Berlin. Die Zustände in griechischen Camps sind teils katastrophal. Rund 8000 Geflüchtete, die dort Asyl haben, wollen Schutz in Deutschland.

Es ist ein Gerichtsurteil, das bei den deutschen Innenbehörden für Aufregung gesorgt hat. Erst einige Tage ist es her, dass das Oberverwaltungsgericht Münster zwei Flüchtlingen Recht gegeben hat. Ein Mann aus Eritrea und ein Palästinenser aus Syrien hatten gegen ihre Abschiebung nach Griechenland geklagt.

Die beiden Männer hatten von den griechischen Behörden bereits einen internationalen Schutzstatus als Geflüchtete erhalten – und reisten trotzdem aus Griechenland weiter, nach Deutschland, um hier ein zweites Mal Asyl zu beantragen.

Lesen Sie auch: Handyauswertung durch Bamf – Flüchtling legt Beschwerde ein

Die Bamf-Zentrale in Nürnberg.
Die Bamf-Zentrale in Nürnberg. © Daniel Karmann/dpa | Daniel Karmann

Gericht kritisiert: Es fehlt an „Brot, Bett, Seife“ in Griechenland

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Deutschlands Asylbehörde, das Bamf, erklärte die Anträge für unzulässig, die Ausländerbehörden sollten die Männer abschieben, zurück nach Griechenland. Wo ihnen Schutz gewährt wurde.

Doch die Richter in Münster sehen das anders. Obwohl die Flüchtlinge bereits einen anerkannten Schutztitel in Griechenland hatten, könne ihr Asylantrag in Deutschland „grundsätzlich nicht als unzulässig abgelehnt werden“, da eine menschenwürdige Unterbringung in Griechenland nicht garantiert werden könne. Es bestehe die Gefahr, dass im Falle der Abschiebung in Griechenland „elementarste Bedürfnisse“ wie „Bett, Brot, Seife“ fehlen würden.

Auch andere Gerichte hatten in der Vergangenheit mit Blick auf die katastrophalen Zustände in griechischen Camps ähnlich entschieden. Nun aber urteilt ein hohes Gericht. Eine Entscheidung, an denen sich viele Richter orientieren dürften.

Mehr zum Thema: Flüchtlingslager Moria: „Es ist schlimmer als im Gefängnis“

Mehr als 8000 Personen warten auf eine Entscheidung vom Bamf

Das Urteil verstärkt eine Sorge in den deutschen Behörden: Die Zahl der Geflüchteten aus Griechenland, die dort bereits einen international anerkannten Flüchtlingsstatus haben, steigt. Und könnte weiter steigen, wenn sich das Urteil aus Münster auch in Griechenland unter Geflüchteten herumspricht. Bereits jetzt stauen sich beim Bamf Asylverfahren von mehr als 8000 Menschen auf. Noch Ende Mai waren es nur einige Hundert. Die Entscheidungen sind vorerst gestoppt, wie das Bundesinnenministerium (BMI) auf Nachfrage bestätigt.

Der Weg nach Deutschland – er ist ganz legal. Per Flugzeug, meist. Denn: Wer in Griechenland einen Schutztitel bekommt und bei der dortigen Migrationsbehörde zusätzlich ein Reisedokument beantragt, kann innerhalb der EU reisen, so sehen es die Schengen-Verträge vor. Zumindest für eine kurze Zeit von 90 Tagen pro Halbjahr. Und diesen Flüchtlings-Reisepass für die EU zu bekommen, scheint bei den Ämtern in Athen oder Thessaloniki kein großes Problem.

Das könnte Sie auch interessieren: Brand in Moria: Die Hilflosigkeit der Helfer auf Lesbos

Entscheidungsstopp für mehr als 3000 Verfahren, darunter auch Familien

Schon seit mehr als einem Jahr hat das Bamf die Asylverfahren von in Griechenland bereits anerkannten Flüchtlingen nun auf Eis gelegt. Mittlerweile, Stand 27. Januar, sind die Asylentscheide in 3420 Verfahren beim Bundesamt gestoppt, darunter viele Familien. Insgesamt betrifft der Entscheidungsstopp laut einer Ministeriumssprecherin 8252 Personen.

