Berlin/Dresden. CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer kritisiert das Vorgehen der Grünen. Er sorgt sich auch um den Zusammenhalt der Gesellschaft.

In Sachsen regiert Michael Kretschmer mit Grünen und SPD – im Bundestagswahlkampf will er sich scharf von ihnen abgrenzen. Im Interview mit unserer Redaktion sagt der CDU-Ministerpräsident, was das Parteiausschlussverfahren gegen Boris Palmer über die Grünen verrät

Nach der Kür der Kanzlerkandidaten ist die Union in den Umfragen hinter die Grünen zurückgefallen. Ist Annalena Baerbock so stark oder Armin Laschet so schwach?

Michael Kretschmer: Nach dem intensiven Wettbewerb um die Kanzlerkandidatur der Union ist das jetzt eine Phase der Findung. Derjenige, der es nicht geworden ist, und seine Unterstützer müssen sich erst einmal sammeln. Die Umfragen sind eine Momentaufnahme, die spannende Zeit liegt noch vor uns. Mehr dazu: Umfrage zur Bundestagswahl: Grüne ziehen an Union vorbei

Wäre es mit Markus Söder anders gekommen?

Kretschmer: In der Öffentlichkeit war die Erwartung, dass es Markus Söder wird, etwas größer. Insofern wäre der Effekt vielleicht anders gewesen. Aber das ist alles vergossene Milch. Hintergrund: Bundestagswahl 2021: Das sind die Kanzlerkandidaten

Muss sich die Union von einem Wahlergebnis jenseits der 30 Prozent verabschieden?

Kretschmer: Das hängt von unseren Inhalten ab. Die entscheidende Frage für den Wahltag wird sein: Wie gehen wir mit den gigantischen Lasten aus der Corona-Zeit um? Wir setzen auf Wirtschaftswachstum, die Grünen auf Schulden und höhere Steuern.

Ihr Ziel bleibt 30 Prozent plus X?

Kretschmer: Das Ziel ist eine bürgerliche Regierung, die dieses Land nicht in einen Schwitzkasten der Steuererhöhungen nimmt, sondern Freiheit gibt. Damit Unternehmen wachsen, Arbeitsplätze entstehen und Löhne steigen können. Dann sind auch mehr Steuereinnahmen da, um die Lasten der Pandemie in dieser Generation abzutragen - und sie nicht folgenden Generationen zu überlassen.

Mit bürgerlicher Regierung meinen Sie Schwarz-Gelb?

Kretschmer: Eine bürgerliche Regierung ist zunächst einmal CDU/CSU und FDP. Das ist das, was wir anstreben. Alle anderen Koalitionen können wir uns nicht ernsthaft wünschen. Wer mit dem Wunsch nach Schwarz-Grün in den Wahlkampf geht, kann schnell eine grün-rot-rote Regierung bekommen. Die linken Parteien werden diese Konstellation einem Bündnis mit der Union immer vorziehen. Lesen Sie auch: Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl: Welche Partei passt zu mir?

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU).
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU).

Die Grünen wollen den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer ausschließen, dem sie rassistische Äußerungen vorwerfen. Hätte Palmer einen Platz in der Union?

Kretschmer: Das ist gar kein Thema. Boris Palmer ist ein überzeugter Grüner. Ich finde es schwierig, dass die Grünen ihn ausschließen wollen. Zur Spaltung der Gesellschaft tragen immer zwei Seiten bei: Diejenigen, die eskalieren. Und die anderen, die nicht aktiv dagegen vorgehen. So sehr Palmer provoziert hat, muss es doch möglich sein, miteinander im Gespräch zu bleiben. Ich hätte an der Stelle von Annalena Baerbock gesagt: Boris, wir müssen dringend mal reden. Wir setzen uns gemeinsam an einen Tisch, machen die Tür zu, und wenn wir nach drei Stunden rauskommen, haben wir die Sache geklärt. Das wäre ein ganz wichtiges Signal in die Gesellschaft hinein. Aber das ist typisch für die Grünen, dass sie nur ihre eigene Position gelten lassen wollen. Wichtige Hintergründe: Kandidaten, Termin - Alle wichtigen Fragen und Antworten zur Bundestagswahl 2021

Palmer hatte auf Facebook über den früheren Fußball-Nationalspielers Dennis Aogo geschrieben: „Der Aogo ist ein schlimmer Rassist. Hat Frauen seinen N****schwanz angeboten.“ Bliebe das in der CDU ohne Sanktionen?

Kretschmer: Ich möchte diese Sätze nicht kommentieren. Wären die Grünen eine Volkspartei, würden sie versuchen zu versöhnen. Geringschätzung und Verachtung sind nicht gut für das gesellschaftliche Klima in diesem Land. Das spielt den Kräften in die Hände, die dafür sorgen wollen, dass wir nicht mehr mit Respekt und Anstand miteinander umgehen.

