Brüssel. Der russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine geht weiter – und der Nato-Russland-Rat bleibt ohne greifbare Annäherung.

In Genf und Brüssel wird ohne sichtbaren Erfolg diskutiert, im Westen Russlands aber wird gehandelt: Russland verlegt nach US-Geheimdienstinformationen ungeachtet der laufenden Gespräche weiter Truppen und Waffen an die Grenze zur Ukraine, wenn auch in vermindertem Tempo.

Nach US-Angaben sind zuletzt unter anderem Kampfflugzeuge, Transporthubschrauber und Helikopter in die Region gebracht worden, was die Befürchtung eines geplanten Angriffs auf die Ukraine oder zumindest den Ostteil des Landes weiter wachsen lässt.

Die russische Seite bemühe sich gar nicht, die Truppenbewegungen zu verbergen, hieß es am Rande des Nato-Russland-Rats, der am Mittwoch wegen der Ukraine-Krise erstmals seit zwei Jahren in Brüssel zu Beratungen zusammengekommen war. Seit wenigen Wochen setzt die US Air Force auch zusätzlich Spionage-Flugzeuge mit Abhörelektronik über der Ukraine ein.

Ukraine-Grenze: 100.000 russische Soldaten in Grenznähe

Nach diesen Informationen ist die erwartete Zahl von bis zu 180.000 Militärangehörigen, die für eine Offensive wohl benötigt werden, noch nicht erreicht, die Truppenstärke in Grenznähe wird jetzt mit „mindestens 100.000 Soldaten“ angegeben. Eine Bodenoffensive würde demnach wohl erst im Februar beginnen, hieß es weiter.

Abgesagt ist sie nicht: Man gehe davon aus, dass es Pläne für eine weitere Verlegung gebe, erklärten US-Vertreter. Bei der Tagung des Nato-Russland-Rats sei die russische Seite Erklärungen für die Truppenkonzentration schuldig geblieben; offiziell streitet Russland Angriffspläne ab. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zog danach ein alarmierendes Resümee: „Es gibt ein reales Risiko für einen bewaffneten Konflikt in Europa“, sagte er. Aber wenn Russland tatsächlich in die Ukraine einmarschiere, werde das ernste Konsequenzen haben.

„Positives Zeichen, dass alle am gleichen Tisch saßen“

Das viereinhalbstündige Treffen brachte wie erwartet keinen Durchbruch. „Es war keine leichte Diskussion, es gibt nach wie vor erhebliche Differenzen, die nicht leicht zu überbrücken sind. Aber umso wichtiger war das Treffen“, sagte Stoltenberg. Russland beklagte ein fehlendes Entgegenkommen der Nato. Das Bündnis zeige keine Bereitschaft, die Sicherheitsinteressen anderer Staaten zu berücksichtigen, sagte der russische Vizeaußenminister Alexander Gruschko.

Vor dem Treffen begrüßt Nato-Generalsekretär Stoltenberg (r), den russischen Vize-Außenminister Gruschko (M) und Vize Verteidigungsminister.
Vor dem Treffen begrüßt Nato-Generalsekretär Stoltenberg (r), den russischen Vize-Außenminister Gruschko (M) und Vize Verteidigungsminister. © dpa | Olivier Hoslet

Selbst die Hoffnung erfüllte sich zunächst nicht, dass ein Prozess für weitere Gespräche auch zu Fragen wie Rüstungskon­trolle, Abrüstung oder größerer Transparenz von Militärübungen festgelegt wird: Die Nato-Partner seien bereit, weitere Treffen zu vereinbaren, doch habe die russische Seite erklärt, man sei noch nicht so weit, berichtete Stoltenberg. Doch sah er eine grundsätzliche Bereitschaft zu Gesprächen aufseiten Moskaus. „Es ist ein positives Zeichen, dass alle Nato-Verbündeten und Russland am gleichen Tisch saßen und sich substanziellen Themen gewidmet haben“, sagte Stoltenberg.

Die Sitzung war mit Spannung erwartet worden, nachdem eine erste Gesprächsrunde zwischen Washington und Russland am Montag in Genf keinen Durchbruch gebracht hatte. Von Nato-Seite nahmen Vertreter der 30 Mitgliedstaaten teil, für die USA Vizeaußenministerin Wendy Sherman, die schon die US-Delegation beim bilateralen Gespräch in Genf geleitet hatte. Russland wurde unter anderem von Gruschko vertreten, der bis 2018 Nato-Botschafter in Brüssel war.

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Nato-Russland-Rat erreicht keine Annäherung

In den zentralen Fragen erreichte der Nato-Russland-Rat keine Annäherung, was auch nicht erwartet worden war. Die russische Seite bekräftigte ihre Forderungen: Die Nato-Streitkräfte müssten sich aus den osteuropäischen Mitgliedstaaten der Allianz zurückziehen, zudem müsse es eine vertraglichen Zusage geben, dass die Ukraine und andere frühere Sowjetstaaten nicht in die Nato aufgenommen würden.

Vonseiten der Nato wurden diese Forderungen abermals zurückgewiesen. An dem Nato-Kernprinzip der „offenen Tür“ für neue Mitglieder werde die Allianz nicht rütteln lassen, betonte Stoltenberg. „Nur die Ukraine und die Alliierten können entscheiden, ob die Ukraine Mitglied wird – Russland hat kein Veto“, fügte der Generalsekretär hinzu.

Umgekehrt forderten die Nato-Vertreter, Russland müsse jetzt Schritte der Deeskalation einleiten, der Truppenaufmarsch dürfe nicht weitergehen. Für den Fall einer Invasion drohen die USA mit einem Ausschluss Russlands aus der internationalen Zahlungsverkehrs-Plattform Swift, mit Exportkontrollen und einer stärkeren Nato-Präsenz in Osteuropa, die Russland gerade verhindern will.

Am Donnerstag sind nun Gespräche über den Ukraine-Konflikt im Ständigen Rat der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Wien geplant. Parallel gibt es weiter Bemühungen, zur Konfliktlösung ein Vierer-Gipfeltreffen Russlands, der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs einzuberufen.

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