Berlin. Deutschland kündigt an, jeden vierten Migranten aus der Seenotrettung anzunehmen. Wird es auch in anderen Ländern feste Quoten geben?

Vor einem Gipfel, einer großen Verhandlungsrunde, strahlen Politiker Zuversicht aus. Von „Durchbruch“ ist dann oft die Rede. Von „einmaliger Chance“. Die Taktik ist nachvollziehbar: Druck auf den Gesprächspartner aufbauen, die zögernde Gegenseite mitnehmen, gar nicht erst Zweifel aufkommen lassen.

Bevor Horst Seehofer an diesem Montag nach Malta reist, spielte er diese Taktik aus. Er sprach von einer „großen neuen Möglichkeit“, um die EU-Asylpolitik endlich zu ordnen. Diese Gelegenheit müsse sich die Politik ergreifen. „Wir haben die Chance, eine neue Tür zu öffnen“, sagte er.

Am Montag trifft sich CSU-Politiker Seehofer mit seinen Amtskollegen von Italien und Frankreich auf Malta. Auch Finnlands Regierung ist als amtierende EU-Rats-Präsidentschaft vertreten. Ein Krisengipfel in der Dauerkrise Asyl. Der Druck vor dem Treffen ist hoch – auch auf Seehofer selbst.

Flüchtlingsgipfel auf Malta: Wie lange geht das noch gut?

Seit Jahren fallen die Staaten mit Alleingängen in der Asylpolitik auf. Osteuropäische Regierungen ziehen die Zäune hoch; Frankreich, Deutschland über Skandinavien haben ihre eigenen Debatten – und ducken sich weg, wenn es um feste Zusagen geht. Seit Jahren ringt auch die EU-Kommission in Brüssel um eine gemeinsame EU-Asylpolitik. Seit Jahren scheitert sie daran. Nur – wie lange geht das gut?

Im Innenministerium sieht man mit Sorge, dass die Zahl der Geflüchteten auf den griechischen Inseln und auf der Balkanroute deutlich steigt. Die Lager dort sind überfüllt, die Menschen teilweise ohne Schutz. Langsam werden die Nächte kälter.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Asylpolitik lässt Strategie vermissen

Zugleich sorgt die Situation zwischen Libyen und Italien seit Jahren für bittere Schlagzeilen, denn Tausende Menschen sind im Laufe der Zeit ertrunken. Immer wieder muss Berlin mit Brüssel und anderen EU-Staaten telefonieren, damit Flüchtlinge aus Italien und Malta verteilt werden. Eine Strategie, ein Krisenmanagement gibt es bisher nicht.

Das ist die bittere Ausgangslage für Seehofer vor seiner Reise nach Malta. Doch der Optimismus in Seehofers Worten ist durchaus begründet. In Italien ist der extrem rechte Innenminister Matteo Salvini nicht mehr im Amt, mit dem Seehofer zuletzt keinen Kontakt mehr hatte.

Aufbruchstimmung nach dem Ende der Salvini-Ära

In Rom regiert jetzt ein eher linkes Bündnis. Einige Gesetze aus der Salvini-Ära will die Regierung zurückschrauben. Zugleich ist auch der neue Ministerpräsident Giuseppe Conte unter Druck. Viele kritisierten Salvini für seine harsche Migrationspolitik. Aber seine Linie fiel auch auf jede Menge Zustimmung. Seine „Lega“ ist in Umfragen trotz der Skandale und Zerwürfnisse stärkste Kraft.

Und doch: Ein Treffen mit der italienischen Innenministerin Luciana Lamorgese in Berlin beschrieb Seehofer als „sehr gut“ und „ehrlich“. Frankreichs Präsident Macron traf sich mit Italiens Premier Conte. Auch dort die Botschaft: Da geht was. Macron sprach von einem „Zeitfenster der Möglichkeiten“. Auf Malta wollen Deutschland, Italien und Frankreich so etwas wie die Zugpferde für eine europäische Lösung in der EU-Asylpolitik sein.

Seehofer hatte angekündigt, ein Viertel aller Migranten und Flüchtlinge aufzunehmen, die von Schiffen der Hilfsorganisationen in europäische Häfen transportiert werden. Die Debatte darum war zuletzt immer wieder laut – etwa als die deutsche Kapitänin Carola Rackete festgenommen wurde.

