Erfurt. Der Erfurter Christian „Erdi“ Erdmann hat sich ein ganz besonderes Reich erschaffen. Was er uns gezeigt hat und welche Dinge auf seiner Wunschliste stehen.

Eine Wand voller Werkzeug, hier mal ein altes Radio, dort mal ein Fahrradreifen. Was wie Jedermanns Dachboden klingt, ist in Erdis Welt etwas ganz Besonderes. Eine ganze Fahrradsammlung hat der Erfurter in einem Lagerraum in der Innenstadt aufgebaut. Sein Reich, wie er es nennt und wegen dem er von seiner Tochter manchmal „Ritter Rost“ genannt wird.

Erfurter hat sich einen besonderen Rückzugsraum eingerichtet

Wer sich jetzt aber fünf oder sogar elf Fahrräder vorstellt, liegt falsch. 158 historische Räder sind es, die Christian Erdmann in seinem 90 Meter langen und 25 Meter breiten Refugium aufgestellt hat. „Das ist mein Rückzugsort“, sagt Erdi. Begonnen hat er damit, als seine Partnerin krank wurde.

Erdi und seine Erfurter Fahrrad-Wunderkammer

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    Sein Lieblingsrad ist sein Diamant „Petzi“, ein besonderes Sahnestück, von dem es nur noch 16 bekannte Exemplare gibt. Davon seien nur noch drei fahrtüchtig. Eins davon steht bei Erdi. Verständlich, dass er es um keinen Preis hergeben würde: „Das nehm ich mit ins Grab“, sagt er lächelnd. Unter den Schätzen des Sammlers sind neben zahlreichen Diamant-Fahrrädern der 1930er- und 1950er-Jahre auch andere Stücke altehrwürdiger Marken. Darunter Räder von „Germanus“, einem Unternehmen, das in Erfurt ansässig war und von dem es ebenfalls nur noch wenige erhaltene Zweiräder gibt.

    Auch ein Rennrad von Täve Schur steht in der Erfurter Sammlung

    Jedes Rad in seinem Bestand hat er liebevoll aufgearbeitet. „Zwei bis drei lange Abende brauche ich, wenn alles da ist“, schätzt Erdi ein. Sogar ein Rad der Rennfahrer-Legende Täve Schur steht in den fast schon museumsartig aufgebauten Räumen. Seinen Helden hat der 45-Jährige sogar schon getroffen, wie eines der Fotos in seinem Rückzugsort beweist.

    Im Werkstatt-Teil seines Domizils nimmt Erdi alte Fahrräder auseinander. Je nach Gusto baut er die Räder dann manchmal mit anderen Teilen in historisch nahem Zustand wieder zusammen.
    Im Werkstatt-Teil seines Domizils nimmt Erdi alte Fahrräder auseinander. Je nach Gusto baut er die Räder dann manchmal mit anderen Teilen in historisch nahem Zustand wieder zusammen. © Funke Medien Thüringen | Marco Schmidt

    Erdi fährt mit seinen historischen Rädern auch durch Erfurt

    Doch ein Museum ist Erdis Sammlung am Ende eben doch nicht. Allein die Tatsache, dass er all seine alten Räder tatsächlich auch fährt, würde jeden Ausstellungskurator wahrscheinlich zur Weißglut treiben. Fast jeden Tag sucht sich der Erfurter ein Stück aus seinem Fundus, trägt es die Treppen herunter und benutzt es zu seinem ureigenen Zweck – als Fortbewegungsmittel. „Manchmal wechsle ich sogar mehrfach täglich das Fahrrad“, schmunzelt er.

    Fahrrad-Sammler kennt alle Fakten und Daten

    Es ist die kleine Prise Humor, die den Unterschied macht, ob etwas eine Sammelleidenschaft oder schon ein Spleen ist. Erdi merkt man an, dass sein Herz fürs historische Fahrrad schlägt. Doch ändert auch sein dezenter Fahrrad-Ohrring nichts daran, dass man im Gespräch mit ihm spürt, dass es ein ehrliches und handwerkliches Hobby ist. Von jedem Rad kennt er das Baujahr und weiß, bis wann es in welcher Ausführung auf den Markt gebracht wurde.

