Berlin. Die Grünen entscheiden über ihr Programm und machen sich fit für den Wahlkampf. Robert Habeck schwor die Partei zum Auftakt ein.

Das erste Scheinwerferlicht des Wochenendes, es gehört dem Mann, der selbst gerne die Nummer eins gewesen wäre. Als die Grünen sich am Freitagnachmittag zum digitalen Parteitag treffen, liegt die Aufmerksamkeit auf Co-Parteichef Robert Habeck – und nicht nur, weil er mit einer Rede das Treffen eröffnete.

Denn nach den anstrengenden Wochen, die hinter den Grünen und ihrer Spitzenkandidatin liegen, steht die Frage im Raum, wo die Partei jetzt stünde, hätte sie sich in der Frage der Kanzlerkandidatur statt für Annalena Baerbock für Habeck entschieden.

Einige Wochen nach der Nominierung von Baerbock ist das erste Stimmungshoch verflogen, und der Glanz der Kandidatin, die doch der eigentliche Grünen-Star dieser Tage sein soll, wirkt gedimmt. Nebeneinkünfte, die zu spät gemeldet wurden, eine Debatte um teureres Benzin durch den CO2-Preis und nicht zuletzt der wegen Unstimmigkeiten und Ungenauigkeiten immer wieder überarbeitete Lebenslauf haben sie in die Defensive gezwungen und das Umfragehoch der Partei beendet.

Auftaktrede beim Parteitag: Sehnsucht nach Kanzlerkandidat Habeck?

Standen die Grünen vor einigen Wochen noch bei 26 Prozent, waren es im „Deutschlandtrend“ am Donnerstag zuletzt noch 20. Bei einer Direktwahl würden nur noch 16 Prozent der Befragten für sie als Kanzlerin stimmen – statt zuvor 28 Prozent. So holprig waren die letzten Wochen für Baerbock, dass der „Spiegel“ vor dem Parteitag fragte, ob es nicht besser wäre, sie trete beiseite und überlasse Habeck die Kandidatur.

In der Partei erntete der Vorschlag Kopfschütteln und Augenrollen. Doch auch wenn die Grünen demonstrativ hinter ihrer Kandidatin stehen, so war der Auftritt des Co-Parteichefs am Freitagabend wohl geeignet, bei der einen oder dem anderen eine heimliche Sehnsucht nach einem Kanzlerkandidaten Habeck anzufachen.

Habeck: „Wir stehen vor dem Wahlkampf unseres Lebens“

Ausgehend von einem Treffen mit der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts machte der Co-Parteichef Freiheit zum Thema seiner Rede – gegen das Image der Grünen als Verbotspartei. „Wer das Klima schützt, schützt die Freiheit“, erklärte Habeck. Gleichzeitig warb er für ein „Jahrzehnt der Investitionen“, mehr soziale Gerechtigkeit und Unternehmertum als wichtigem Faktor zum Erreichen von Klimazielen.

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Auch seiner unter Beschuss geratenen Co-Parteichefin stärkte er den Rücken. „Wir wissen natürlich, dass Kameradschaft und Solidarität sich nicht beweist, wenn die Sonne scheint und der Wind von hinten kommt, sondern genau dann wenn der Wind von vorne kommt oder jemand im Regen steht.“ Auch die Grünen selbst hätten Fehler gemacht, räumt er ein. Doch die habe man analysiert und werde sie jetzt abstellen. Habeck schwor die Delegierten auf einen kämpferischen Sommer ein: „Wir stehen vor dem Wahlkampf unseres Lebens“, sagte er, bevor die Diskussion ums Programm begann.

Co-Parteichef Robert Habeck beim Parteitag zu den Delegierten.
Co-Parteichef Robert Habeck beim Parteitag zu den Delegierten. © dpa

Entwurf für das Wahlprogramm ging einigen Grünen nicht weit genug

Auf der inhaltlichen Ebene hätte es am Freitagabend dabei durchaus noch ungemütlich werden können für die Parteispitze. Denn der Zustrom Tausender neuer Mitglieder in den letzten Jahren hieß auch, dass sehr viel mehr Menschen mitreden wollten, mit welchem Programm die Partei in den Wahlkampf zieht. Mehr als 3000 Änderungsanträge waren vor dem Treffen zusammengekommen.

Und einigen Antragsstellern ging das, was die Parteispitze in ihrem Programmentwurf vorschlug, nicht weit genug. Zum Beispiel beim CO2-Preis, den einige Mitglieder schon 2022 auf 80 Euro pro Tonne anheben wollten – statt wie vom Vorstand vorgeschlagen 60 Euro ab 2023. Auch bei anderen Kernthemen wollte die Parteibasis nachschärfen. Manche wollten das Tempolimit auf Landstraßen auf 70 Stundenkilometer senken, andere einen Zulassungsstopp für Verbrennungsmotoren schon 2025.

Eine Partei, wegen der man noch mehr Geld für Benzin ausgibt und dann auch noch langsam fahren muss – das war nicht das Signal, das der Grünen-Vorstand senden wollte. Zu groß ist die Angst, damit Wählerinnen und Wähler zu verprellen, die man dringend braucht für die ambitionierten Pläne.

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Grüne Programmdiskussion: Spitzen-Personal setzte sich erstmal durch

Entsprechend eindringlich warben Spitzen-Grüne deshalb dafür, beim Vorschlag der Parteiführung zu bleiben. Robert Habeck sprach sich gegen den höheren CO2-Preis aus. Mit einem zu schnellen, zu steilen Einstieg gingen gesellschaftliche Mehrheiten verloren, die man für Klimaschutz brauche, so Habeck. Ex-Parteichef Cem Özdemir appellierte an die Delegierten, den Verbrenner-Ausstieg nicht vorzuziehen, um Unternehmen und damit auch deren Beschäftigte nicht zu gefährden.

Die Bemühungen des Spitzenpersonals hatten Erfolg: Die Änderungsanträge wurden mit großer Mehrheit abgelehnt. Ob der Vorstand sich auch bei anderen Themen durchsetzen kann, wird in den nächsten Tagen klar werden.

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Zur Abstimmung steht Baerbock nicht allein

Vom Parteitag soll jetzt der dringend benötigte Schub ausgehen, mit dem die Grünen in den Wahlkampfsommer gehen wollen. Helfen soll dabei auch die offizielle Bestätigung von Baerbock als Kanzlerkandidatin am Sonnabend.

Dann werden die Delegierten abstimmen – allerdings nicht über Baerbocks Kandidatur allein. Auf dem Wahlzettel wird das Spitzenteam der Partei für den Bundestagswahlkampf stehen, gebildet aus Annalena Baerbock und Robert Habeck, dem Mann, der selber gerne die Nummer eins gewesen wäre.

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