Die Bürger haben bereits genug Politiker in Gummistiefeln gesehen – jetzt muss geliefert werden, kommentiert Chefredakteur Jörg Quoos.

Wenn die Katastrophe geht, kommt der Politiker. Diese Regie ist ein Naturgesetz wie jenes, dass auf Regen immer wieder Sonnenschein folgt. Dass sich Verantwortliche am Ort des Schreckens zeigen, ist auch richtig so.

Solche Auftritte bieten Gelegenheit für Empathie und sollen das unmissverständliche Signal senden: Ich interessiere mich für das Schicksal anderer und nehme Anteil.

Jörg Quoos, Chefredakteur der Zentralredaktion Berlin
Jörg Quoos, Chefredakteur der Zentralredaktion Berlin © Dirk Bruniecki

Wer als Politiker gegen dieses Naturgesetz verstößt, wird vom Wähler brutal abgestraft. Edmund Stoiber hat es als Kanzlerkandidat der Union am eigenen Leib erlebt.

Als ein Jahrhundertregen im Sommer 2002 nur wenige Monate vor der Bundestagswahl im deutschen Osten Flüsse und Bäche über die Ufer treten ließ, blieb er den entscheidenden Moment zu lange weg vom Ort des Geschehens.

Niemand will den historischen Fehler von Edmund Stoiber begehen

Der sozialdemokratische Amtsinhaber Gerhard Schröder eroberte in Gummistiefeln erst die zerstörten Deiche, dann die Schlagzeilen und anschließend erneut das Kanzleramt. Stoiber waren die Betroffenen natürlich nicht egal. Aber er hatte das entscheidende Momentum verpasst. Es fehlten nur ein paar Tausend Stimmen zum Sieg. Und die hatte die Flut im Osten unwiederbringlich weggespült.

Diesen historischen Fehler wollte keiner der drei Kanzlerkandidaten 2021 wiederholen, und so kam es zu Auftritten, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Armin Laschet war schnell vor Ort, verpatzte die Wirkung aber durch einen unbedachten albernen Moment.

Olaf Scholz, der sein Lachen nicht unter Kontrolle halten muss, weil er ohnehin selten lacht, gab den Staatsmann – und großzügigen Finanzminister – und spulte seine Auftritte fehlerfrei ab.

Annalena Baerbock wählte klugerweise die Defensive. Unter Druck wegen der Plagiatsaffäre wich sie den Kameras komplett aus und bewegte sich ohne Medienpulk, nach dem Motto: Ich war da, aber ohne PR-Rummel.

Armin Laschet wollte sein Lachen mit neuen Besuchsbildern vergessen lassen

Wahrscheinlich war es ein Fehler, dass Armin Laschet versuchte, die alten Bilder seines Lachers am Ort der Kata­strophe mit neuen Besuchsbildern vergessen zu machen. Zwei Wochen nach der Flut traf er auf entnervte Bürgerinnen und Bürger, die den Respekt für den Landesvater hörbar fahren ließen.

Man sollte Laschet diesen Versuch nicht vorwerfen und muss zugleich die Wut der Leute verstehen, die seit 14 Tagen buchstäblich im Dreck sitzen und nicht wissen, wie und wovon sie weiterleben sollen. In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz geht es nicht nur um Zerstörung und Millionenschäden. Es geht um 180 Tote, totale Verwüstung und die Frage, ob der Katastrophenschutz selbst eine Katastrophe ist.

In solch einer Lage kann man vor Ort nicht gewinnen. Höchstens Respekt erlangen, wenn man sich tapfer der Kritik der Verzweifelten stellt. Ob ein Politiker als Krisenmanager taugt – diese Frage wird mit solchen Auftritten nicht beantwortet, egal ob sie gelingen oder schiefgehen.

Krisenmanagement wird nicht im Scheinwerferlicht gezeigt

Kompetentes Krisenmanagement erleben die Geschädigten und Angehörigen der Opfer nicht zwischen Mikrofonangel und Kamerascheinwerfer. Sie erleben es ganz persönlich. Wie schnell fließt Geld auf mein Konto oder kommt tatkräftige Hilfe mit Bagger und Pumpen? Wo finde ich ein angemessenes Ausweichquartier? Wann kann ich liebe Angehörige im zerstörten Familiengrab beisetzen? Was muss geändert werden, damit so etwas nie wieder passiert?

Das sind die entscheidenden Themen nach der Katastrophe, und wer sie erfolgreich besetzt und im Sinne der Menschen liefert, wird auch politisch gestärkt aus diesem Unwetter-Desaster hervorgehen. Auftritte mit Regenjacke und Gummistiefeln vor Kameras gab es jetzt genug.