Berlin. Neue AOK-Studie zeigt: Wer im Homeoffice arbeitet, fühlt sich oft erschöpfter, genervter und reizbarer als seine Kollegen im Büro.

Homeoffice – das klingt für viele Arbeitnehmer verheißungsvoll: nach größerer Freiheit, höherer Flexibilität und bessere Konzentration. Doch in der Realität ist die Arbeit am heimischen Schreibtisch oft belastender als eine Beschäftigung im Büro.

Für den neuen Fehlzeiten-Report der AOK wurden dazu mehr als 2000 Beschäftigte zwischen 16 und 65 Jahren befragt – das Ergebnis: Wer im Homeoffice arbeitet, fühlt sich demnach oft erschöpfter, genervter und reizbarer als die Kollegen im Büro.

Im Homeoffice verschwimmt die Grenze zwischen Job und Privatleben

Beispiel Erschöpfung: 73,4 Prozent der Befragten, die häufig im Homeoffice arbeiten, fühlten sich in den letzten 12 Monaten überlastet. Bei Beschäftigten, die ausschließlich im Büro tätig sind, waren es nur 66 Prozent.

Über Wut und Verärgerung klagten 69,8 Prozent der Beschäftigten im Homeoffice gegenüber 58,6 Prozent im regulären Bürodienst. Bei Nervosität und Reizbarkeit waren es im Homeoffice 67,5 Prozent im Vergleich zu 52,7 Prozent. Auch Lustlosigkeit, Konzentrationsprobleme und Schlafstörungen kennen die Heimarbeiter häufiger als die Büromenschen.

„Wer viel im Homeoffice arbeitet, leidet häufiger unter solchen Problemen als andere Beschäftigte“, sagt Helmut Schröder, Mitherausgeber des Fehlzeiten-Reports. „Im Homeoffice verschwimmt die Grenze zwischen Job und Privatleben stärker. Damit wächst das Risiko, dass Erholungsphasen schrumpfen.“

Jeder Dritte hat Probleme, nach Feierabend abzuschalten

Laut AOK-Studie verlegt jeder Dritte mit Homeoffice häufig Arbeitszeiten auf den Abend oder das Wochenende (33,9 Prozent). Fast ein Fünftel der betroffenen Befragten berichtet über Probleme mit der Vereinbarkeit von Arbeitszeit und Freizeit (18,8 Prozent) oder über Anrufe bzw. E-Mails des Arbeitgebers außerhalb ihrer Arbeitszeiten (19,5 Prozent).

Darüber hinaus gibt mehr als ein Drittel der Beschäftigten mit Homeoffice an, dass sie Probleme haben, nach Feierabend abzuschalten (38,3 Prozent). Bei den Beschäftigten, die nur im Betrieb arbeiten, ist das nur jeder Vierte (24,9 Prozent).

Viele sehen aber auch die Vorteile der Heimarbeit

Das ist das eine. Das andere ist: Viele Befragte mit Homeoffice berichten von einer höheren Arbeitszufriedenheit und den Vorteilen flexibler Arbeit. Neben einer höheren Autonomie gehört für mehr als zwei Drittel (67,3 Prozent) dazu, dass sie zu Hause mehr Arbeit bewältigen können und drei Viertel (73,7 Prozent) schätzen daran, dass sie konzentrierter arbeiten können als am Arbeitsplatz.

Hinzu kommt: Trotz der höheren psychischen Belastung haben Beschäftigte im Homeoffice geringere Fehlzeiten (7,7 Tage) als solche, die nur am Unternehmenssitz tätig sind (11,9 Tage). „Im Homeoffice lassen sich die Arbeitszeiten passgenauer einteilen. Unter Umständen arbeiten die Menschen im Krankheitsfall weniger und holen die verlorene Arbeitszeit dann nach“, so Schröder.

Homeoffice verlangt mehr Selbstdisziplin

„Es mag auf den ersten Eindruck wie ein Widerspruch klingen, dass sowohl die psychischen Belastungen als auch die Arbeitszufriedenheit im Homeoffice höher sind“ sagt Antje Ducki, Professorin an der Berliner Beuth Hochschule für Technik und Mitherausgeberin des Fehlzeiten-Reports.

Ob sich gesundheitsförderliche oder gesundheitsschädigende Effekte ergeben, sei jedoch wesentlich von der konkreten Gestaltung der Arbeit abhängig und von den digitalen Kompetenzen der Menschen. „Da die digitalen Techniken rund um die Uhr zur Verfügung stehen, braucht es beispielsweise mehr Selbstdisziplin des Einzelnen, sie auch mal auszuschalten.“

Arbeitsministerium will neue Regeln fürs Homeoffice auf Weg bringen

Laut AOK-Report arbeiten derzeit gut 16 Prozent der Beschäftigten überwiegend von zu Hause aus. die spd fordert gesetzlichen anspruch auf homeofficeDas Bundesarbeitsministerium will noch in diesem Jahr neue Regelungen für das Arbeiten im Homeoffice voranbringen: „Zu einer modernen Arbeitswelt gehört, dass Menschen, die zu Hause arbeiten können und wollen, auch die Möglichkeit dazu haben“, sagte Staatssekretär Björn Böhning unserer Redaktion.

„Das Ziel, einen Rechtsrahmen für mobiles Arbeiten zu schaffen, bleibt deshalb auf unserer politischen Agenda für dieses Jahr.“ Homeoffice helfe, Familie und Beruf besser zu vereinbaren, spare Pendelzeiten und sorge für größere Arbeitszufriedenheit, so Böhning. 40 Prozent der Beschäftigten in Deutschland könnten nach Auffassung des Arbeitsministeriums von zu Hause. Nur zwölf Prozent täten dies aber. „Deren Ansprüche wollen wir stärken.“

Arbeitsminister Hubertus Heil hatte bereits im Frühjahr ein Recht auf Homeoffice vorgeschlagen. Der SPD-Politiker geht davon aus, dass Homeoffice für deutlich mehr Beschäftigte möglich wäre. Damit die Arbeitszeit zu Hause nicht ausufert, soll es klare Regeln etwa gegen ständige Erreichbarkeit geben. Die Gewerkschaften fordern das ebenfalls. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) dagegen setzt zwar ebenfalls auf mehr berufliche Flexibilität, will aber keine neuen gesetzlichen Regelungen einführen.