Berlin/Windhuk. Nach mehr als einem Jahrhundert will Deutschland die Kolonialverbrechen in Namibia als Völkermord anerkennen. Doch es gibt Kritik.

Bundesaußenminister Heiko Maas spricht von einer "Geste der Anerkennung des unermesslichen Leids". Doch es ist viel mehr: Mehr als 100 Jahre nach dem Massenmord deutscher Kolonialtruppen in Namibia an den Herero und Nama wird Deutschland das Verbrechen als Völkermord anerkennen.

Fast sechs Jahre wurde verhandelt, um Worte und Entschädigungssummen gerungen, jetzt steht das Aussöhnungsabkommen zwischen Deutschland und Namibia, dass die Gräueltaten in der Zeit von 1904 bis 1908 ohne Schonung und Beschönigung benennt. "Wir werden diese Ereignisse jetzt auch offiziell als das bezeichnen, was sie aus heutiger Perspektive waren: ein Völkermord", sagte Maas. Die Bundesregierung wird Entschädigung zahlen und verschiedenste Projekte – in den kommenden 30 Jahren – mit 1,1 Milliarden Euro unterstützen. Und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier soll in die Hauptstadt Windhuk reisen, um um Verzeihung zu bitten.

In Namibia ist die deutsche Vergangenheit auch heute noch spürbar: Es gibt deutsche Geschäfte, noch einige deutsche Straßennamen und Kneipen mit Kegelbahnen, hier und da wird sogar noch deutsch gesprochen. Und auf dem Friedhof nördlich der Hauptstadt Windhuk hat sich der Staub über die Grabsteine gelegt, auf denen die Namen der deutschen Soldaten stehen, die 1904 bei der brutalen Niederschlagung des Aufstandes der Herero und Nama selbst ums Leben kamen.

Namibia, damals Deutsch-Südwestafrika, war von 1884 bis 1915 deutsche Kolonie und Schauplatz unermesslicher Grausamkeit an den Herero und Nama. Für Historiker ist der Massenmord der erste Genozid des 20. Jahrhunderts. Von 1904 bis 1908 wurden etwa 65.000 von 80.000 Herero und mindestens 10.000 von 20.000 Nama umgebracht. Genaue Zahlen gibt es nicht.

Herero und Nama: Vernichtungskrieg der Kolonialmacht

Die Anordnung zum Töten, die Generalleutnant Lothar von Trotha am 2. Oktober 1904 erließ, ging als Vernichtungsbefehl in die Geschichte ein. "Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen." Dem Befehl war die grausame Schlacht am Waterberg vorausgegangen. Dort ließ der Deutsche einen Großteil der Herero-Bevölkerung einkesseln und töten. Um den Soldaten zu entkommen, flohen Tausende Herero in die wasserlose Omaheke-Wüste. Der Abriegelungsbefehl war ihr Todesurteil. Die Menschen verdursteten elendig. Die deutschen Truppen nahmen die völlige Vernichtung der Herero gezielt in Kauf.

Die deutsche Kolonialgeschichte war kurz, aber grausam. 1884 wurde das deutsche "Schutzgebiet" Deutsch-Südwestafrika zur Kolonie ausgebaut. Bis zum Ersten Weltkrieg 1914 kamen etwa 15.000 weiße Siedler in das südafrikanische Land, überwiegend Deutsche. Die Bevölkerung wurde unterdrückt, es herrschte Rassentrennung, Schwarze waren Menschen zweiter Klasse.

Als immer mehr Siedler ins Land kamen, wurden einheimische Stämme gezwungen, ihr Land zu räumen. Lebenswichtiges Weideland ging so immer mehr in die Hände der Siedler über. Die Herero, ein halbnomadischer Hirtenstamm, begannen sich gegen die Unterdrückung aufzulehnen. Sie belagerten Militärstationen, blockierten Bahnlinien und überfielen Handelsniederlassungen.

Theodor Leutwein, Gouverneur Deutsch-Südwestafrikas, wurde angewiesen, den Aufstand militärisch niederzuschlagen. Generalleutnant Trotha übernahm die Aufgabe und wurde 1905, auch wegen öffentlicher Kritik an der brutalen Niederschlagung der Rebellion, abberufen. Die Überlebenden des Aufstandes kamen in Konzentrationslager und mussten Zwangsarbeit leisten.

In Deutschland wurden diese Massaker in ihrem historischen Ausmaß vom Holocaust sowie dem Zweiten Weltkrieg überlagert und gerieten in Vergessenheit. Für die Nachkommen der Herero und Nama aber gab es kein Vergessen. Einige lehnen auch das Aussöhnungsabkommen mit Deutschland weiterhin ab. Sie fühlten sich in der Verhandlungsdelegation nicht ausreichend repräsentiert, misstrauen ihrer Regierung und fürchten, dass die Entschädigungen bei ihnen nicht ankommen.

Aussöhnung mit Namibia: Deutschland entschuldigt sich für Gräueltaten

Inna Hengari, Vertreterin der größten Oppositionspartei des südafrikanischen Landes, Popular Democratic Movement, spricht von einer "Beleidigung" Namibias. Oppositionsführer Mike Kavekotora von der Rally for Democracy and Progress wirft der Regierung von Präsident Hage Geingob vor, die Nama und Herero in dem Prozess "ausgeschlossen" zu haben: "Ich denke nicht, dass das das Beste ist, was Namibias Regierung von Deutschland hätte bekommen können."

Die Aussöhnung, maßgeblich durch den deutschen Chefunterhändler Ruprecht Polenz (CDU) zustande gekommen, umfasst drei wichtige Punkte: Anerkennung des Völkermordes, Entschädigung für die Gräueltaten und finanzielle Wiedergutmachung. Es war vor allem ein Kampf um die richtigen Worte, die exakten Rechtsbegriffe. So entschuldigt sich Deutschland für die Gräueltaten, die aus heutiger Sicht ein Völkermord wären. Erst 1948 hatten die Vereinten Nationen den Völkermord zum Straftatbestand gemacht. Er gilt nicht rückwirkend.

Entschädigung: 1,1 Milliarden Euro für Projekte gezahlt

Weitaus schwieriger waren die Verhandlungen über die Entschädigungen für die koloniale Ausbeutung. Deutschland war es wichtig, dass die Nachkommen der Herero keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung haben, dass es keine Wiedergutmachung für einzelne Familien gibt. Die Zahlung von 1,1 Milliarden Euro erfolge aus politisch-moralischer Verpflichtung, heißt es. Das Geld soll über einen Fonds vor allem in Projekte in den Siedlungsgebieten der Herero und Nama fließen. Dabei soll es um Landreform, Landwirtschaft, ländliche Infrastruktur und Wasserversorgung sowie Berufsausbildung gehen.

Die Bitte um Vergebung wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußern. Sie soll in einem feierlichen Akt im Parlament von Namibia ausgesprochen werden "Unser Ziel war und ist, einen gemeinsamen Weg zu echter Versöhnung im Angedenken der Opfer zu finden", sagte Maas. Die Vereinbarung mit Namibia sei aber nicht als Schlussstrich unter die Vergangenheit zu verstehen. "Die Anerkennung der Schuld und unsere Bitte um Entschuldigung ist aber ein wichtiger Schritt, um die Verbrechen aufzuarbeiten und gemeinsam die Zukunft zu gestalten."