Washington. US-Präsident Trump kündigt ein weiteres Abkommen auf. Die Schuld dafür schiebt er Russland zu. Es könnte erst der erste Schritt sein.

Es ist die einzige Methode des Spionierens, bei dem Washington und Moskau immer genau wissen, was die jeweils andere Seite wo, wann und warum tut. Seit bald 18 Jahren steigen regelmäßig spezielle Überwachungsflugzeuge mit hochauflösenden Kameras und Sensoren von russischen und amerikanischen Stützpunkten auf, besetzt jeweils mit Crews beider Länder, patrouillieren gegenseitig militärisch sensible Gebiete und machen nach einem standardisierten Verfahren Aufnahmen.

Der 1955 von US-Präsident Dwight Eisenhower inspirierte “Vertrag über den Offenen Himmel” (Open Skies), dem sich mittlerweile weitere 32 Länder, darunter Deutschland, verpflichtet haben, gilt seit 1992 als wichtiger Eckpfeiler bei dem Versuch, zwischen den Supermächten Transparenz und Vertrauen in Fragen heimlicher militärischer Aufrüstung zu schaffen. Donald Trump will damit ab November dieses Jahres Schluss machen.

Trump kündigt Vertrag „Open Skies auf“ – Streit mit Russland

Nach ersten Andeutungen in 2019 ließ der US-Präsident gestern klar erkennen, dass er wie schon zuvor bei anderen Rüstungskontrollverträgen (etwa dem INF-Vertrag über das Verbot landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen) den Ausstieg der Vereinigten Staaten anstrebt. Seine Begründung diesmal: “Moskau hält sich nicht an die Vereinbarungen”.

Außenminister Mike Pompeo ließ ein Hintertürchen offen: “Wenn Russland zurückkehrt zu voller Regeltreue, würden wir unseren Rückzug überdenken.”In einer ersten Stellungnahme nannte Michael Hayden, Ex-Chef des Geheimdienstes CIA, die Entscheidung Trumps “wahnsinnig”. Zuvor war aus Kreisen des Pentagon durchgesickert, dass man in monatelangen Untersuchungen russische Vertragsbrüchigkeit festgestellt habe, die sich zu einer militärischen Bedrohung für Amerika und seine Verbündeten auswachsen könne.

Details? In einer Mitteilung an Nato-Partner und mehrere europäische Botschaften erklärte Außenminister Pompeo laut dem Magazin “Newsweek”, Russland überfliege in den USA und Europe “kritische zivile Infrastruktur”, die gegebenenfalls mit Präzisionswaffen ins Visier genommen werden könne. Belege für diese heikle Behauptung seien nicht genannt worden, berichtet das Magazin.

Im Kern geht es bei der Kritik Washingtons um bekannte Hindernisse, die Moskau seit Jahren aufbaut. So sind US-Aufklärungsflüge entlang der Grenze zu Abchasien und Südossetien verboten. Außerdem erschwert Moskau Flüge über das militärische Sperrgebiet Kaliningrad, eine russische Enklave. Washington revanchierte sich für die Obstruktion vorübergehend mit Sperrung des Luftraums über Alaska und der hawaiianischen Inselgruppe und trat bei der Zertifizierung eines modernen russischen Aufklärungsflugzeugs auf die Bremse. Wirksam würde der Vertragsausstieg, der in Europa und innerhalb der Nato für Kritik und Kopfzerbrechen sorgt, ab 22. November.

Im US-Kongress zeichnet sich bis dahin eine scharfe Kontroverse ab. Treibende Kräfte wie der republikanische Senator Tom Cotton und sein Kollege Ted Cruz bezeichnen russische Überwachungsflüge über US-Territorium als Gefahr für die nationale Sicherheit. Außerdem mache der technische Fortschritt bei Satellitenaufnahmen die Polizeistreife am Himmel überflüssig. Dagegen fordern demokratische Senatoren wie die Außenpolitiker Bob Menendez und Eliot Engel das unbedingte Festhalten an dem Vertrag, der seit 2002 zu rund 1500 Aufklärungsflügen unter allen Partnerländern geführt hat.

Womöglich nur Vorstufe zu weiterem Ausstieg

Sie berufen sich dabei unter anderem auf den von Trump entlassenen Verteidigungsminister James Mattis. Der Ex-General hatte vor dem Parlament gesagt, dass der “Open Skies”-Vertrag zu “größerer Transparenz und Stabilität in der euro-atlantischen Region beiträgt, was für die USA wie für unsere Allierten und Partner von Vorteil ist”. Mattis betonte seinerzeit, dass kleinere Länder oft nicht die technologischen Mitteln der USA hätten und darum besonders von den ausgetauschten Erkenntnissen profitierten.

Bislang führten die Vereinigten Staaten rund dreimal so viele (etwa 200 - 66 Prozent davon über russischem Territorium) Aufklärungsflüge durch wie umgekehrt (rund 70). Rüstungsexperten in Washingtoner Denkfabriken betonen, dass die dabei gewonnenen Erkenntnisse mitunter solider seien als die Informationen, die von wetterabhängigen Satelliten kommen.

Dazu komme die unter allen 34 Partnerländern geltende Aussagekraft: Via “Open Skies” erzielte Aufnahmen können als offizielle Dokumente im diplomatischen Austausch genutzt werden. Fragen über Echtheit und Vergleichbarkeit entfallen, weil man sich vorher auf verbindliche Kriterien verständigt hat. Trumps Entscheidung dürfte vor allem in Berlin auf Kritik stoßen. Die Bundesregierung hatte erst vor gut einem Jahr, damals noch unter Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), einen Airbus A 319 zum neuen “fliegenden Auge” der Bundeswehr umrüsten lassen, um zum ersten Mal seit 1997 wieder eine eigene Beobachtungsplattform zu haben.

Die Maschine soll in diesem Jahr in Dienst gestellt werden. Als die Debatte um die Zukunft des “Open Skies”-Vertrags 2019 größere Wellen schlug, setzte sich Außenminister Heiko Maas in Abstimmung mit Großbritannien und Frankreich für eine Fortsetzung des Abkommens unter amerikanischer Beteiligung ein. Tenor: „Open Skies“ sei „einer der letzten funktionierenden Mechanismen zur Vertrauensbildung zwischen Europa und Russland” und müsse darum unbedingt erhalten bleiben.