Berlin. Politiker, Unternehmer, Gastronomen – sie alle standen offenbar in Kontakt mit „Paidlikes“. Die Firma schafft künstliche Beliebtheit.

Sie sind eine wichtige Währung in der modernen Vermarktung, Indikator für (Un-)Beliebtheit eines Unternehmens. Likes, Herzen, hochzeigende Daumen und „Gefällt mir“-Angaben offenbaren in den sozialen Netzwerken, was den Besuchern gefällt.

Schon länger ist dabei bekannt, dass Unternehmen das zum Geschäft gemacht haben: Ohne großen Aufwand finden sich online Angebote, sich schnell und unkompliziert Likes zu kaufen. Eine Recherche von NDR, WDR und „Süddeutsche Zeitung“ zeigt nun, wie umfassend dies auch in Deutschland geschieht.

Konkret geht es um einen Datensatz der Firma „Paidlikes“, also „bezahltes Gefällt Mir“, aus Magdeburg, die dem Redaktionsteam vorliegt. Und knapp 90.000 Fanseiten listet, die irgendwie in Kontakt mit dem Anbieter gestanden haben sollen oder noch stehen. Betroffen sind demnach die Seiten von Politikern, Parteien, Unternehmen und Prominenten bei Facebook, Instagram, Google und Youtube.

Der Auswertung zufolge profitierten Politiker und Verbände aller politischen Parteien von manipulierten Likes:

  • Die FDP ließ demnach 17 Mal klicken, die SPD 16 Mal. Die CDU 13 Mal, die AfD 12 Mal. Und je dreimal die Grünen und die Linke
  • Insgesamt geht es um 29 Orts- und Kreisverbände, fünf Landesverbände sowie zehn Landtagsabgeordnete und einen Bundespolitiker
  • Die Bundesgeschäftsstellen der Parteien erklärten, Likes kaufen sei nicht in ihrem Interesse
  • Viele der angefragten Orts- und Kreisverbände erwiderten gegenüber des Rechercheverbundes, sie könnten sich den mutmaßlichen Like-Kauf nicht erklären
  • Das jüngste Mitglied des Bundestags, der 27-jährige Roman Müller-Böhm von der FDP, hat seit 2018 mutmaßlich für rund 40 Beiträge auf Facebook und Instagram Likes gekauft. Eine Anfrage dazu habe er nicht beantworten wollen

Paidlikes: Fake-Begeisterung für Politiker und Unternehmen?

Auf der Website von Paidlikes wirbt das Unternehmen mit dem schnellen, einfachen Geld. Wer sich mit seinem eigenen Facebook-Profil registriere, könne loslegen: Klicken, liken, einen bis ein paar Cent verdienen. Auf dem Twitter-Account der Firma wird dann auch damit geworben, wie viel bestimmte Teilnehmer ausgezahlt bekommen haben. So hat etwa ein Dennis 100 Euro verdient, eine Irina 30,60 Euro.

Seit Jahren gibt es ein derartiges Geschäft, allerdings barg dies anfangs einen Fallstrick: Mit bewusst abgelegten Profilen wurden, nicht selten in asiatischen Ländern, innerhalb kürzester Zeit auf Bestellung viele Tausend Likes auf gewünschte Seiten abgelassen.

Das Problem: Es lässt sich einfach nachvollziehen, woher die Likes kommen – und wenn eine deutsche Veranstaltung plötzlich 17.000 potenzielle Teilnehmer aus Indien hat, ist das zumindest irritierend. Oft sind die Likes dann auch von Personen mit Profilen, die kaum eigene Follower haben, gern auch gesperrt sind, also nicht einsehbar.

„Gefällt mir“-Angaben sollen Vertrauen schaffen

Die Taktik von Firmen wie „Paidlikes“ ist anders, reale Menschen statt Fake-Prodfile sollen Like-Anhäufungen produzieren. Das ist dann für andere glaubwürdiger – und Glaubwürdigkeit gepaart mit Beliebtheit im Marketing unbezahlbar.

