selbst seien gut beraten, ihren Beitrag zu leisten, um den Lockdown erfolgreich zu Ende zu bringen. „Andernfalls können wir irgendwann gezwungen sein, auch Betriebe zu schließen. Möglicherweise müssten wir sogar an die Industrieproduktion heran.“ Das könne niemand wollen.

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Beim nächsten Corona-Gipfel könnte der Lockdown wieder verschärft werden

Am 25. Januar wollen Bund und Länder über das weitere Vorgehen beraten. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ist das zu spät: Er wolle bei Kanzlerin Angela Merkel darauf dringen, dass die geplante Videokonferenz mit den anderen Ministerpräsidenten auf nächste Woche vorgezogen wird.

Kretschmann sagte, er werde sich für „weitere und schärfere Maßnahmen“ einsetzen. Zur Begründung nannte auch er die weiter hohen Infektionszahlen und die neu aufgetretenen Virus-Varianten aus Großbritannien und Südafrika. „Wir befinden uns noch nicht in einem Abwärtstrend“, mahnt Kretschmann.