Hamburg/Berlin. Nach dem Wahldesaster in Hamburg und dem Pakt mit der Thüringer Linken herrscht große Unruhe. Wie füllt die Partei ihr Führungsvakuum?

Absturz in Hamburg auf das zweitschlechteste Ergebnis bei einer Landtagswahl seit fast 70 Jahren, Züge einer offenen Rebellion des Thüringer Landesverbands gegen die von der Bundespartei festgeschriebene Abgrenzung nach links, ungeklärte Führungsfragen in Berlin, dazu die Bedrohungslage durch rechten Terror: Die „Staatspartei“ CDU wirkt gelähmt und steckt in ihrer größten Krise seit der Parteispendenaffäre vor 20 Jahren.

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak gratulierte am Abend der SPD und räumte ein: „Es ist ein bitterer Tag für die CDU Deutschlands. Daran gibt es nichts schönzureden.“ Was in Thüringen passiert sei, sei „alles andere als Rückenwind“ für die Hamburger CDU gewesen. Viel mehr hatte Ziemiak nicht zu sagen.

Wenn an diesem Montagmorgen Präsidium und Vorstand unter der Führung von Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) zusammenkommen, braucht niemand der Anwesenden beim Betreten des Adenauer-Hauses Feueralarm auszulösen. Jeder, der Verantwortung in der CDU trägt, weiß, dass die Hütte lichterloh brennt. Hat die Noch-Vorsitzende überhaupt einen Plan, wie die vielfältigen Brandherde (Thüringen, Parteivorsitz, Kanzlerkandidatur) ausgetreten werden können?

CDU-Debakel in Hamburg – Machtkämpfe irritieren die Wähler

Die Pleite in Hamburg kam alles andere als überraschend. Die Hansestadt ist für die Christdemokraten seit Langem ein schwieriges Pflaster. Nach dem Thüringen-GAU, als CDU und FDP kurzzeitig gemeinsame Sache mit der AfD machten und in der Folge Kramp-Karrenbauer ihren Abschied ankündigte, gab es für den Hamburger CDU-Spitzenkandidaten Marcus Weinberg rein gar nichts mehr zu holen.

Auch der Machtkampf in der Bundespartei bewegte die Hamburger Wähler. In einer ARD-Umfrage sagten 83 Prozent, sie wüssten nicht, wer in der CDU nach Angela Merkel überhaupt das Sagen habe. Und 80 Prozent kritisierten, der Partei seien derzeit Personen und Ämter wichtiger als Inhalte.

Der saarländische CDU-Ministerpräsident Tobias Hans zeigte sich am Abend erschüttert. „Das ist ein Ergebnis, das uns aufschrecken muss. Das Bild, das wir abgeben, ist ein Bild der Führungslosigkeit.“ Das gelte für Berlin und Thüringen, wo es eine „Staatskrise“ gebe.

Thüringen: CDU im Sturzflug in die Vertrauenskrise

Der Freistaat ist für die CDU zu einem Waterloo geworden. Die neuerliche Wendung, nur 30 Stunden vor Öffnung der Hamburger Wahllokale, versetzte die Bundespartei zunächst in Schockstarre. In Erfurt entschied die CDU-Landtagsfraktion, den linken Ex-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow und dessen rot-rot-grüner Regierung in einer Art Stabilitätspakt bis zu einer Neuwahl im April 2021 wieder ins Amt verhelfen zu wollen.

Ramelow spekuliert bei der für den 4. März geplanten erneuten Ministerpräsidentenwahl im Landtag im ersten Wahlgang auf mindestens vier Stimmen von CDU oder FDP. Die Thüringer CDU erklärte dazu nebulös, sie werde „Ramelow nicht aktiv als Ministerpräsidenten“ mitwählen. Wie das mit dem Beschluss des eigenen Bundesparteitages vom Dezember 2018 in Hamburg zusammenpassen soll, der jegliche Kooperation mit AfD und Linkspartei ausschließt, ist ein Grund für die Turbulenzen in der Bundespartei.

