Berlin. Politinsider Daniel Benjamin, Leiter der American Academy, über Trumps Corona-Infektion und mögliche Gewaltausbrüche nach der US-Wahl.

Daniel Benjamin kennt die amerikanische Politik von innen wie nur wenige. Er war Redenschreiber von Präsident Bill Clinton und Anti-Terrorismus-Koordinator unter US-Außenministerin Hillary Clinton. Seit Juli leitet er die American Academy in Berlin, die als wichtigste US-Denkfabrik außerhalb der Vereinigten Staaten gilt.

Trotz der extremen Polarisierung seines Landes ist sich Benjamin sicher: „Wenn das Wahlergebnis für gültig erklärt wird, wird sich Trump nicht im Weißen Haus halten können.“

Herr Benjamin, Präsident Donald Trump hat sich mit dem Coronavirus infiziert. Welche Auswirkungen hat das auf seinen Wahlkampf?

Daniel Benjamin: Mit Trumps Corona-Infektion ist eine weitere Bombe geplatzt. In einer Woche, die uns bereits die Nominierung für das US-Verfassungsgericht, den „New York Times“-Bericht über Trumps Steuern und die TV-Debatte mit Joe Biden brachte, ist das die größte Erschütterung.

Das günstigste Szenario aus Trumps Sicht: Er erholt sich, ist aber für zwei Wochen in der heißen Wahlkampf-Phase außer Gefecht gesetzt. Seine Bemühungen, das Virus weiterhin herunterzuspielen, sind extrem geschwächt, da er nun selbst ins Krankenhaus gebracht werden musste.

Hinzu kommt, dass sich Schlüsselpersonen seines Stabs infiziert haben, weitere Corona-Fälle im Weißen Haus sind wahrscheinlich. Zudem wurden einige Senatoren positiv auf das Virus getestet, was auch die Bestätigung der Richterin Amy Coney Barrett vor dem Verfassungsgericht gefährden könnte.

Deshalb untergräbt dies auf dramatische Weise die Bemühungen des Präsidenten, das Thema der Wahl auf etwas anderes zu lenken als die Pandemie, und lässt das Weiße Haus unverantwortlich aussehen. All dies ist ein enormer Schlag für Trumps Wahlkampf.

Sollte Trump die Wahl verlieren: Wird er seine Niederlage akzeptieren?

Trump scheint den Grundstein dafür gelegt zu haben, das Urteil der Wähler nicht anzuerkennen. Dazu zählen die Behauptungen, dass das System manipuliert und die Briefwahl betrügerisch sei. Manche Beobachter vermuten, dass die Parlamente in einigen Bundesstaaten, in denen sich die Auszählung der Stimmen lange hinzieht, eigenmächtig eine Gruppe von Wahlmännern aufstellen könnten. Dann landen wir möglicherweise in einem mehrmonatigen Gerichtsstreit.

Manche erwägen auch die Möglichkeit, dass der Präsident einfach nicht aus dem Amt scheidet. Aber ich bin davon überzeugt, dass sich die Sicherheitsbehörden wie das FBI oder der Secret Service strikt an das Gesetz halten werden. Diese Institutionen sind verlässlich – es gibt keine Hinweise darauf, dass sie politisiert wurden. Wenn das Wahlergebnis für gültig erklärt wird, wird sich Trump nicht im Weißen Haus halten können.

Was Trumps Coronavirus-Infektion für die US-Wahl bedeutet

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    Erwarten Sie einen Ausbruch von Gewalt nach dem Wahltag am 3. November?

    Die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, ist vermutlich so hoch wie noch nie, aber so eine Situation haben wir auch noch nie erlebt. Sollte sie eskalieren, hoffe ich, dass Gewalt nur in geringem Maße und nur in einzelnen Fällen auftritt. Amerika ist derzeit sehr, sehr aufgewühlt. Das ist beunruhigend.

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      Sollte Trump gewinnen: Wird der Präsident dann noch härter gegenüber den Europäern auftreten?

      Viele erwarten, dass sich Trump dann ermutigt fühlt. Ich wäre nicht überrascht, wenn es mehr Spannungen im Handel oder mit Blick auf die Nato gäbe. Leute wie der ehemalige Sicherheitsberater John Bolton haben berichtet, dass Trump mehrfach über einen Austritt aus dem Bündnis geredet hat. Auf der anderen Seite genießt die Nato im Senat die unerschütterliche Unterstützung von beiden Parteien.

      Wie sollte die Bundesregierung mit einem wiedergewählten Präsidenten Trump umgehen?

      Deutschland steht vor einer Bundestagswahl – das macht die Sache ein bisschen kompliziert. Ich muss aber Bundeskanzlerin Angela Merkel Anerkennung zollen: Sie hat sich behauptet, und sie hat sich nicht in Auseinandersetzungen mit Washington hineinziehen lassen. Deutschland wird auf jeden Fall seine eigenen Interessen verfolgen müssen.

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        Würde das transatlantische Verhältnis unter einem Präsidenten Joe Biden eine Renaissance erleben?

        Biden glaubt an starke Beziehungen mit den Verbündeten. Er weiß, dass die großen Probleme dieser Welt nicht von den USA allein gelöst werden können – egal, ob es sich um China, Klimawandel, Terrorismus oder den Aufstieg autoritärer Systeme handelt. Biden würde die USA zum Pariser Klimavertrag zurückführen. Und er würde versuchen, das Atomabkommen mit dem Iran auf die eine oder andere Art wiederzubeleben.

        Würde auch Biden darauf pochen, dass Deutschland zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Verteidigung ausgibt?

        Amerikanische Präsidenten haben sich seit sehr langer Zeit über die mangelnde Lastenteilung der Europäer beklagt. Das wird sich auch unter einer neuen US-Regierung nicht ändern. Biden würde aber niemanden öffentlich an den Pranger stellen und dadurch für Bitterkeit unter den Alliierten sorgen. Diese Themen müssen gemeinsam von den Regierungen hinter verschlossenen Türen diskutiert werden.

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