Laut der Liste gehören jene, die mutmaßlich in Kontakt mit dem Unternehmen standen

  • kleine und mittelständischen Unternehmen wie Fastfood-Restaurants eine Autohausgruppe, ein Kinderwunschzentrum und ein Singlebörsen-Vergleich
  • Dazu kommen Influencer, die mit der Präsentation von Produkten bei Youtube oder Instagram Geld verdienen (wollen)

Die meisten der von den drei Medien angefragten mutmaßlichen Kunden sagten laut einer Mitteilung der drei Redaktionen, sie könnten sich die meist hundertfachen Like-Käufe über mehrere Jahre hinweg nicht erklären. Wenige gaben eine Manipulation zu. Paidlikes sagte laut des Rechercheverbundes, es habe teilweise auch auf eigene Faust Unternehmen ausgewählt, denen ein Like-Regen zuteil wurde.

Verstoßen Firmen gegen Wettbewerbsrecht?

Die auf Onlinerecht spezialisierte Rechtsanwältin Scarlett Lüning sieht laut des Artikels zu Paidlikes in den Käufen von Unternehmen und Influencern einen möglichen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht, spricht von Irreführung, da eine Popularität vorgegaukelt werde, die es nicht gebe. Damit glaube der Kunde an eine möglicherweise nicht existierende Qualität des Produkts.

Auch Tobias Schmid, Direktor der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen, sieht demnach Irreführung, die gerade im Bereich Politiker die Meinung im öffentlichen Raum manipuliere.

„Wenn wir Anbieter und Accounts identifizieren, die anbieten, durch unechte Likes, Kommentare und Abonnenten die Popularität eines Accounts oder Profils zu vergrößern, entfernen wir diese“, sagte ein Facebook-Sprecher NDR, WDR und SZ. Nach der Anfrage habe man deshalb Paidlikes vorerst die technische Möglichkeit genommen, ihr Geschäftsmodell weiter zu betreiben.

Tatsächlich ist am Donnerstagmorgen nach der Veröffentlichung der Recherchen eine Anmeldung nicht möglich, es erscheint eine Fehlermeldung, dass ein Login nicht möglich sein.

Google und Facebook um Lösungen bemüht

Ein Google-Sprecher sagte mit Blick auf das zum Konzern gehörende Video-Portal Youtube, für das Paidlikes Videoaufrufe anbietet, man investiere weiterhin in Technologien, um die künstliche Aufblähung der Reichweite eines Videos zu verhindern.

Auch für Facebook, Youtube, Instagram und Twitter ist eine authentische Like-Anzahl bei den Seiten wichtig. Denn auch hier werden die Nutzer kritischer. Haben sie das Gefühl, man würde getäuscht, nimmt das Vertrauen in die Anbieter ab – das kann, passiert es im großen Stil, zu Image-Schäden führen. Das schreckt dann in der Folge Werbekunden ab. Und das Geld aus der Werbung ist für die betroffenen Digital-Unternehmen weiterhin wichtigste Einnahmequelle.

Unternehmen wehrt sich – kein Zwang, zu liken

Das Magdeburger Unternehmen widersprach in einer Stellungnahme an die drei Redaktionen allen Vorwürfen. Den Vorwurf des Betruges könne das nicht nachvollziehen. „Der nachhaltige Aufbau von neuen Fans, Followern oder Reichweite ist nicht als unlauter zu werten, da die Vergabe von sozialen Interaktionen auf Freiwilligkeit beruht“, heißt es in einer Stellungnahme von Paidlikes, die gegenüber dem NDR abgegeben wurde.

Auch wenn die Clickworker bezahlt werden, bestünde kein Zwang, irgendetwas zu liken. „Möchten sie aufgrund des dargebotenen Inhalts keine Interaktion abgeben, so können sie die Kampagne ausblenden“, heißt es weiter.

Mehr zum Thema Facebook

Nicht nur in Sachen „Likes“ werden soziale Netzwerke regelmäßig hinterfragt. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey will mehr Schutz für Kinder. Behörden haben die Portale ebenfalls im Blick – sie sollen Drohungen der Polizei melden. (ses)

  • TV-Tipp: Das ARD-Politmagazin „Panorama“ am Donnerstag, 19. Dezember, ab 21.45 Uhr im Ersten.