Der CDU-Rechtsausleger Hans-Georg Maaßen ist einem Parteiausschlussverfahren entgangen. Jetzt könnte er als Bundestagskandidat den Wahlkampf prägen. Ist Ihnen das recht?

Kretschmer: Diese Rolle nimmt er nicht ein.

Ist Maaßen ein lupenreiner Demokrat?

Kretschmer: Sicher ist er ein Demokrat, aber ich werde mich zu diesem Fall nicht äußern. Dafür ist mir meine Zeit zu schade.

Fürs Protokoll: Die CDU schließt jegliches Zusammenwirken mit der AfD aus?

Kretschmer: Ja.

Auf lokaler Ebene kommt es immer wieder zur Zusammenarbeit. Die CDU im sächsischen Plauen stimmte gemeinsam mit der AfD gegen die Finanzierung einer Demokratie-Initiative.

Kretschmer: In der Kommunalpolitik wird über Alltagsfragen sehr oft ohne Blick auf die Parteizugehörigkeit abgestimmt. Abstimmungsergebnisse selbst zwischen Linkspartei und AfD gibt es. Daraus kann man keinen Schluss ziehen auf die Haltung einer Partei. Die AfD, das sind Feinde unserer Demokratie. Diesen Menschen darf man keine Verantwortung für dieses Land geben. Daran gibt es in der Union überhaupt keinen Zweifel. Lesen Sie hier: Die Abgrenzung zur AfD: Laschet sitzt in der Maaßen-Falle

Sie haben gerade eine Reise zu Wladimir Putin nach Moskau unternommen - auch um den russischen Corona-Impfstoff nach Deutschland zu bringen. Brauchen wir Sputnik V überhaupt?

Kretschmer: Wir können jeden zugelassenen Impfstoff gebrauchen. Ob es der russischen Seite gelingt, für Sputnik V eine europäische Zulassung zu bekommen, ist noch nicht sicher. Die Russen arbeiten ernsthaft daran, haben aber auch großen Respekt vor den Anforderungen der Europäischen Arzneimittelbehörde. Ich erlebe eine ganze Reihe von Menschen, die bereit wären, diesen Impfstoff zu nehmen. Wenn wir diese Möglichkeit bekommen, sollten wir uns darüber freuen. Ich bin dankbar, dass Deutschland das Bekenntnis abgegeben hat, 30 Millionen Dosen Sputnik V zu kaufen.

Wie viele Menschen müssen geimpft sein, bevor der Lockdown endet?

Kretschmer: Wir haben eine Erschöpfung in der Bevölkerung, eine große Unzufriedenheit. Ich erhoffe mir sehr, dass wir in den Sommermonaten zu der gleichen Freiheit zurückkommen wie im vergangenen Jahr. Die Bundesnotbremse hat viel Aufregung ausgelöst. Es ist nicht gelungen, die Bevölkerung von der Notwendigkeit dieser Maßnahmen zu überzeugen. Wir haben das vor Ostern sehr genau gesehen: Die Menschen waren klar der Meinung, dass Kindergärten und Schulen offenbleiben sollen. Wir haben in Sachsen darauf reagiert - und sind leider durch dieses Bundesgesetz sehr zurückgeworfen worden.

Sachsen hat besonders hohe Inzidenzwerte.

Kretschmer: Es ist legitim, wenn der Bundesgesetzgeber handelt. Aber wir müssen sehen, dass wir uns in einer Spirale befinden, die Politik und Bevölkerung auseinanderbringt. Das ist nicht gut. Wir sollten daraus lernen, dass regionale Entscheidungen besser sind als das Eingreifen durch den Bund.

Wenn Sie Pech haben, wird die Bundesnotbremse über den Juni hinaus verlängert.

Kretschmer: Aus Sicht des Bundes wäre das folgerichtig. Aber Politik darf nie aufhören, Verbündete zu finden. Es geht darum, die Bürger zu überzeugen. Das scheint mir etwas kurz zu kommen.

Welche Öffnungsschritte sollten als nächstes erfolgen?

Kretschmer: Wir müssen deutlich unter eine Inzidenz von 100 kommen. Dann werden Außengastronomie, Öffnung des Einzelhandels, Kultur- und Freizeitaktivitäten langsam wieder möglich sein. Durch die wachsende Zahl an Impfungen sind wir da auf einem guten Weg.

Was gilt für den Sommerurlaub?

Kretschmer: Wir alle wollen in den Sommerurlaub fahren. Eine Erleichterung kann ich mir sehr gut vorstellen: Wer mit Astrazeneca geimpft wird, sollte schon drei Wochen nach der ersten Dosis mehr Freiheiten bekommen. Damit würden wir uns an Österreich orientieren. Der Schutz ist schon nach der ersten Astrazeneca-Impfung sehr gut.

Wie sehen Ihre eigenen Reisepläne aus?

Kretschmer: Ich bleibe in Sachsen, in unserem Haus im Zittauer Gebirge fühle ich mich sehr wohl.