Wolfsburg/Berlin. Im Abstiegskampf setzen Hertha BSC und Trainer Jürgen Klinsmann ganz auf Sicherheit. Das ist nicht schön anzusehen und verträgt sich auch schwer mit den großen Ambitionen dieses Clubs. Aber es ist für den Moment erfolgreich.

Visionen und Wirklichkeit passen bei Hertha BSC noch nicht recht zusammen. Das sehen die Berliner jeden Tag beim Blick auf die Tabelle. Das gilt aber auch für die Art und Weise ihres Spiels.

Die Champions League soll in Zukunft der Anspruch sein, nur aktuell wühlt sich das Team von Trainer Jürgen Klinsmann noch sehr graumäusig durch den Abstiegskampf der Fußball-Bundesliga. Der 2:1 (0:0)-Sieg beim VfL Wolfsburg war ein "unglaublich wertvoller Dreier" (Klinsmann), bei dem der Berliner Dodi Lukebakio in der 90. Minute genau dort stand, wo ein Mittelstürmer stehen muss. Lange Zeit sah das Spiel der Hertha aber so passiv aus, als brauche man dafür gar keinen Stürmer.

"Dieser Abstiegskampf ist eine ganz enge Kiste", sagte Klinsmann am Morgen nach dem Spiel. "Dafür braucht man einen kleinen Baustein nach dem anderen. Wir müssen noch viel mehr Punkte holen, um uns von unten zu entfernen und uns in der Tabelle Luft zu verschaffen."

Zur Wahrheit gehört eben auch: Der frühere Bayern- und Bundestrainer hat zumindest für diese Saison nie etwas anderes versprochen als das, was nun Woche für Woche an Sicherheitsfußball zu sehen ist. "Du musst dich der Situation anpassen, in der du bist. Und unsere Situation ist prekär", sagte der 55-Jährige. "Die Jungs nehmen das an. Es ist ein Realitätsbewusstsein da - bei der Hertha und in Berlin."

Als Trainer des FC Bayern ist Klinsmann vor zehn Jahren immer vorgeworfen worden, keine Strategie zu haben. Als Trainer der Hertha hat er nun eine, die zwar nicht alle offensiven Potenziale dieses Kaders ausschöpft, die aber zumindest für den Moment mehr recht als schlecht funktioniert. Als der Weltmeister von 1990 Ende November in Berlin übernahm, lag sein Team noch neun Punkte hinter dem Europa-League-Teilnehmer aus Wolfsburg. Seit diesem Wochenende sind es nur noch zwei, weil Lukebakio (90.) und Jordan Torunarigha (74.) den Treffer des VfL durch Admir Mehmedi (68.) noch spät konterten.

Was diese Strategie ab dem Sommer wert ist, ist eine andere Frage. Ob Klinsmann dann weiter Trainer sein wird oder ob er das Projekt "Big City Club" in einer anderen Funktion vorantreibt, ebenfalls.

Erst einmal stehen noch die Verpflichtung eines Stürmers, gleich zwei Spiele in nur fünf Tagen gegen Schalke 04 (Bundesliga und DFB-Pokal) sowie die Behebung einer Kommunikationspanne an. Noch am Freitag hieß es: Das Training ist für Fans und Medien in Zukunft nur noch 20 Minuten offen. Am Sonntag sprach Klinsmann von einem Missverständnis und stellte klar: Kein Anhänger werde ausgesperrt. Nur das Filmen der Einheiten ist nach 20 Minuten nicht mehr gestattet.

Ähnlich schwer tat sich Herthas Norweger Per Ciljan Skjelbred, als er nach dem Spiel in Wolfsburg den Siegtorschützen Lukebakio würdigen wollte. "Wie soll ich ihn nennen? Der fliegende Holländer? Der belgische Holländer? Das passt alles nicht", sagte Skjelbred und lachte. Lukebakio ist Belgier, erst 22 Jahre jung und so talentiert, dass er Hertha aktuell im Abstiegskampf und später vielleicht sogar auch in der Champions League weiterhelfen könnte.