Berlin. Umweltverbände und Opposition werfen der GroKo vor, das Klimaschutzgesetz abzuschwächen. Kanzlerin und Umweltministerin wehren sich.

Jochen Flasbarth kann die Aufregung nicht verstehen. Es gebe da „Missverständnisse in der Berichterstattung“, sagt der Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Beim Blick in die Fernsehkameras versichert er: „Im Entwurf für das Klimagesetz gibt es nichts, das die Eckpunkte der Koalition in irgendeiner Weise abschwächt.“ Flasbarth bekräftigt auch, dass das Klimagesetz absolut geeignet sei, um „zuverlässig die Klimaschutzziele zu erreichen“.

Es gibt an diesem Montag in Berlin sehr viele Menschen, die das ganz anders sehen. Die Demonstranten, die nur hundert Meter vom Umweltministerium auf dem Potsdamer Platz den Verkehr lahmlegen, gehören ebenso dazu wie Umweltorganisationen und Naturschutzverbände.

Zusammen mit der grünen und linken Opposition im Bundestag werfen sie der großen Koalition vor, ihre Klima-Beschlüsse von vor zwei Wochen weichgespült zu haben. Aus dem am 20. September beschlossenen Paket, das ohnehin nicht mehr gewesen sei als ein Päckchen, sei zum großen Brief geschrumpft. Die politische Empörungswelle ist riesig.

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Klimapaket der Bundesregierung soll am Mittwoch beschlossen werden

An diesem Mittwoch will die Bundesregierung das Klimaschutzgesetz im Kabinett beschließen. Es legt für einzelne Bereiche wie Verkehr, Gebäude oder Landwirtschaft jährlich sinkende Obergrenzen beim Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) fest.

Ebenfalls beschlossen werden soll das „Klimaschutzprogramm 2030“, in dem auf knapp 200 Seiten fast alle Maßnahmen aufgelistet sind, die helfen sollen, die CO2-Obergrenze einzuhalten. Bundestag und Bundesrat müssen all dem noch zustimmen. Bis Anfang Dezember soll das Paket unter Dach und Fach sein. Am Nikolaustag wählt die SPD ihre neue Spitze – und niemand weiß, ob es die Koalition danach noch gibt.

Die Grünen kritisieren den Gesetzentwurf besonders scharf: „Einem der wenigen guten Punkte des Klima-Päckchens der Bundesregierung werden nun auch noch die Zähne gezogen“, sagt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter unserer Redaktion. „Wer Ziele verwässert und Kontrollmöglichkeiten schleift, der meint es ganz offenkundig nicht ernst mit dem Klimaschutz.“

• Mehr zum Thema Klimaschutz: Radikaler als die GroKo: Das fordern die Grünen beim Klima.

Merkel sieht kein Aufweichen des Klimapakets

Die Kanzlerin sieht das anders. Angela Merkel (CDU) ist am Montag in Baden-Württemberg unterwegs und eröffnet in Sinsheim die „Klima-Arena“, eine Art Erlebniswelt zum Thema Klimaschutz. Merkel dementiert in ihrer nüchternen Art, dass das Gesetz abgeschwächt werde. Es gebe starke Kontrollmechanismen, die sicherstellen sollen, dass die Klimaziele erreicht werden, sagt sie: „Dieses Monitoring, diese Überwachung, wird glasklar in dem Klimaschutzgesetz verankert sein.“

Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) verteidigt das Gesetz so: „Also da ist eine Dynamik drin“, sagt er im „ZDF-Morgenmagazin“. „Und die ist den Klimaschützern nicht genug, aber für den normalen Bürger ist das bei Weitem ehrgeizig genug.“

Angela Merkel (CDU) am Montag in Sinsheim (Baden-Württemberg) bei der Eröffnunf der „Klima-Arena“, einer Art Erlebniswelt zum Thema Klimaschutz.
Angela Merkel (CDU) am Montag in Sinsheim (Baden-Württemberg) bei der Eröffnunf der „Klima-Arena“, einer Art Erlebniswelt zum Thema Klimaschutz. © Getty Images | Thomas Lohnes

Stellvertretend für andere Klimaschützer nennt der Präsident des Deutschen Naturschutzrings, Kai Niebert, drei Punkte, an denen das Gesetz aus seiner Sicht abgeschwächt wurde:

• Das Ziel 2050

In einem Gesetzentwurf aus dem Juni habe gestanden, dass „bis zur Mitte des Jahrhunderts die Netto-Treibhausgasneutralität erreicht werden“ solle. Deutschland soll dann unterm Strich keine Treibhausgase mehr produzieren. Nun stehe im Gesetz, die Regierung wolle die Treibhausgasneutralität „bis 2050 als langfristiges Ziel verfolgen“. Das sei völlig unverbindlich, sagt Niebert.

Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth meint dagegen, dieses Ziel in ein Gesetz zu schreiben, sei sehr viel wert: „Ich kenne kein anderes Land in Europa, das das per Gesetz verankert hat.“ Ein Ministeriumssprecher fügt hinzu: Weil die 2050 im Gesetz stünde, könne „keine Branche mehr glauben, sie sei nicht betroffen und müsse sich nicht um Klimaschutz kümmern“.

• Das Expertengremium

In einer frühen Version des Gesetzentwurfs war ein beratendes Expertengremium vorgesehen, das in einem jährlichen Bericht die Wirksamkeit der Klimaschutzmaßnahmen überprüfen sollte. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Das Gremium soll auch keine Vorschläge mehr machen, wie die zuständigen Ministerien nachjustieren können, wenn die CO2-Einsparungsziele verfehlt werden. Naturschutzring-Chef Niebert spricht deshalb von „Frühstücksdirektoren“, die nichts zu sagen hätten.

Die Regierung verteidigt sich mit dem Argument, es gebe genügend Expertenrunden, die Klimaschutzvorschläge machen. Die Experten sollten deshalb nur jedes Jahr die neuesten Treibhausgas-Zahlen des Umweltbundesamts prüfen. Liegen die nicht im Plan, sei die Regierung ohnehin per Gesetz verpflichtet, ein Sofortprogramm aufzulegen, um die Klimaziele zu erreichen. Das solle alles möglichst schnell gehen, man dürfe keine zeit in Expertenrunden verlieren.

• Die konkreten CO2-Ziele

Politisch hoch umstritten ist eine Tabelle auf Seite 15 des Gesetzentwurfs: Dort steht für jedes einzelne Jahr zwischen 2020 und 2030 und für jeden Bereich, in dem CO2 entsteht (Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft), wie viel Treibhausgas noch in die Luft gepustet werden dürfen. Klimaschützer loben das ausdrücklich. Aber die Frage ist: Was passiert, wenn diese Ziele nicht erreicht werden?

Vorgesehen ist, dass die Bereiche die CO2-Mengen untereinander verschieben dürfen. Wenn Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die Klimaziele beim Verkehr nicht erreichen sollte, dürfte er Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) um Hilfe bitten – vorausgesetzt, der Bereich Landwirtschaft hätte weit weniger CO2 produziert als geplant.

Klimaschützer bemängeln die fehlende Planbarkeit der Klimaziele in den einzelnen Sektoren. Sie kritisieren vor allem aber, dass die Ministerien, in deren Bereich die Ziele nicht erreicht werden, keine weiteren Sanktionen fürchten müssen. „Das ist das Kernproblem. Damit kann der ganze Klimaschutzplan scheitern“, sagt Experte Niebert vom Naturschutzring. Umweltstaatssekretär Flasbarth sagt, dass diese konkreten Ziele im Gesetz stehen, sei allein schon ein Erfolg.

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    Der öffentliche Druck auf die Minister, die in ihren Bereichen nicht lieferten, werde groß werden. Binnen drei Monaten müssen Maßnahmen vorliegen, die das Problem beheben sollen. Der Ministeriumssprecher fügte hinzu, man solle erst einmal davon ausgehen, dass sich die Regierung an ihre eigenen Gesetze auch halten werde.

    Während die CDU das Klimagesetz umfassend verteidigte, verhielt sich der Koalitionspartner SPD auffallend still. Außer Umweltministerin Svenja Schulze (SPD), die auf Twitter den Vorwurf der Abschwächung zurückwies, machte sich kein Sozialdemokrat stark für das Gesetz. Umweltpolitiker Michael Miersch kündigte sogar Nachbesserungen an: Den vorliegenden Gesetzentwurf werde man im Bundestag „sehr genau diskutieren und nachschärfen, falls dies notwendig sein sollte“.

    Nach einem schnellen Ende der Klimadebatten sieht das nicht aus.