Berlin. Mafia-Gruppen handeln in Deutschland mit gefälschten Lebensmitteln. Das Risiko ist laut Bundesregierung gering – die Profite sind hoch.

Gefälschter Champagner, minderwertige Lebensmittel, billiges Olivenöl, teuer verkauft – die Mafia schmuggelt nicht nur Drogen und handelt mit Waffen, sie ist auch bei kriminellen Lebensmittelgeschäften aktiv. Die deutschen Sicherheitsbehörden sprechen von „hohen Gewinnen“, die bei Geschäften mit gefälschten oder qualitativ schlechten Lebensmitteln gemacht werden können. Zudem ist das „Entdeckungsrisiko sowie die Strafandrohung“ gering, etwa im Vergleich zum Handel mit Rauschgift.

Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden in Deutschland: Die Mafia vertreibt illegale Lebensmittelprodukte – und sie setzt Gastwirte unter Druck, damit diese die Ware in ihren Restaurants anbieten. In einer Antwort auf Anfrage der Grünen im Bundestag hält die Regierung fest: „Sowohl in Ermittlungsverfahren als auch aus Auswertungen von Informationen aus Italien wurden vereinzelt Erkenntnisse gewonnen, dass kriminelle Strukturen gefälschte oder minderwertige Agrarerzeugnisse oder Lebensmittel in den Vertrieb bringen beziehungsweise Gastronomiebetriebe zur Abnahme nötigen.“ Diese kriminellen Strukturen seien der Italienischen Organisierten Kriminalität (IOK) zurechenbar. Mehr zum Thema: So verdienen die Mafia-Clans an der Corona-Pandemie

Bundesregierung: "Teils werden Gastronomiebtriebe erpresst"

Allen voran fällt den deutschen Ermittlern die Ndrangheta auf. Die Mafia-Gruppe aus Kalabrien ist laut Fachleuten auch hierzulande aktiv, investiert in Immobilien und Restaurants, handelt mit Drogen und Schwarzarbeitern, wäscht schmutziges Geld. Sicherheitsleute schätzen, dass die ‘Ndrangheta mit all ihren „Geschäftszweigen“ jährlich einen weltweiten Umsatz zwischen 50 und 100 Milliarden Euro erzielt. Das Bundeskriminalamt schreibt: „In Deutschland sind seit den 1970er Jahren feste Bezüge der Ndrangheta nachzuweisen. Sie gilt als die stärkste der italienischen Mafia-Gruppierungen in Deutschland, wobei hier der internationale Rauschgifthandel von herausragender Bedeutung ist.“

Das Hauptgeschäft ist sicher nicht der Handel mit minderwertigen Lebensmitteln – und doch hält das Bundesinnenministerium fest, dass es in einzelnen Ermittlungen zur Organisierten Kriminalität „Bezüge zum Agrar- oder Lebensmittelmarkt“ gebe. „Dies betrifft insbesondere den Betrug mittels Herstellung/Verkauf minderwertiger Waren, die zu überteuerten Preisen angeboten werden.“ Die Bundesregierung ergänzt: „Teils werden Gastronomiebetriebe erpresst, diese Waren abzunehmen und in den Restaurants anzubieten.“

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Grüne: "Unterwanderung des Lebensmittelmarktes höchst alarmierend"

So listet das Innenministerium Verfahren der Jahre 2016 bis 2019, in denen die Polizei Schmuggel vor allem durch italienische Mafiagruppen etwa von gefälschtem Champagner oder anderen Alkoholsorten sowie gefälschte oder minderwertige Lebensmittel feststellte. Auch Drogen transportieren die Kriminellen demnach durch Europa, getarnt in Lebensmittelkisten.

Die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic befasst sich seit Jahren mit der Kriminalität von Mafia-Gruppen. „Die Infiltrierung des Agrar- und Lebensmittelmarkts durch die Organisierte Kriminalität ist nach wie vor vergleichsweise unbeachtet“, sagt die Politikerin unserer Redaktion. „Dabei ist die Unterwanderung des Lebensmittelmarktes durch hochkriminelle Gruppen wie der Mafia höchst alarmierend.“ Der Verkauf von minderwertigen Produkten könne „massive Konsequenzen für die Konsumenten“ haben. Auch die Erpressungen von Restaurant-Betreibern durch organisierte Kriminelle sei „besorgniserregend“.

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Die Dunkelziffer dürfte hoch sein

Das Bundeskriminalamt hat bisher keine Erkenntnisse aus 2020, das Lagebild zur Organisierten Kriminalität liegt noch nicht vor. In ihrer Analyse von 2019 listet die Polizeibehörde fast 600 Verfahren mit fast 7000 Tatverdächtigen gegen Mafia-Gruppen und organisierte Banden. In den meisten Fällen geht es um Drogenhandel, aber auch um Einbruchsserien und systematischen Betrug etwa von älteren Menschen. Der Schaden beläuft sich laut BKA auf rund 800 Millionen Euro, allein im Jahr 2019.

Und vieles bleibt im Verborgenen. Fachleute schätzen das Dunkelfeld der nicht entdeckten Straftaten als hoch ein. Organisierte Kriminelle agieren professionell, nutzen verschlüsselte Kommunikation, sind gut vernetzt. Und niemand hat ein Interesse, dass die illegalen Machenschaften öffentlich werden.

Corona-Pandemie könnte Phänomen bestärkt haben

Somit ist auch davon auszugehen, dass die deutschen Behörden nur einen Bruchteil der illegalen Geschäfte der italienischen Mafia im Lebensmittelmarkt aufdecken. Die Corona-Pandemie könnte das Phänomen noch bestärkt haben. So schreibt das Innenministerium, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Einnahmeverluste von Unternehmen in der Pandemie „Möglichkeiten bieten“, die etwa italienische oder andere organisierte kriminelle Gruppen „im Bereich des Agrar- und Lebensmittelhandels zu ihrem Vorteil“ nutzen. Erkenntnisse zu einer solchen „Infiltrierung von Unternehmen“ hat die Bundesregierung jedoch nicht.

Das Bundesinnenministerium hebt hervor, dass Deutschland den Austausch der Behörden innerhalb der EU zum Betrug mit Lebensmitteln verstärkt habe. So würden die Bundesländer ein europaweit etabliertes Meldesystem nutzen. Demnach ist vor allem der illegale Markt mit Fisch und Fischprodukten für Deutschland relevant, aber auch Betrug bei Fetten und Ölen sowie Fleischprodukten.

1.403 mutmaßliche Straftaten im Lebensmittelmarkt

Die Polizeiliche Kriminalstatistik 2020 weist insgesamt 1.403 mutmaßliche Straftaten im Lebensmittelmarkt aus. 2019 waren es leicht mehr, 1510 Fälle. Meist geht es um gefälschte Kennzeichnung. Die Bundesregierung hebt hervor, dass die deutschen Sicherheitsbehörden sich auch an Ermittlungen mit der EU-Polizeibehörde Europol und der Polizeibehörde Interpol beteiligen.

Mit der „Operation OPSON“ gehen die internationalen Ermittlerverbände seit 2011 gegen Lebensmittelbetrug vor. Dieses Jahr standen Verfahren im Mittelpunkt, in denen Honig zusätzlich mit Zucker gepanscht wurde. Grünen-Innenpolitikerin Mihalic fordert eine Ausweitung dieser Polizei-Operationen im Kampf gegen Lebensmittelbetrug.