Hamburg. Der ehemalige VIVA-Moderator Tobias Schlegl war 2021 auf einem Seenotrettungsschiff. In seinem neuen Buch teilt er seine Erlebnisse.

Frühsommer 2021: Inmitten der Corona-Pandemie begibt sich Tobias Schlegl auf eine Reise, die nur wenige Deutsche bislang angetreten sind. Eine Reise ins Ungewisse, die ein nachhaltiges Zeichen für Menschlichkeit setzen soll.

Gemeinsam mit einer 22-köpfigen Crew hat sich der ehemalige Moderator des Musiksenders "VIVA" mit einem Seenotrettungsschiff vor die Küste Libyens begeben, um Geflüchtete an einen sicheren Hafen nach Europa zu bringen. Seine Erlebnisse teilt Schlegl in seinem neuen Buch „See. Not. Rettung. Meine Tage an Bord der Sea-Eye 4“.

Mittelmeer: UNO meldet mehr als 240.000 Menschen auf der Flucht

Seit mehr als einem Jahrzehnt ist der nordafrikanische Staat von massiven Unruhen und gewaltsamen Konflikten gezeichnet. Schätzungen der Flüchtlingshilfe der Vereinten Nationen (UNO) zufolge, sehen sich derzeit mehr als 245.000 Menschen zur Flucht gezwungen.

2019 traten etwa 65 Prozent aller Todesfälle im zentralen Mittelmeerraum auf; In den ersten sechs Monaten 2021 waren bereits 116 Vermisste gemeldet, heißt es auf der Internetseite der UNO.

Es ist 2020 als Schlegl die erste Anfrage der deutschen Hilfsorganisation „Sea-Eye“ bekommt. Der 44-jährige Journalist und Autor hat frisch seine Ausbildung zum Notfallsanitäter abgeschlossen. „Zu diesem Zeitpunkt konnte ich mir diesen Schritt aber noch nicht vorstellen“, erinnert er sich.

Seenotrettung: Fluchtroute über Libyen gilt als eine der gefährlichsten überhaupt

Doch das Saatkorn ist gesät. Rund ein Jahr später bewirbt sich Schlegl als Sanitäter um einen Platz auf dem Rettungsschiff „Sea-Eye 4“, das am 8. Mai 2021 für seine Jungfernfahrt als Seenotrettungsschiff in See sticht. Eine Reise, auf die sich weder der Hamburger, noch seine Kolleginnen und Kollegen richtig vorbereiten können – vor allem nicht mental.

Was sie verbindet ist die Angst davor, Menschen sterben zu sehen. Das Risiko dafür ist groß, immerhin gilt die Fluchtroute über Libyen im Mittelmeerraum als eine der gefährlichsten überhaupt. Der Traum der Flüchtlinge von Europa endet häufig tödlich.

Journalist und Autor Tobias Schlegl war  als Notfallsanitäter an Bord der Sea-Eye 4. Die Ausbildung hatte er etwa ein Jahr vor seiner Zeit an Bord abgeschlossen.
Journalist und Autor Tobias Schlegl war als Notfallsanitäter an Bord der Sea-Eye 4. Die Ausbildung hatte er etwa ein Jahr vor seiner Zeit an Bord abgeschlossen. © T. Schlegl

In Tagebuchform hat Schlegl seine Gefühle und Gedanken für sein Buch verfasst. Ursprünglich war es nur zur eigenen Verarbeitung der Erlebnisse gedacht. „Aber ich wollte diese Erfahrung für andere nachvollziehbar machen“, erklärt der Hamburger. „Das ist das Persönlichste, was ich je veröffentlicht habe.“

Schon nach wenigen Tagen auf hoher See wird die Besatzung der „Sea-Eye 4“ von der harten Realität eingeholt und mit dem Leid von Geflüchteten konfrontiert.

Konflikte in Libyen: Sea-Eye 4 bringt über 400 Menschen in sicheren Hafen

Es beginnt für die Crew, so beschreibt es Schlegl, ein „Katz-und-Maus-Spiel“ mit der libyschen Küstenwache, die versucht, die Menschen vor dem Rettungsteam zu finden und ins Land zurückzuholen. Es ist aber auch ein Wettlauf gegen den Tod, der als Damoklesschwert bedrohlich über der gesamten Aktion schwebt.

Trotz aller Bedenken erinnert sich Schlegl noch heute an den Moment, als sie die ersten Menschen aus ihren kaum seetauglichen Holzbooten vor dem Kentern und Ertrinken retten: „Als die Menschen an Bord kamen, stand wirklich die Zeit still.“ 408 Menschen aus 17 unterschiedlichen Nationen bringt das Team auf die Sea-Eye 4. Das Coronavirus sei, trotz Hygienemaßnahmen und regelmäßigen Test, dabei komplett in den Hintergrund gerückt.

Doch die Freude darüber, den Menschen endlich die verdiente Sicherheit bieten zu können, wird auch getrübt. Denn hinter jedem der über 400 Gesichter verbirgt sich eine Geschichte von unbeschreiblichen Leid, das sie in ihren Heimatländern erfahren haben.

Und vielen wird auch nach Ankunft im sicheren Hafen ein ungewisser und schwerer Weg bevorstehen, darüber ist sich das Rettungsteam im Klaren. Ob sie es nach Deutschland schaffen werden, was der Wunsch einiger Geflüchteter ist, bleibt ungewiss.

Flüchtlingskrise: Seerecht der Vereinten Nationen wird missachtet

Mit seinem Buch will Tobias Schlegl die Augen für die Schicksale von mehreren Tausenden Menschen öffnen: „Sie dürfen nicht auf ihre Flucht reduziert werden – in erster Linie sind sie Menschen.“ Es soll aber auch einen blinden Fleck in der Gesetzgebung für alle sichtbar machen.

Notfallsanitäter Tobias Schlegl hat sich auf der Sea-Eye 4 gemeinsam mit dem Arzt Stefan (links) und der gelernten Krankenschwester Marlene (Mitte) um die Krankenversorgung der Geflüchteten gekümmert.
Notfallsanitäter Tobias Schlegl hat sich auf der Sea-Eye 4 gemeinsam mit dem Arzt Stefan (links) und der gelernten Krankenschwester Marlene (Mitte) um die Krankenversorgung der Geflüchteten gekümmert. © Sea-Eye/Guillaume Duez

„Menschen, die auf See in Not geraten, müssen gerettet und einem sicheren Hafen zugeführt werden. Das schreibt das Seerecht der Vereinten Nationen vor. Doch die Praxis dieses Gesetzes sieht nach wie vor anders aus“, so Schlegl.

„Der Staat muss endlich Verantwortung übernehmen und der Forderung nach einer staatlichen Seenotrettung nachkommen. Das Schicksal geflüchteter Menschen darf nicht mehr länger allein in der Hand von Hilfsorganisationen liegen.“

Tobias Schlegls Buch „See. Not. Rettung. Meine Tage an Bord der Sea-Eye 4“ (Piper Verlag) ist am 24. Februar erschienen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.