Berlin. Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow sind die erste weibliche Doppelspitze der Linkspartei. Beide Frauen geben sich kämpferisch.

Es kommt nicht häufig vor, dass Zuschauer bei einem Parteitag der Linkspartei an Christian Lindner erinnert werden, doch als die Partei am Sonnabend ihre neue Spitze wählt, drängt sich der Gedanke an den FDP-Chef auf: „Schlechte Regierung kann jeder, auch die Linke hat das schon bewiesen“, sagt da Reimar Pflanz in seiner Bewerbungsrede für den Parteivorsitz.

Gute Opposition dagegen sei schwieriger, da werde die Linke gebraucht. Lieber – nach Lindner – nicht regieren als schlecht regieren? Die Frage, ob die Linke ein Regierungsbündnis mit SPD und Grünen anstreben soll, schwebt am Freitag und Samstag über dem digitalen Parteitag. Pflanz, der sich so deutlich gegen eine Regierungsbeteiligung ausgesprochen hat, wurde an diesem Wochenende nicht gewählt. Neue Vorsitzende der Partei sind seit Sonnabend Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler.

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Die Linke: Gesellschaft soll grundlegend verändert werden

Mindestens eine der neuen Chefinnen hat auf die Frage nach der Regierungsbeteiligung eine klare Antwort: Hennig-Wellsow, 43, Noch-Landeschefin in Thüringen und Vorsitzende der dortigen Landtagsfraktion, warb in ihrer Bewerbungsrede für den Parteivorsitz offensiv dafür, auch im Bund zu regieren: „Lasst uns nicht mehr warten“, appellierte sie an ihre Genossinnen und Genossen. Sie werbe dafür, die CDU-CSU aus der Bundesregierung zu vertreiben. 70,5 Prozent der Delegierten gaben Hennig-Wellsow ihre Stimme.

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    Mehr Zustimmung bekam Mit-Kandidatin Wissler: Die 39-Jährige aus Hessen setzte in ihrer Bewerbung klassische linke Schwerpunkte, kritisierte ungleiche Vermögensverhältnisse und Niedriglöhne für Menschen in systemrelevanten Berufen. In der Corona-Krise werde noch deutlicher, dass man in Deutschland in einer Klassengesellschaft lebe, so Wissler. Viele Menschen seien in Existenznot geraten und müssten um ihre Zukunft bangen, während die Zahl der Millionäre steige „Mit diesen Zuständen werden wir uns niemals abfinden“, versprach sie.

    Die Vision der Linken sei ein „demokratischer Sozialismus ohne Ausbeutung von Menschen und Natur“. Auch Klimaschutz werde sich „ohne Veränderung der Eigentumsverhältnisse“ nicht durchsetzen lassen. Sie appellierte an die Linke, sich ambitionierte Ziele zu setzen und die Gesellschaft grundlegend zu verändern: „Es geht nicht nur um ein größeres Stück vom Kuchen, es geht um die Bäckerei.“

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    Mit 84,2 Prozent der Stimmen erntete Wissler für Linken-Verhältnisse enthusiastische Zustimmung – Katja Kipping und Bernd Riexinger, die die Partei bis Freitag geführt hatten, hatten zuletzt nur rund 65 und 74 Prozent erhalten.

    Linke tut sich schwer, alte Glaubenssätze zu hinterfragen

    Die Frage nach der Regierungswilligkeit umschiffte Wissler in ihren Reden. Doch bei den Wahlen für die zweite Reihe der Partei zeigte sich, wie schwer sich die Linke damit tut, alte Glaubenssätze zu hinterfragen, auch wenn das neue Bündnisse ermöglichen würde. Bei der Wahl der stellvertretenden Parteivorsitzenden prallten mit Matthias Höhn und Tobias Pflüger zwei Kandidaten aufeinander, die für unterschiedlichen Richtungen im verminten außenpolitischen Gebiet stehen.

    Höhn, ehemaliger Bundesgeschäftsführer der Partei und Bundestagsabgeordneter, hatte schon vor dem Parteitag eine Diskussion angestoßen über die außen- und verteidigungspolitischen Linien. Auch am Samstag bekräftigte er, dass die Partei „Debattenbedarf“ habe, was dieses Feld angeht: „Gewissheiten setzen schnell Staub an“, sagte Höhn. Statt einer kategorischen Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr, wie sie die Partei aktuell vertritt, warb er dafür, Friedensmissionen der Vereinten Nationen zu unterstützen. Mehr Flexibilität in der Außenpolitik, dass hatte zuletzt die SPD deutlich gemacht, wäre Voraussetzung für Koalitionsoptionen im Herbst.

    Pflüger, verteidigungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, verteidigte dagegen die aktuelle Linie: Abrüsten und das Geld aus dem Verteidigungsetat umschichten, zum Beispiel in den Gesundheitsbereich. Das belohnten die Delegierten: Höhn verpasste mit rund 41,6 Prozent der Stimmen den Einzug in die Parteispitze, Pflüger wurde mit 54,2 Prozent gewählt.

    Zu stellvertretenden Parteivorsitzenden machten die Delegierten zudem Katina Schubert, Jana Seppelt, Martina Renner, Ali Al-Dailami und Ates Gürpinar. Alle Wahlergebnisse müssen nun noch per Briefwahl bestätigt werden.

    Mögliche Koalitionspartner äußern sich zum neuen Parteivorsitz

    Bei den möglichen Koalitionspartnern beobachtet man die Vorgänge bei der Linken jedenfalls aufmerksam. Sie wünsche sich von der neuen Führungsspitze „ein klares Bekenntnis zu einem Fortschrittsbündnis“, sagte Juso-Chefin Jessica Rosenthal dieser Redaktion. Es müssten mutige Schritte gegangen werden zu einer ökologisch transformierten Wirtschaft und Industrie – „dafür brauchen wir Mehrheiten“, sagte Rosenthal. Grünen-Chef Habeck erklärte, man freue sich auf „eine faire, inhaltliche Auseinandersetzung“.

    Neben den inhaltlichen Differenzen gibt es auf dem Weg zu einem möglichen Mitte-Links-Bündnis währenddessen noch ein ganz anderes Hindernis: Aktuell liegen Grüne, SPD und Linke in Umfragen gemeinsam bei gerade einmal 42 Prozent. Die Linke selbst liegt bei sieben bis acht Prozent – vom erklärten Ziel, der Zweistelligkeit bei den Bundestagswahlen im Herbst, noch ein ganzes Stück entfernt. (mit Tim Braune)