Berlin. Die geplante “Bundes-Notbremse“ müsse schnell kommen, mahnen Intensivmediziner. “Wir haben fünf nach zwölf“, so ihr dringender Appell.

Frauen und Männer in blauen Plastikkitteln drehen einen Covid-19-Patienten in die Bauchlage. Alle tragen Maske und Gesichtsschutzvisier. Es ist eine schwere Arbeit. Am Körper des Kranken hängen Schläuche, die sich nicht verknoten dürfen.

In den Intensivstationen in Deutschland ist in diesen Tagen immer mehr Betrieb. Angesichts der steil ansteigenden Infektionszahlen sind immer mehr Klinikbetten belegt. Intensivmediziner schlagen nun Alarm. Zur Eindämmung der dritten Corona-Welle sei schnelles Handeln gefragt, mahnen sie.

"Intensivmediziner sind den Tod zwar gewohnt – aber so etwas hat es noch nicht gegeben"

Die sich in die Länge ziehenden Debatten über die geplante "Bundes-Notbremse" seien gefährlich. "Wir können es uns nicht leisten, noch wochenlang zu diskutieren", warnte der wissenschaftliche Leiter des Intensivbettenregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Christian Karagiannidis, im "Tagesspiegel".

Der frühere Präsident der Vereinigung, Uwe Janssens, sagte im Fernsehsender Phoenix: "Wir haben fünf nach zwölf, ihr müsst jetzt handeln, es muss jetzt eine Strategie verfolgt werden, die bundesweit einheitlich gilt." Wären die vor Wochen beschlossenen Maßnahmen flächendeckend umgesetzt worden, hätte man die aktuelle Entwicklung mit einem starken Anstieg der Infektionszahlen noch abschwächen können. Karagiannidis betonte, den Tod seien Intensivmediziner zwar gewohnt - "aber so etwas hat es noch nicht gegeben".

Zahl der Covid-Intensivpatienten könnte bald auf 7000 steigen

Das Intensiv-Register verzeichnet täglich die Zahl der verfügbaren Intensivbetten in deutschen Krankenhäusern. Seit Mitte März macht sich das verstärkte Infektionsgeschehen auch auf den Intensivstationen bemerkbar. Die Vereinigung erwartet, dass der bisherige Höchststand von etwa 6000 Covid-19-Intensivpatienten noch im April wieder erreicht wird.

Wenn das geplante Bundesgesetz erst Ende April beschlossen werde, werde die Patientenzahl auf 7000 steigen, hatte der jetzige Divi-Präsident Gernot Marx bereits prognostiziert. "Wir reden über sehr viele schwere Erkrankungen und über viele Menschen, die das nicht überleben werden", sagte er.

Covid-Notfälle auf Intensivstationen: "System ist am Anschlag!

Laut einer Analyse des Statistischen Bundesamts vom vergangenen März ist die Zahl der Intensivbetten in Deutschland in den vergangenen drei Jahrzehnten um 36 Prozent gestiegen. Lag sie 1991 noch bei 20.200, erhöhte sie sich bis 2018 auf 27.500. Die Intensivbetten werden jedoch nicht nur für Covid-Notfälle, sondern auch für Patienten nach Herz- oder Krebsoperationen gebraucht.

Die Anzahl der Intensivbetten pro 100.000 Einwohner schwankt dabei zwischen den Bundesländern: In Thüringen und Bremen ist sie mit jeweils rund 740 besonders hoch, in Baden-Württemberg mit 500 und Niedersachsen mit 530 dagegen eher niedrig.

Steigende Corona-Fallzahlen: Ärzte forden harten Lockdown

Notwendig sei ein durchgehender, harter Lockdown, um die Infektionszahlen zu verringern. Portugal und Irland hätten gezeigt, dass dies möglich sei. Dazu gehörten auch weitere Beschränkungen der Bürger. Wissenschaftliche Studien zeigten, "dass die von vielen kritisierten Ausgangssperren einen Effekt auf den sogenannten R-Wert haben und ihn um etwa zwölf Prozent senken können", meinte Janssens.

Notwendig sei es, der Bevölkerung klar zu machen, dass alle aufgerufen seien, bei der Bekämpfung der Pandemie mitzumachen. "Diesen positiven Appell vermisse ich bei der Politik. Die Mitarbeit der Bevölkerung ist essentiell."

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    Ansicht des interaktiven Intensivbetten-Monitor. (Stand 15.04.2021)
    Ansicht des interaktiven Intensivbetten-Monitor. (Stand 15.04.2021) © Funke Digital | Funke Digital

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    "Wenn die Zahlen zu schnell steigen, lässt es sich womöglich nicht mehr vermeiden. In den nächsten Wochen könnte es passieren. Das System ist am Anschlag," warnt der Intensivmediziner.

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