Al-Chaur. Nach dem Japan-Spiel zeigt sich Deutschland gegen Spanien stark verbessert. Durch das 1:1 hat das Flick-Team alles selbst in der Hand.

Hansi Flick hielt in den letzten Minuten nicht mehr viel auf seiner Bank. Der Bundestrainer, dem Anlass entsprechend schick im schwarzen Anzug angezogen, ging hin und her und her und hin. Flicks Einsatz in der sogenannten Coachingzone sollte sich auszahlen. Die deutsche Nationalmannschaft erkämpfte sich ein 1:1 in einem hochklassigen Spiel gegen Spanien – und kann damit nach 2018 das erneute Vorrundenaus doch noch verhindern.

Deutschland hat dank Japan-Patzer noch alle Chancen

Schon vor Deutschlands unerwarteten Remis im Schicksalsspiel gegen Spanien hat es ein wahrscheinlich noch viel unerwarteteres Ergebnis gegeben, das Deutschlands Schicksal bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft doch noch einmal mitbeeinflussen könnte. Zehn Stunden vor dem 1:1 gegen Spanien hatte Costa Rica völlig überraschend 1:0 gegen Deutschland-Bezwinger Japan gewonnen. Die Ausgangslage für die deutsche Mannschaft vor dem Abschlussspiel gegen Japan-Besieger Costa Rica am Donnerstag (20 Uhr/ARD) ist nun ziemlich klar, zumindest fast: Spielen Spanien und Japan im Parallelspiel am Donnerstagabend Unentschieden, müsste die DFB-Auswahl gegen die Los Ticos erneut in Al-Chaur mit zwei Toren Vorsprung gewinnen, um sicher als Gruppenzweiter hinter Spanien weiterzukommen. Bei einer Niederlage Japans würde jeder Sieg gegen den 31. der Weltrangliste genügen. Gewännen aber die Asiaten, bräuchte Deutschland einen Kantersieg gegen Costa Rica, um noch an Spanien vorbeizuziehen – die hatten die Mittelamerikaner im Auftaktspiel 7:0 geschlagen. Sicher ist also vorerst nur eines: Deutschlands Fußball-Mathematiker werden in den kommenden Tagen wieder gefragt sein.

Gefährlich: Manuel Neuer lenkt einen Schuss von Dani Olmo an die Latte.
Gefährlich: Manuel Neuer lenkt einen Schuss von Dani Olmo an die Latte. © firo

Doch am späten Sonntagabend im Al Bayt Stadion hatte zunächst einmal nicht der Mathe- sondern der Fußballlehrer Hansi Flick das Sagen. Der 57-Jährige hatte sich die teils beißende Kritik aus der Heimat zu Herzen genommen und seine Startelf auf mehreren Positionen umgestellt. Wie erwartet musste Nico Schlotterbeck auf die Bank, dafür rückte Thilo Kehrer in die Defensive. Im Sturm musste Kai Havertz Platz machen, Ilkay Gündogan rotierte auf die Zehn, Leon Goretzka kam erstmals von Beginn an rein. In der höheren Fußball-Mathematik bedeuteten Flicks Verschiebungen: zwei personelle, aber sechs positionsbedingte Änderungen im Vergleich zum 1:2 gegen Japan.

Doch Flicks Wunsch, Druck auf Spaniens Wunderkinder Gavi (18) und Pedri (20) zu bekommen, ging zunächst nur bedingt auf. In der Anfangsviertelstunde hatten das Flick-Team, das fast über den ganzen Platz auf Manndeckung setzte, gerade einmal 21 Prozent Ballbesitz – so etwas ist einer deutschen Mannschaft wohl noch nie passiert. Und Luis Enriques Lausbuben wussten mit dem Ball durchaus etwas anzustellen. So dauerte es nicht einmal sieben Minuten, ehe Manuel Neuers Flugkünste ein erstes Mal gefragt waren. Der Bayern-Keeper konnte den Schuss von Leipzigs Dani Olmo aber in höchster Not noch an die Latte lenken.

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Je länger die Partie allerdings dauerte, desto mehr traute sich die DFB-Auswahl zu. Serge Gnabrys Schuss ging knapp neben das Tor (25.), Antonio Rüdigers Kopfball landete nach einem Kimmich-Freistoß sogar im Tor (40.). Einziger Haken: Der niederländische Videorichter Pol van Boekel erkannte das hochdünne Abseits.

Nach 45 Minuten staunten die rund 1500 Deutschland-Fans, die am ersten Advent in Al-Chaur dabei waren, nicht schlecht. Spaniens Tiki-Taka-Rasselbande hatte zwar beeindruckende 362 Pässe gegenüber 174 deutschen Pässen gespielt – doch die entscheidenden Ziffern flimmerten auf den beiden Videoleinwänden auf: Null zu null.

Antonio Rüdiger kommt zum Kopfball und trifft. Der VAR nahm das Tor für Deutschland wenige Augenblicke später zurück.
Antonio Rüdiger kommt zum Kopfball und trifft. Der VAR nahm das Tor für Deutschland wenige Augenblicke später zurück. © AFP

Bundestrainer Flick, der am Vorabend schwer genervt von der Fifa war, weil er für die 22-minütige Abschlusspressekonferenz 110 Kilometer hin und zurück fahren musste, hatte am Sonntagabend zunächst einmal nichts zu meckern – auch nicht nach dem Wiederanpfiff der zweiten Halbzeit. Die deutsche Mannschaft kam gut aus der Kabine und hatte durch Joshua Kimmich sogar die erste Großchance des Spiels (56.). Erstaunlich: Nach dem Chancen-Feuerwerk gegen Japan konnten sich die 68.895 Zuschauer zwar kaum über Tormöglichkeiten freuen, dafür aber über ein verdammt gutes Fußballspiel.

Ein hübsch anzusehendes Fußballspiel, das aber eine Wendung nahm, als Spanien mit Alvaro Morata eine echte Nummer neun einwechselte. Und dieser Vollblutstürmer brauchte tatsächlich auch nur acht Minuten auf dem Platz, um mit seiner gefühlt ersten Ballberührung das Tor zu erzielen, auf das ein Großteil des Stadions gehofft hatte (62.).

Niclas Füllkrug trifft und erlöst Deutschland

Deutschland stemmte sich nun mit allen Kräften gegen die Niederlage – und wurde belohnt. Der wenige Minuten zuvor eingewechselte Niclas Füllkrug nutzte eine Vorarbeit des starken Musialas und machte das, was ein Stürmer eben macht (83.). In der Nachspielzeit hatte der eingewechselte Leroy Sané sogar das Siegtor auf dem Fuß. Der Rest war Jubel – und Hoffnung. Costa Rica sei Dank.