Washington. In der Nacht zu Mittwoch treten US-Präsident Trump und sein Herausforderer Biden zum ersten TV-Duell an. Was ist davon zu erwarten?

Fest steht, dass es 60 Jahre nach der Premiere zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon nicht schön werden kann. Offen ist noch, wie schlimm es wird. Donald Trump und Joe Biden treten am Dienstagabend (Ortszeit, 3 Uhr deutscher Zeit am 30. September) in der „Case Western Reserve University” in Cleveland/Ohio zur ersten von drei TV-Debatten vor der Präsidentschaftswahl in fünf Wochen gegeneinander an.

Ein zivilisiertes Ringen um die Deutungshoheit über den Zustand des Landes oder gar ein prickelnder Ideen-Wettstreit um die Zukunft Amerikas ist auszuschließen. Erwartete 100 Millionen Amerikaner müssen sich an den Fernsehgeräten auf ein rhetorisches Senioren-Wrestling mit Tiefschlägen einstellen.

Schon im Vorfeld verunreinigte Trump die Atmosphäre. Er streute das haltlose Gerücht, sein demokratischer Widersacher bekomme leistungssteigernde Substanzen verabreicht, um seine angebliche Altersschwäche zu kompensieren („Joe weißt nicht, dass er lebt”). Der Präsident forderte sogar einen Drogentest.

TV-Duell: Beleidigung und Häme sind Trumps Stilmittel

Bidens Wahlkampf-Leiterin Kate Bedingfield grätschte dazwischen: „Wenn der Präsident denkt, dass er seine Argumente am besten mit Urin vorbringen kann, braucht er sich keinen Zwang anzutun”, sagt sie dem Magazin „Politico”. Trump habe angesichts von Hunderttausenden Coronatoten die Chance „sinnlos vertan” („pissed away”), um Menschenleben zu retten.

Trump (74) machte bereits 2016 gegen Hillary Clinton die persönliche Attacke samt Beleidigung und Häme zu seinem bevorzugten Stilmittel. Joe Biden (77) kann in solchen Situationen nicht immer sein irisch verwurzeltes Heißsporn-Temperament verbergen und holzt gern zurück.

Bidens letztes echtes TV-Duell liegt acht Jahre zurück. Damals kreuzte er als Vize-Präsident Barack Obamas die Klingen mit Paul Ryan, dem Beiboot des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney. Die zahlengesättigten Attacken seines fast 30 Jahre jüngeren Kontrahenten wetterte Biden mit dem Repertoire des welterfahrenen Außenpolitikers und einigen schrägen emotionalen Ausbrüchen ab.

Biden: „Ich hoffe, dass ich nicht in eine Rauferei mit diesem Kerl gelockt werde“

Joe Biden gegen Donald Trump: Die Kontrahenten bestreiten in der Nacht zum Mittwoch das erste TV-Duell.
Joe Biden gegen Donald Trump: Die Kontrahenten bestreiten in der Nacht zum Mittwoch das erste TV-Duell. © AFP | JIM WATSONBRENDAN SMIALOWSKI

Das wird diesmal nicht reichen, sagen Analysten in Washington. Auch wenn Biden in aktuellen Umfragen landesweit fast zehn Prozentpunkte vor Trump rangiert. Denn Trump, dessen natürliches Biotop der Raum vor einer Fernsehkamera ist, werde sich keiner sachlich-fachlichen Diskussion stellen. Stattdessen, so deutet seine Kampagne bereits an, wird der Präsident Joe Biden samt Familie, gesondert den zuletzt in der Ukraine-Affäre aufgetauchten Sohn Hunter, als korrupt brandmarken.

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Dass da ein beleidigendes Wort das andere geben kann und die ganze Chose trotz mäßigender Intervention von Moderator Chris Wallace (Fox News) womöglich im Schlammbad endet, ist Biden bewusst: „Ich hoffe, dass ich nicht in eine Rauferei mit diesem Kerl gelockt werde.”

Für beide Männer steht viel auf dem Spiel. Trump ist vor der Kulisse von über 200.000 Coronavirus-Toten, 15 Millionen Arbeitslosen und landesweiter Pulverfass-Stimmung nach tödlicher Polizeibrutalität unter Zugzwang. Mehr als die Hälfte der Amerikaner will dem Unternehmer laut Umfragen keine zweite Amtszeit zugestehen.

Biden wiederum hat im direkten Vergleich noch nicht unter Beweis gestellt, dass er das Image des anständigen Staatsmanns mit der ruhigen Hand wirklich mit Leben füllen kann. Weil in Fernseh-Debatten um die Präsidentschaft traditionell nicht die Substanz entscheidet, sondern das Auftreten, wird viel darauf ankommen, wie Biden den programmierten Schwall von Verleumdungen und falschen Behauptungen seines Gegenübers kontern wird.

Trump hat Biden schon oft als senil verunglimpft

Helfen könnte eine Mischung aus Leutseligkeit und Hemdsärmeligkeit, bei der Biden inhaltlich beschlagener und zugleich emphatischer herüberkommt und so Sympathiepunkte bei noch unentschlossenen Wähler sammeln könnte. „Er darf nicht zu unhöflich oder gar rüde sein”, sagt ein Debatten-Trainer der Denkfabrik Brookings, „aber einen Sandsack, der nur Prügel einsteckt, wollen die Leute auch nicht sehen.”

Trumps Konstellation sieht anders aus. Niemand erwartet ernsthaft, dass der angriffslustige Immobilien-Händler in dem auf 90 Minuten begrenzten Kräftemessen verbal abrüstet. Dazu hat er Biden über Wochen zu oft als senil („sleepy Joe”), radikal sozialistisch und politischen Pleitier verunglimpft. Trump ist ein Meister der ambulanten Demütigung. Aber er wandelt dabei auf schmalem Grat.

Laut Umfragen haben enorm viele Frauen, die ihn 2016 gewählt haben, die permanenten Herabwürdigungen des Präsidenten satt. Als Eigentor könnte sich zudem erweisen, dass er die Messlatte für Biden so tief gelegt, dass der langjährige Senator durch einen besonnen, kompetent und präsidial wirkenden Auftritt die Erwartungen spielend erfüllen könnte. Was wiederum voraussetzt, dass der für abenteuerliche Patzer („gaffes” genannt) bekannte Biden Versprecher und Aussetzer gering hält.

Trump wirft Demokraten erneut Wahlbetrug vor

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    Erst am Wochenende sagte er vor laufender Kamera, dass er vor „180 Jahren” in den Senat von Washington eingezogen sei. Was daran erinnerte, dass Biden unlängst in Philadelphia zu berichten wusste, in Amerika könnten „200 Millionen” Menschen an den Folgen der Coronavirus-Pandemie sterben.

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    Die Aussicht auf leichte Momente, wie sie etwa 1984 die Präsidentschaft-Debatten auszeichnete, sind dadurch noch einmal gesunken. Damals wurde Ronald Reagan (seinerzeit 73) gefragt, ob er überhaupt noch das Stehvermögen für den Commander-in-Chief-Posten besitze. Der Hollywood-erfahrene Menschenfänger gab an die Adresse seines Kontrahenten Walter Mondale (damals 57) mit einem mokanten Lächeln zurück: „Ich werde die Jugend und Unerfahrenheit meines Kontrahenten nicht für politische Zwecke ausschlachten.“

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