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    Erfurter Puffbohnen als Dekoration für die Sammlungsstücke

    Wertschätzung ist ein wichtiges Schlagwort für den Erfurter, der 20 Jahre im Milchhof tätig war, aber mittlerweile – was auch sonst – als Fahrradhändler in einer Firma arbeitet. „Was in den 1970er- und 1980er-Jahren auf den Markt kam, ist Massenware“, schätzt er ein. Ihm geht es um den Wert der alten Räder, deren Geschichte und die Arbeit, die darin steckt. Neben Petroleumleuchten und alten Fahrradklingeln gehören auch alte Ledertaschen, Lieferscheine und Werbe-Plakate zum Bestand in Erdis Fahrrad-Wunderkammer. Das einzige, was an den historischen Rädern etwas aus der Rolle fällt, sind die kleinen Puffbohnen, die er an den ein oder anderen Sattel gehängt hat.

    Zwei besondere Modelle fehlen dem Erfurter noch

    Welches Rad bekommt eine Puffbohne? Ist das etwa eine Auszeichnung? Erdi schüttelt den Kopf: „Ich hab einfach nicht genug davon, um jedem Rad eine anzuhängen“. Aber was, außer vielleicht einige dieser Plüschanhänger, kann einen Mann mit einer so großen Sammlung noch reizen, wenn sich Sahnestück an Goldstaub reiht? Da gäbe es schon etwas: Das Aluminiumrad von Diamant aus den 1920er-Jahren fällt Erdi schon ein, und er sagt lachend: „Das wäre was, wenn ich das hätte, würde ich wahrscheinlich sofort mit dem Sammeln aufhören“. Und auch ein Diamant-Rennrad, Baujahr 1967, das sogenannte „Berufsfahrermodell“, ist etwas, was der Fahrradkonservator noch auf der Wunschliste hat und aus schlechtem Zustand zu gern wieder zum Leben erwecken würde.

    Alle nötigen Griffe gehen schnell von der Hand, wenn man so firm ist, wie Christian Erdmann.
    Alle nötigen Griffe gehen schnell von der Hand, wenn man so firm ist, wie Christian Erdmann. © Funke Medien Thüringen | Marco Schmidt

    Mit historischem Fahrrad im Feld der Deutschlandtour

    Überhaupt sträubt er sich gegen das Wort restaurieren. Dafür dürfte er nur mit zeitgemäßen Originalteilen arbeiten. So gut es geht und es die Flohmarkt-Funde hergeben, macht Erdi das auch. Aber wenn mal nichts Passendes da ist, müssen eben auch Schräubchen und Metallteile aus anderen Jahrgängen herhalten, um die Drahtesel wieder fahrtüchtig zu machen. Sogar bei der Deutschlandtour 2022 ist er 50 Kilometer mit einem der alten Räder mitgefahren. „Ich hatte keine Chance, aber auf gerade Strecke hab ich die Gruppe gekriegt“, erinnert er sich an das Spektakel.

    Zwei-Räder für Sport, Freizeit und sogar das Militär

    Abseits der Sporträder hat Erdi bei mehr als 150 Fahrrädern natürlich auch exotische Stücke in petto. Militärräder und Klappräder zum Beispiel. Ein Paradies für Menschen, die sich beim Betrachten vielleicht auch an die Räder ihrer Jugend erinnern. Diese Ausstellung der Fortbewegungsgeschichte würde sicher viele Interessierte anlocken. Damit in die Öffentlichkeit gehen möchte Erdi dennoch nicht „Es ist ja mein Rückzugsort und so soll das auch bleiben“. Wenn es jedoch mal einen passenden Anlass geben würde, könnte er sich vorstellen, vielleicht einmal eine kleine Gruppe in sein Reich einzulassen.

    Bis das jedoch soweit ist, wird er weiterhin allein in seiner Werkstatt sein, Pedale erneuern, Lenker ausrichten und Schrauben festdrehen. Und in den Pausen vermutlich auch die ein oder andere Schallplatte abspielen, wenn er es sich auf einem seiner Sessel in „Ritter Rosts Reich“ gemütlich macht.

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