Stuttgart. Racial Profiling oder Recherche? Nach Kritik an der polizeilichen Stammbaumforschung in Stuttgart wehrt sich der Sicherheitsapparat.

Die Stuttgarter Polizei fühlt sich in eine falsche Ecke gedrängt. Die vielkritisierte Abfrage zur Herkunft von Verdächtigen gehöre zur Ermittlungsarbeit. Trotzdem reißt die Kritik an dieser „Stammbaumforschung“ nicht ab. Die Debatte über Rassismus auch bei deutschen Sicherheitsbehörden geht in die nächste Runde. Denn in Stuttgart ging es vor allem um Menschen mit Migrationshintergrund.

In seinem „früheren Leben“ war Armin Schuster Polizist. Über die aktuelle Debatte schüttelt der CDU-Bundestagsabgeordnete nur den Kopf. „Vielleicht halten sich einige politische Hobby-Sicherheitsexperten einfach mal zurück“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Schuster meint, nach solchen Gewaltexzessen wie in Stuttgart vor drei Wochen seien soziologische Täteranalysen polizeilicher Standard: „Wie soll die Polizei denn sonst zielgerichtete Strategien und Präventionsmaßnahmen für kommende Lagen entwickeln?“

Polizei Stuttgart: Grüne und Linke kritisieren „Stammbaumrecherche“ scharf

Stuttgart kommt nicht zur Ruhe seit vor drei Wochen in einer Samstagnacht mehrere hundert vor allem junge Menschen in der Innenstadt Scheiben einschlugen und Geschäfte plünderten. Erst kämpfte die Polizei darum, die Lage überhaupt in den Griff zu bekommen. Nun kämpft sie um ihren Ruf.

Wie die „Stuttgarter Zeitung“ berichtet, kündigte der Stuttgarter Polizeipräsident Frank Lutz an, man werde auch bei Tatverdächtigen mit deutschem Pass mithilfe der Landratsämter deutschlandweit „Stammbaumrecherche“ betreiben.

Ein Sprecher begründete das gegenüber der Zeitung mit dem großen öffentlichen Interesse an dem Fall: „Die grundlegende Erhebung personenbezogener Daten bemisst sich an der Schwere des Delikts, hier kommt dazu, dass ganz Deutschland auf den Fall blickt.“

Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Für Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch ist diese Art der Recherche „Rassismus pur“, für den Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck „in keinster Weise akzeptabel“.

Die Beamten stören sich an der Reizvokabel

Die Polizei fühlt sich allein durch den Begriff diskriminiert. Dass dies in der Berichterstattung von Medien als „Stammbaumforschung“ bezeichnet werde, sei „nicht korrekt“, erklärte die Polizei. Schließlich sei bei der Strafverfolgung die „Einbeziehung aller persönlichen Umstände der Tatverdächtigen“ notwendig.

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Auch ihr Dienstherr, Innenminister Thomas Strobl von der CDU, verteidigte rollengerecht seine Beamten: Die Feststellung der Lebens- und Familienverhältnisse sei Teil der polizeilichen Ermittlungen und mithin eine „Selbstverständlichkeit in einem Strafverfahren“.

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Racial Profiling bei der Polizei: Unions-Politiker pochen auf Studie

Das politische Timing war denkbar ungünstig. Denn: Seit Wochen wird bundesweit diskutiert, ob Racial Profiling bereits jetzt Teil der Polizeiarbeit ist. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) lehnt es ab, eine Studie zu dem Thema durchführen zu lassen. Er begründet das unter anderem damit, dass die Praxis ohnehin verboten sei.

Politikerinnen und Politiker auch aus der Union sehen das anders und dringen auf die Durchführung einer Studie. Norbert Röttgen, Bewerber um den CDU-Vorsitz, sagte im Gespräch mit unserer Redaktion: „Eine solche Rassismus-Studie, die Erfahrungsberichte von Betroffenen einbezieht, kann ja nur zwei Ergebnisse haben: Entweder gibt es bei der Polizei etwas über Einzelfälle hinaus. Dann besteht Handlungsbedarf. Oder das ist nicht der Fall, dann stärkt die Studie das Vertrauen in die Polizei.“

Integrationsstaatsministerin Anette Widmann-Mauz, ebenfalls CDU, erklärte unserer Redaktion, sie teile die Einschätzung der Polizeiverbände, dass eine wissenschaftliche Auseinandersetzung für eine sachliche Diskussion erforderlich und gut ist. (tma/san)