Doha/Al-Ruwais. Deutschland spielt als haushoher Favorit gegen Außenseiter Costa Rica um den Einzug ins Achtelfinale. Ein Duell, das Erinnerungen weckt.

Wer die Augen ganz, ganz fest zusammenkniff, der hätte meinen können, dass da Toni Kroos saß auf dem Podium des Medienzentrums der deutschen Nationalmannschaft bei Al-Ruwais. Ein Mann mit blonden Haaren, der mit einem Ruhepuls von geschätzt 40 betont unaufgeregte Dinge ins Mikrofon sprach. „Wir haben ein 1:1 gegen Spanien rausgeholt, das ist gut, aber es ist eben immer noch ein 1:1“, sagte der blonde Mann. „Das gibt Energie, aber noch ist nichts vollbracht.“

Die Stimme allerdings verriet, dass da nicht Toni Kroos auf dem Podium saß, und wer die Augen öffnete, der erkannte Niklas Füllkrug. Den Stürmer von Werder Bremen, der fußballerisch nicht allzu viel gemein hat mit dem Mittelfeldspieler von Real Madrid. Wobei, eine Sache gibt es da seit kurzem doch: Beide haben ein Tor erzielt, das das Potenzial zu einem Wendepunkt hat.

Kasan steht für eine große Schmach im deutschen Fußball

Bei Füllkrug war es am Sonntag der Ausgleich gegen Spanien, der die Ausgangslage vor dem abschließenden Gruppenspiel gegen den Außenseiter Costa Rica an diesem Donnerstag (20 Uhr/ARD) aussichtsreich erscheinen lässt: Ein Sieg mit zwei Toren Unterschied reicht sicher, wenn Japan nicht gegen Spanien gewinnt. Bei Toni Kroos war es 2018 ähnlich, sein später Siegtreffer zum 2:1 gegen Schweden stieß die Tür zum Achtelfinale weit auf. Jetzt musste man nur noch Südkorea weghauen. Das Ende ist bekannt, der Spielort Kasan steht längst als Stätte großer Schmach in den deutschen Fußballannalen.

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Auch 2022 droht unverändert das Aus, wenn man nicht gewinnt. Aber Katar ist nicht Kasan, das zeigt sich schon in den Protagonisten Kroos und Füllkrug. Ersterer war 2018 hinabgestiegen aus dem Olymp, um den Normalsterblichen den Weg zum Titel zu weisen – mit dieser Haltung zumindest trat er auf, die Laufarbeit auf dem Platz überließ er anderen. Füllkrug dagegen ist den Niederungen der 2. Bundesliga entwachsen, er ist schon glücklich, in Katar überhaupt dabei zu sein und er stellt keine Ansprüche.

Eine andere Art, Führungsanspruch zu untermauern

Im Mittelfeldchef manifestierte sich damals einer der Konflikte, die diese Mannschaft zerrissen: 2017 war eine junge deutsche Auswahl mit erfrischendem Fußball zum Confed-Cup-Sieg gestürmt. 2018 beim Turnier aber registrierten Serge Gnabry, Leon Goretzka und Co. mit einigem Missmut, dass Bundestrainer Joachim Löw lieber auf Bewährtes setze, dass die alte Garde um Kroos weiter das Kommando schwang, ohne diesen Anspruch mit Leistung zu unterfüttern. „Da konnte man schon stärkere Spannungen spüren zwischen jüngeren und älteren Spielern“, räumte Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff später ein.

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Elf Spieler von 2018 sind noch dabei, Spieler wie Joshua Kimmich, Ilkay Gündogan, Leon Goretzka und natürlich die 2014er Weltmeister Manuel Neuer und Thomas Müller. Auch sie erheben einen Führungsanspruch, untermauern diesen aber ganz anders: „Ich sehe meine Rolle darin, Informationen mit den Mitspielern zu teilen“, sagt Müller. „Und dann geht es um Leistungsbereitschaft, wieviel man investieren muss, um erfolgreich zu sein – das will ich vorleben.“ Und als Müller auch im zweiten Gruppenspiel für den Mittelstürmer Füllkrug weichen musste, schmollte er nicht etwa, sondern feierte den Torschützen als „geile Sau“.

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Es gibt viele solcher Szenen im Teamquartier, Frotzeleien bei Pressekonferenzen, gemeinsames Basketballspiel und viele Respektbekundungen, die den Eindruck vermitteln: Die Stimmung in der Mannschaft stimmt. Aber damit allein gewinnt man keine Spiele. „Das Zwischenmenschliche ist wunderbar, aber das hilft nur zu einem kleinen Prozentsatz auf dem Platz“, meint Müller. „Die Dinge, die auf dem Platz passieren, sind am wichtigsten – nicht, ob man nach dem Essen noch zusammensitzt und sich Witze erzählt.“

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Dieses Mal gab es zwar die Debatte um die One-Love-Binde. Aber davon scheint das Binnenklima weit weniger belastet als 2018, als die Debatte um Ilkay Gündogan, Mesut Özil und ihre Fotos mit dem türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan die Mannschaft spaltete – einer von vielen Rissen verlief auch zwischen den Spielern mit Migrationshintergrund, wie Jerome Boateng und Sami Khedira, und dem Rest der Mannschaft. Je länger die Debatte lief, desto stärker wurden die Spannungen.

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Und Löw ließ das Thema laufen, wie der zunehmend entrückte Bundestrainer überhaupt so vieles laufen ließ vor und während des Turniers. Die unbefriedigenden Testspiele, der fehlende Antrieb? Würde sich schon einruckeln während des Turniers. Tat es bekanntlich nicht und so folgte dem miserablen Auftritt gegen Mexiko (0:1) nur ein geringfügig besserer gegen Schweden (2:1) und dann der Totalzusammenbruch gegen Südkorea (0:2).

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2022 sieht der Fußball besser aus, eine gute Stunde spielte die Mannschaft gegen Japan sehr ordentlich auf, bis der unerklärliche Einbruch folgte. In der Partie gegen Spanien zeigten beide Mannschaften ein Niveau, das man bei diesem Turnier noch nicht oft gesehen hat – und auch der Spielverlauf machte Mut: „Der späte Ausgleich war sehr wichtig war und hat uns Auftrieb gegeben“, berichtet Lukas Klostermann. Und seinem erfahrenen Kollegen Müller macht es Hoffnung, „wie wir es geschafft haben, nach dem Japanspiel die Dinge umzusetzen, die die Trainer angesprochen haben, obwohl wir nicht viel Zeit hatten“.

Er hat den Tiefpunkt 2018 ja erlebt, genau wie den Titelgewinn 2014 und die junge Sturm-und-Drang-Mannschaft, die 2010 die Welt begeisterte. Vergleiche ziehen aber mag er nicht, schon gar nicht mit dem Debakel 2018. Dass die Stimmung besser ist, das hat er durchklingen lassen, aber die Erfahrung hat den 33-Jährigen vorsichtig gemacht. „Die Geschichten werden ja immer hinterher geschrieben, nicht vorher“, sagt er. Und deswegen kann man auch erst am Donnerstagabend, nach dem Spiel gegen Costa Rica, ganz sicher sein, dass Katar nicht doch das neue Kasan ist.