Deutschland nahm in 15 Monaten 225 Flüchtlinge auf

In der Zahl ist die Seenotrettung weniger brisant: In den vergangenen 15 Monaten nahm Deutschland 225 Flüchtlinge auf – und leistete damit noch den größten Beitrag abseits von Italien und Malta, wo im laufenden Jahr rund 6500 Flüchtlinge ankamen. Allein in Spanien waren es laut Vereinte Nationen 15.000.

Seehofer hofft jetzt, auch andere Länder von festen Aufnahmequoten für die Seenotrettung überzeugen zu können. Die Idee: Wenn erstmal Deutschland und Frankreich an der Seite von Italien und Malta stünden, dann ziehen andere Länder wie die Niederlande oder die skandinavischen Staaten nach.

Seehofer will die „Achse der Guten“

Seehofers Ziel: eine Achse der Guten. Doch bisher hat sich Frankreich nicht zu einer Quote bekannt. Und auch Schiffe mit Geretteten sollen nicht in Häfen von Marseille anlanden dürfen, Stand jetzt. Aus anderen EU-Ländern: ebenfalls kein Vorstoß für eine verpflichtende Quote.

In der Bundesregierung stößt die Haltung vieler EU-Staaten zunehmend auf Kritik. „Leider gibt es immer noch EU-Staaten, die sich nicht an solidarischen Lösungen beteiligen wollen“, sagte Außenstaatsminister Michael Roth (SPD) unserer Redaktion. Gerade bei den Seenotgeretteten sei dies der Fall. Länder wie Tschechien, Slowakei und Ungarn verweigern sich vollständig.

Deutschland hat die Aufnahme von mehr als 500 Geflüchteten aus Malta und Italien zugesagt. Doch viele hängen in Lagern fest, teilweise seit Mai. Bundespolizei und Verfassungsschutz prüfen vor Ort diejenigen Migranten, die nach Deutschland weiterreisen dürfen. Nach eigenen Angaben nehmen deutsche Behörden vor allem Asylsuchende auf, die Chancen auf Schutz und Verwandte in Deutschland haben.

Mike Mohring spricht von „falschen Anreizen“ für Migranten

Für den Vorstoß für eine Aufnahmequote von 25 Prozent aller Geretteten kassierte Seehofer vor dem Gipfel in Malta Kritik von seiner eigenen Partei. Von „falschen Anreizen“ für Migranten und Schlepperbanden sprach etwa Thüringens CDU-Vorsitzender Mike Mohring, der gerade im Wahlkampf steckt.

Seehofer verteidigte seine Politik mit einem Ton, der überrascht. „Es ist unglaublich, dass man sich als Bundesinnenminister für die Rettung von Menschen vor dem Ertrinken rechtfertigen muss.“ So deutlich hatte sich der CSU-Politiker bisher nur geäußert, wenn es um „Obergrenzen“ oder den Kampf gegen Schleuserbanden ging.

Seehofer- Es ist unglaublich, dass man sich für die Rettung von Menschen vor dem Ertrinken rechtfertigen muss

weitere Videos

    Sea Watch fordert grundsätzlichen Wandel der EU-Asylpolitik

    Eine neue Milde? Die Hilfsorganisationen sind skeptisch. „Derzeit befürchten wir, dass trotz kleiner Verbesserungen bei der Lage der Menschen auf dem Mittelmeer die Gängelung der Hilfsorganisationen weitergehen wird“, sagt Ruben Neugebauer von Sea Watch e.V. Noch immer seien Schiffe der Organisationen in italienischen Häfen beschlagnahmt. Nötig sei ein „grundsätzlicher Wandel“ der EU-Asylpolitik, sagte Liza Pflaum vom Bündnis Seebrücke.

    An ein gemeinsames Handeln aller 27 EU-Staaten glauben auch die Mitarbeiter im Innenministerium nicht. Dort blickt man ohnehin deutlich nervöser in Richtung Türkei und griechische Inseln als in Richtung Italien und Malta. Allein am vergangenen Dienstag sind laut Bundesregierung 791 Menschen aus der Türkei mit Schlauchbooten auf den Inseln wie Lesbos angelandet. „Und wir reden hier über 225 aus Seenot gerettete Menschen in 15 Monaten, die Deutschland aus Italien und Malta aufgenommen hat“, sagte Seehofer.