Was nun, CDU? Annegret Kramp-Karrenbauer will aufhören, Friedrich Merz möchte sie beerben.
Was nun, CDU? Annegret Kramp-Karrenbauer will aufhören, Friedrich Merz möchte sie beerben. © Getty Images | Maja Hitij

Der Erste in der CDU, der am Wochenende die Fassung wieder erlangte, war nicht die amtierende Parteivorsitzende, sondern der Bundesgesundheitsminister. Am Sonnabend um 10.50 Uhr twitterte Jens Spahn: „Eine Wahl von Bodo Ramelow durch die CDU lehne ich ab. Wir sind als Union in einer Vertrauenskrise. Die letzten Wendungen aus Thüringen kosten weiteres Vertrauen. Es geht jetzt um die Substanz unserer Partei – nicht nur in Thüringen.“

Auch Friedrich Merz kam aus der Deckung. Die Entscheidung der CDU in Thüringen, Ramelow zum Ministerpräsidenten auf Zeit mitzuwählen, „beschädigt die Glaubwürdigkeit der CDU in ganz Deutschland“, sagte er.

Der Kampf um die Glaubwürdigkeit der gesamten Partei

Irgendwann am Sonnabend erwachte schließlich die Parteispitze. Generalsekretär Ziemiak trat in seiner sauerländischen Heimat vor die Kameras und bezeichnete eine Wahl von Ramelow mit CDU-Stimmen als unglaubwürdig. „Nach den fatalen Wendungen der letzten Wochen sind zügige Neuwahlen der einzig sinnvolle Weg. Es muss Schluss sein mit Taktieren.“ Die Grundüberzeugungen und die Glaubwürdigkeit der CDU stünden auf dem Spiel. Aber was folgt daraus?

Hätte die Bundespartei Abweichlern in Thüringern nicht längst drastische Sanktionen vor Augen führen müssen? Dass die CDU-Spitze einknickt und ihre Unvereinbarkeitsbeschlüsse nach links und rechts (AfD) zugunsten einer „Lex Ramelow“ aufweicht, wie es sich moderate CDU-Kräfte wünschen, ist kaum vorstellbar. Schleswig-Holsteins CDU-Regierungschef Daniel Günther ermahnte am Sonntag die Thüringer Parteifreunde, einer schnellen Neuwahl nicht im Weg zu stehen.

Aber hört in der renitenten Thüringer CDU überhaupt jemand zu, was die Bundesspitze will? Kramp-Karrenbauer besaß schon vor ihrem angekündigten Rückzug nicht die Autorität, die AfD-Scharade in Erfurt zu verhindern und die Thüringer zurückzupfeifen. Seitdem ist nichts besser, sondern vieles schlechter geworden.

Wer wird Parteichef, wer Kanzlerkandidat?

Zuletzt führte AKK Einzelgespräche mit Armin Laschet, Friedrich Merz, Jens Spahn und Norbert Röttgen. Dieses Beichtstuhlverfahren brachte dem Vernehmen nach keine Klärung im Sinne einer vielfach beschworenen „Teamlösung“. Team versteht jeder der vier Männer aus Nordrhein-Westfalen eben so, dass er selbst der Boss ist und die Mannschaft führt.

Nur Ex-Umweltminister Röttgen hat bisher überhaupt öffentlich erklärt, dass er Parteichef werden will und sich auch die Kanzlerkandidatur zutraut. Er gilt in der CDU als Außenseiter. Das kann aber auch ein Vorteil sein. Eine Kampfabstimmung auf einem Sonderparteitag, auf den viele in der Union dringen und über dessen möglichen Termin die Gremien am Montag beraten, wird damit sehr wahrscheinlich.

Merz, dem im Dezember 2018 beim Parteitag zur Merkel-Nachfolge in der CDU nur 35 Stimmen zum Sieg über AKK fehlten, will ebenfalls antreten. Das gilt im Prinzip auch für Spahn. Unklar ist, was Laschet macht. Der NRW-Ministerpräsident und Chef des größten Landesverbands galt als klarer Favorit. Bis Röttgen um die Ecke kam. Bereits 2018 trat Laschet nicht an. Der lebenslustige Aachener müsse nun aufpassen, dass er sich nicht vom „Königsmacher“ in einen „Zauderkönig“ verwandele, meinte ein Unionsstratege.

Wann fallen Entscheidungen? CSU-Chef Markus Söder mahnt die CDU bei der AKK-Nachfolge zur Eile, was einige in der CDU als übergriffig kritisierten. Der Saarländer Regierungschef Hans sieht es wie Söder. „Wir können damit nicht bis zum Ende des Jahres warten.“ Alle Kandidaten müssten Farbe bekennen, „ob sie nun antreten oder nicht“. Die Krisensitzung am Montag dürfte turbulent werden.