Sevilla. Die deutsche Nationalmannschaft ist im letzten Nations-League-Gruppenspiel gegen Spanien mit 0:6 unter die Räder gekommen.

Um 22.34 Uhr war der historische Abend vorbei. Mit sage und schreibe 0:6 hatte die deutsche Nationalmannschaft an einem denkwürdigen Abend gerade gegen Spanien verloren. Es war eine Demütigung von der ersten bis zur letzten Minute – und die höchste Niederlage einer DFB-Auswahl seit 1931, als Deutschland in Berlin ebenfalls mit 0:6 gegen Österreich verlor. „Heute lief einfach ganz nichts bei uns. Wir hatten keine Chance“, bilanzierte Serge Gnabry.

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Ganz unabhängig von der geschichtsträchtigen Pleite durfte man den Auftritt der deutschen Mannschaft in Sevilla schon vor dem Anpfiff als – vorsichtig formuliert – ungewöhnlich bezeichnen. Nachdem beim 3:1-Sieg am Sonnabend noch mehr als 40 Zeitungsjournalisten in Leipzig gewesen waren, waren am Dienstagabend im Corona-Hotspot Sevilla gerade einmal drei Fotografen und ein „Bild“-Zeitungsreporter vor Ort. Auch diese Redaktion, die für die Partie akkreditiert gewesen wäre, entschied sich aufgrund der dramatischen Zahlen der Region gegen eine Reise nach Südspanien und somit für die ungewöhnliche Form des TV-Spielberichts. Doch außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. In Andalusien waren am Vortag 22 Todesfälle und mehr als 2000 Neuinfektionen gemeldet wurde, Sevilla wies zuletzt einen Inzidenzwert von mehr als 500 auf.

Alle Corona-Tests vor der Partie negativ

Immerhin: Anders als beim Spiel gegen die Ukraine, als im Vorfeld vier Spieler und ein Betreuer und im Nachhinein weitere vier Fußballer positiv getestet wurden, fielen vor Deutschlands Spiel in Spanien auf beiden Seiten alle Corona-Tests negativ aus. Während die Partie der Ukraine in der Schweiz gestern abgesagt wurde, wurde an Deutschlands Spiel im Estadio Olímpico de La Cartuja nicht gerüttelt. „Als Trainer bin ich natürlich froh, dass unsere Spiele stattfinden konnten“, sagte Bundestrainer Löw. „Aber hundertprozentig Sicherheit gibt es nie.“

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Das musste die deutsche Defensive in Sevilla auch auf dem Platz ziemlich schmerzvoll erfahren. Von der ersten Minute an setzten die Gastgeber ihre Gäste unter Druck – und hätten nach nicht einmal fünf Minuten einen Elfmeter zugesprochen bekommen müssen. Ilkay Gündogan hatte Dani Olmo klar im Sechzehner gefoult, doch der schwedische Schiedsrichter Andreas Ekberg verlegte den Tatort um einen halben Meter an die Strafraumgrenze.

DFB-Elf wird von Spaniern durchgeschüttelt

Nach einer guten Viertelstunde hatte das Löw-Team weniger Glück. Nach einer Ecke des kurz zuvor eingewechselten Ruiz Fabian nutzte der 1,89 Meter große Alvaro Morata seinen Größenvorteil zu Serge Gnabry (1,75 Meter) und köpfte unbedrängt zum 1:0 ein (17.). Der Unterschied zwischen Morata und Gnabry war groß, der Unterschied zwischen Spanien und Deutschland war größer – und er wurde noch riesig.

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Die DFB-Auswahl, die gegen die Ukraine durchaus zu gefallen wusste, wurde von La Furia Roja, der roten Furie, regelrecht durchgeschüttelt. Zunächst wurde ein zweiter Treffer Moratas aufgrund einer hauchdünnen Abseitsposition noch abgepfiffen (23.), doch wenig später konnte kein Linien- oder Hauptschiedsrichter mehr helfen. Nachdem Leipzigs Dani Olmo zunächst an die Latte köpfte, zeigte der herausragende Ferran Torres keine Gnade und drosch den Abpraller zum 2:0 ins Tor (33.).

ARD-Experte Bastian Schweinsteiger schimpft zur Pause

Doch es sollte noch schlimmer kommen. Deutschlands Hintermannschaft spielte nun das fröhliche „Wer hat noch nicht? Wer will noch mal?“-Spiel und ließ diesmal den 1,90 Meter großen Rodrigo nach einer weiteren Ecke unbedrängt zum 3:0 einköpfen. (38.). Was für ein Debakel! Das Torschussverhältnis zu diesem Zeitpunkt: 12:1 für Spanien.

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Das Halbzeitfazit von ARD-Experte Bastian Schweinsteiger fiel en tsprechend vernichtend aus: „Das war nichts!“ Noch nie in der 14-jährigen Ära Löw hatte Deutschland nach 45 Minuten mit 0:3 zurückgelegen. Doch so desaströs der Weltmeister von 2014 auch auftrat, so überragend spielte natürlich der Weltmeister von 2010. „Die erste Halbzeit war ein Kunstwerk für sich“, schwärmte ARD-Kommentator Tom Bartels.

Ferran Torres mit drei Toren

Und die schlechte Nachricht für Löw und Co.: Die spanischen Künstler hatten nach 45 Minuten noch lange nicht genug. Direkt nach dem Wiederbeginn hätte der bärenstarke Olmo auf 4:0 erhöhen musste, wurde aber von Deutschlands neuem Rekordnationaltorhüter Manuel Neuer im letzten Moment gestoppt. Wenig später war aber auch der bedauernswerte Neuer machtlos, als gleich drei Spanier auf ihn zuliefen. Schließlich war es erneut Manchester Citys Ferran Torres, der zum 4:0 vollendete (55.). Wenig später machte er sogar noch den Dreierpack perfekt: Sein dritter Treffer (72.) blieb nicht der Schlusspunkt eines unvergesslichen Abends. Mikel Oyarzabal legte nach. Um es kurz zu machen: Es war eine fußballerische Hinrichtung.

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Die Diskussion um Bundestrainer Löw, die durch ein Interview Oliver Bierhoffs mit der FAZ bereits am Vortag für Wirbel gesorgt hatte, dürfte nach diesem Auftritt noch einmal an Fahrt aufnehmen. „Den Weg, den der Bundestrainer eingeschlagen hat, gehe ich bis einschließlich der EM mit!“, hatte der DFB-Direktor gesagt, ehe er in der ARD zurückruderte: „Ich bin von Jogi voll überzeugt und sehe, wie er diese junge Mannschaft wieder auf deinen neuen Weg bringt“, relativierte Bierhoff. Doch da war das Kind längst in den Brunnen gefallen. Die „Bild“-Zeitung titelte am Dienstag: „Alles spricht für Löws Abschied“.

Am späten Abend verabschiedete sich Löw tatsächlich – zunächst aber nur vom Länderspieljahr 2020. Von acht Spielen hatten er und seine Mannschaft zwar nur ein einziges verloren, doch diese 0:6-Klatsche von Sevilla dürfte bis ins Jahr 2021 nachwirken.