Berlin. Der Rechtsextremismus fordert unsere Gesellschaft genauso heraus wie der islamische Terrorismus, meint Korrespondent Miguel Sanchez.

2019 war ein böses Jahr. Der Mord an Walter Lübcke, der Anschlag von Halle, die Todesdrohungen gegen Politiker, die Hasskriminalität. Zur Zäsur wird dieses Jahr erst, weil Horst Seehofer (CSU) seit Langem der erste Bundesinnenminister ist, der den Rechtsextremismus auf eine Prioritätsstufe mit dem islamistischen Terrorismus stellt und sich nicht nur alarmiert äußert, sondern auch handelt.

Die praktischen Folgen der Maßnahmen – bei der Gesetzgebung wie im Polizeiapparat – wird man erst in zwei bis drei Jahren richtig beurteilen können. So lange kann es dauern, bis alles umgesetzt ist und zu greifen beginnt. Das Ergebnis wird statistisch womöglich einen paradoxen Effekt auslösen. Denn die Zahl der Extremisten und ihrer Straftaten könnte eher steigen. Schlicht und einfach deswegen, weil ein Dunkelfeld aufgehellt wird.

Rechtsextremismus: Auch die eigenen Reihen müssen inspiziert werden

Dass der öffentliche Dienst eine Problemzone sein kann, konnte jeder seit dem Fall Franco A. bei der Bundeswehr und den Verdachtsmomenten bei der Polizei in Frankfurt oder beim Sondereinsatzkommando in Mecklenburg-Vorpommern sehen. Nun hat der Blitz des Offensichtlichen endlich den Innenminister und seine Behörden getroffen.

Miguel Sanches kommentiert zum Kampf gegen Rechtsextremismus.
Miguel Sanches kommentiert zum Kampf gegen Rechtsextremismus. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Stimmt schon, es werden (hoffentlich) nicht viele Verdachtsfälle im öffentlichen Dienst sein. Aber es ist offensichtlich, dass die Behörden in den eigenen Reihen besonders hellhörig sein sollten. Einen Grund dafür hat Seehofer genannt. Das ist das Vertrauensverhältnis, das der Bürger zu den Behörden haben sollte und auf das insbesondere die Polizei angewiesen ist.

Ein weiterer Grund wäre der direkte Zugang von Extremisten zu Waffen und zu sensiblen Informationen bei Bundeswehr und Polizei. Und wenn sie sich einmal im Apparat eingenistet haben, fallen sie schwerer auf.

Verfassungsschutz überprüft mögliche rechte Netzwerke im öffentlichen Dienst

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    Ohne die Zivilgesellschaft wird es nicht gehen

    Warum eine Zentralstelle gegen rechtsextreme Umtriebe im öffentlichen Dienst „unsinnig und gefährlich“ sein soll, wie der Linken-Politiker André Hahn meint, erschließt sich einem nicht. Hahn fordert allerdings zurecht unabhängige Ombuds- und Beschwerdestellen bei Polizei- und Sicherheitsbehörden. Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Ohnehin sollte man das Problem Rechtsextremismus nicht auf Politik und Behörden delegieren. Die Zivilgesellschaft ist schon noch gefragt.

    Man schaut ein wenig neidisch nach Italien, wo in diesen Tagen Zehntausende Menschen aus Protest gegen Rechtspopulismus und Intoleranz auf die Straßen gehen. Die Botschaft der Sardinen-Bewegung – „wir sind mehr“ – ist richtig. Auf die Schwarmintelligenz der Mehrheitsgesellschaft zu setzen ist ein interessanter Ansatz, der für Deutschland nicht mal neu wäre.

    Es ist fast 20 Jahre her, dass der damalige Kanzler Gerhard Schröder nach einem Anschlag auf eine Synagoge in Düsseldorf im Jahr 2000 zum „Aufstand der Anständigen“ aufrief.

    Die Feinde der Freiheit sind nicht nur im Ausland zu suchen

    Erinnern wir uns: Im September 2001 brachten Islamisten das World Trade Center in New York zum Einsturz. Seither war die gesamte westliche Welt wie fixiert auf diese Form des Terrorismus. Kriege wurden geführt, im Inland Gesetze verschärft und der Sicherheitsapparat ausgeweitet. Das Koordinatensystem hat sich verschoben, außenpolitisch wie auch bei der inneren Sicherheit. Schon die NSU-Morde hätten ein Weckruf sein müssen.

    Sie haben daran erinnert, dass man die Feinde der Freiheit nicht nur in Afghanistan oder Syrien suchen muss. Sie sind unter uns.

    Seehofer will nach eigenem Bekunden die Maßnahmen gegen rechts nicht an die Stelle des Kampfs gegen den islamistischen Terrorismus setzen. Er will beides. Und auf einer Prioritätsstufe. Schau an, der Mann, den alle für einen groben Klotz hielten, argumentiert auf manchen Feldern sehr differenziert. Viel Schneid. Aber auch ein wenig Schliff.