Konkret schreibt das Bundesinnenministerium: Das Bamf habe die Asylentscheidungen von Personen, denen bereits in Griechenland internationaler Schutz zuerkannt wurde, schon „ab dem 23. Dezember 2019 rückpriorisiert, weil die Antragstellerinnen und Antragsteller bereits über europäische Aufenthaltstitel und Schutzstatus verfügten und aus aufenthaltsrechtlicher Sicht dadurch privilegiert sind“. Übersetzt heißt das: Die Asylentscheide liegen auf Eis, das Bamf arbeitet andere Fälle ab.

In den Behörden herrscht mancherorts Verärgerung über die griechischen Offiziellen

Bisher betrifft der Entscheidungsstopp eben diese bereits mehr als 8000 Personen. Doch die Innenbehörden sind beunruhigt. Denn die Zahl der Asylsuchenden, die bereits in Griechenland von den dortigen Behörden einen internationalen Schutzstatus als Flüchtling zugesprochen bekommen hatten und dennoch nach Deutschland weitergereist waren, steigt deutlich.

Noch Ende Mai vergangenen Jahres waren nur 298 Verfahren mit insgesamt 724 Personen dieser Gruppe beim Bamf „rückpriorisiert“, die Verfahren gestoppt. Und auch im neuen Jahr zeichnet sich nach Informationen unserer Redaktion ab, dass sich der Trend der Einreisen aus Griechenland fortsetzt.

Für die Behörden ist das ein Dilemma: Denn Griechenland gehört zum Schengen-Raum. Die Reisen innerhalb Europas sind auch für anerkannte Flüchtlinge möglich. Zugleich will die EU Sekundärmigration verhindern. Das funktioniert nur, wenn die Anreize von Menschen gesenkt werden, aus einem EU-Land in ein anderes zu fliehen. Eine andere Option nur: Griechenland aus dem Schengen-Raum auszuschließen. Letzteres ist jedoch weder von der Bundesregierung noch der EU-Kommission gewollt.

Geflüchteten droht laut Gericht Obdachlosigkeit und existenzielle Not

Die Zustände in den Camps auf den griechischen Inseln sind katastrophal.
Die Zustände in den Camps auf den griechischen Inseln sind katastrophal. © AFP | Angelos Tzortzinis

Wer mit Experten in den deutschen Behörden spricht, hört nicht selten Verärgerung. Drei Milliarden Euro hätte die EU an Griechenland seit 2014 gezahlt, um die Lage der Menschen in den Unterkünften und Camps zu verbessern. Immer wieder habe man Hilfe angeboten, Personal, Geräte, Know-How im Asylsystem. Und doch habe sich wenig verändert.

Die Lage der Geflüchteten in Griechenland bleibt teilweise dramatisch, viele sind nach Angaben von Hilfsorganisationen obdachlos – allerdings auch, weil Griechenland viel stärker als etwa Deutschland aufgrund der direkten Außengrenze zur Türkei unter einem hohen Migrationsdruck steht, auch wenn die Zahl der Flüchtlinge auch aufgrund der Corona-Pandemie im vergangenen Jahr nicht so stark angestiegen waren.

Auch das Gericht in Münster hält fest, Schutzsuchende könnten in Griechenland in „extremer materieller Not“ landen. Auch weil über eine längere Zeit Zugang zu Unterkünften und Arbeitsmarkt verschlossen bleibe. Auch Wohnungen oder Obdachlosenunterkünfte stünden nicht ausreichend bereit.

Das Urteil ist ein Abgesang auf das griechische Sozialsystem für Geflüchtete. Und ein fatales Urteil für eine gemeinsame europäische Asylpolitik. Das Bundesamt will nun gegen die Entscheidung aus Münster vorgehen – und eine Revision erwirken vor dem Bundesverwaltungsgericht.