Washington. Oberster US-General fürchtete Atomkrieg unter Trump: Neues Buch schildert sensationelle Abläufe nach dem Sturm auf das US-Kapitol.

Aus Angst vor einem möglichen Krieg gegen China und einem atomaren Erstschlag wies der ranghöchste Offizier im US-Militär seine Generäle an, sich nach dem Aufstand im US-Kapitol Befehlen des damaligen Präsidenten Donald Trump zu widersetzen.

In seinem neuen Buch „Peril“, („Gefahr“) schildert der legendäre Washington Post-Journalist Bob Woodward geradezu skurril anmutende Szenen vor und nach dem 6. Januar, an dem 10.000 Trump-Anhänger in der Hoffnung den Wahlsieg Joe Bidens kippen zu können, das Kapitol stürmten.

Die Serie von Memoiren und anderen Büchern über den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump und dessen Familie reißt nicht ab. Dabei dürfte keine andere Schilderung der chaotischen Abläufe unter dem 45. Präsidenten so hohe Wellen schlagen wie das neue Werk von Woodward und dessen Kollege Robert Costa.

Unter Berufung auf hunderte von Interviews, Zeugenaussagen, Mitschriften von Telefonaten und anderen Dokumenten schreiben die Reporter, dass Generalstabschef Mark Milley zwei Tage nach dem Aufstand eine Sondersitzung im Pentagon einberufen hatte. Dort wies er seine Generäle an, keinem militärischen Befehl des Präsidenten zu folgen, ohne ihn zunächst zu informieren und seine Zustimmung zu erhalten.

Ein Bild aus dem Jahr 2019 (v. links n. rechts): Robert O’Brien, Ex-Sicherheitsberater, Mike Pence, Ex-Vize-Präsident der USA, Donald Trump, Ex-Präsident der USA, Mark Esper, Ex-Verteidigungsminister und Mark Milley, Generalstabschef, kontrollieren im Weißen Haus die Entwicklungen der US-Spezialkräfte.
Ein Bild aus dem Jahr 2019 (v. links n. rechts): Robert O’Brien, Ex-Sicherheitsberater, Mike Pence, Ex-Vize-Präsident der USA, Donald Trump, Ex-Präsident der USA, Mark Esper, Ex-Verteidigungsminister und Mark Milley, Generalstabschef, kontrollieren im Weißen Haus die Entwicklungen der US-Spezialkräfte. © dpa | Shealah Craighead

Milley sei durch den Raum gegangen, habe jedem General in die Augen geschaut und gefragt: „Verstanden?“. Der Generalstabschef habe jedes „Ja“ als „Schwur“ betrachtet, den keiner der Offiziere verletzen dürfe. Dies, obwohl der Präsident laut Verfassung zugleich der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte ist und theoretisch eigenhändig handeln könnte.

Indem er das Heft an sich riss, begab sich der General nämlich einerseits in eine juristische Grauzone. Denn selbst in der Rolle des ranghöchsten Offiziers der US-Streitkräfte wäre Milley bei einer Kriegsentscheidung nicht formal in die Befehlskette eingebunden gewesen, wenn der Präsident den Schießbefehl gibt. Folglich kritisierten Trump-Loyalisten seine Aktion als rechtswidrigen Alleingang, und der Republikaner Marco Rubio forderte sogar Milleys sofortigen Rücktritt.

Anders sehen es führende Militärkräfte, wie der frühere Generalleutnant Mark Hertling. „Milley hat das Richtige getan. Schließlich ging es um die nationale Sicherheit und den Schutz unserer nuklearen Waffenarsenale, in einer so seltenen Situation muss die Entscheidung in das Ermessen des Oberbefehlshabers gestellt werden“, so Hertling.

Sturm aufs Kapitol verunsicherte chinesischen General

So oder so – Milley hat aus wachsende Sorge über den beschleunigten „geistigen Verfall des Präsidenten“ gehandelt, wie er sagte. Er hatte die akute Angst davor, dass Trump „durchdrehen“ könnte. Bereits vorher hatte der General erfahren, dass Trump unmittelbar nach seiner Wahlniederlage mit den Truppenabzug aus Afghanistan angeordnet hatte.

Das Dekret hatten zwei Trump-Loyalisten verfasst und weder Milley noch den Verteidigungsminister und Nationalen Sicherheitsberater oder die CIA-Direktorin Gina Haspel informiert. Auch rief der Generalstabschef nach der Wahl den chinesischen General Li Zuocheng an, um ihm zu versichern, dass die USA keine Absicht hätten, seiner Nation den Krieg zu erklären.

Nun, nach dem Aufstand am 6. Januar befürchtete Milley noch Schlimmeres, etwa einen „versehentlichen Krieg“ mit dem Reich der Mitte oder sogar einen Versuch seitens des Präsidenten, einen Nuklearangriff in die Wege zu leiten.

Dabei war ausgerechnet Nancy Pelosi, die demokratische Mehrheitschefin im Repräsentantenhaus, die den ranghöchsten General überredete, aktiv zu werden, heißt es. Pelosi redete Milley ins Gewissen und sagte: „Sie wissen doch, dass er verrückt ist, und zwar schon seit langer Zeit“. Wenn Trump seine Anhänger zur Stürmung des Kapitols überreden könne, „wer weiß, wozu er dann sonst noch fähig ist?“, fragte die mächtige Demokratin. „Madame Speaker, ich stimme Ihnen in jedem Punkt zu“, antwortete der General und berief darauf hin die Notsitzung im Pentagon ein.

Donald Trump schaute dem Mob aus dem Fenster zu

Obwohl unklar ist, ob Donald Trump es wirklich auf einen Krieg hätte ankommen lassen, sind Woodward und Costa sicher, dass er versuchen wollte, den Amtsantritt des Wahlsiegers Joe Biden zu verhindern. Als sich am Tag vor der Rebellion seine glühenden Anhänger vor dem Weißen Haus versammelten und jubelten, schaute Trump aus dem Fenster zu.

Seinem Vizepräsidenten Mike Pence soll er gesagt haben, wie „cool“ es doch wäre, wenn Pence, dem die Zertifizierung des Wahlergebnisses oblag, dies einfach verweigert. Als die Nummer Zwei im Weißen Haus dies kategorisch ablehnte, meinte Trump im Stil eines beleidigten Jungen: „Dann will ich nicht mehr dein Freund sein“.

Zu den Enthüllungen über Milleys Aktionen hinter den Kulissen äußerte sich der Ex-Präsident kaum überraschend: „Wenn er das tatsächlich gemacht hat, dann hat er Staatsverrat begangen.“