Berlin. Olaf Scholz gilt als klassischer Hanseat: steif und diplomatisch. Bei ProSieben punktete er überraschenderweise mit privaten Details.

Spätestens beim Kohleausstieg zeigte sich, dass Olaf Scholz nicht darauf aus war, von allen geliebt zu werden. Elf Tage vor der Wahl trat Scholz in der "ProSieben-Bundestagswahl-Show" auf.

"Wie wollen Sie meinen drei Kindern erklären", hatte Christoph Schmitz den SPD-Kanzlerkandidaten gerade herausfordernd gefragt, "dass sie durch ein so sinnloses Vorhaben erst ihren Hof, und dann auch noch ihre Zukunft verlieren?"

Schmitz durfte – als von der Klimapolitik der nächsten Bundesregierung direkt Betroffener – in der Sendung seine brennende Bürgerfrage stellen. Sein 800 Jahre alter Bauernhof, seit drei Generationen in der Familie, wird den Braunkohlebaggern von Garzweiler II. 2030 weichen müssen. Obwohl doch der Kohleausstieg so gut wie beschlossen sei, für nur acht Jahre später. Und obwohl wissenschaftliche Studien belegten, dass ein Umstieg auf ausschließlich erneuerbare Energien schon früher möglich wäre.

Scholz: Unbeirrt, aber nicht unberührt

"Da bin ich anderer Meinung", erklärte Olaf Scholz unbeirrt, aber nicht unberührt. "Ohne einen Zuwachs an Strom, werden wir den größten Umbau der Geschichte in so kurzer Zeit nicht ohne Schaden für die Industrie schaffen."

Diese benötige gigantische Mengen an Strom. Allein die Chemie-Industrie werde 2045 so viel Energie wie heute ganz Deutschland verbrauchen, führte er aus. Alles hänge jetzt davon ab, wie schnell "wir uns auf die Entscheidungen, die jetzt anstehen, einigen können und uns nicht länger davor drücken." Soll heißen: Neue Offshore-Windparks und Stromtrassen in Windeseile, dazu alle Gesetze, die den Ausbau beschleunigten.

Hoffnung, dass sein Bauernhof doch noch stehen bleiben könnte, könne er Schmitz leider nicht machen, fügte Scholz dann noch hinzu. Das war wohl ein klassischer "Scholzomat" – eine messerscharfe Analyse, vorgetragen ohne eine Spur von Charisma.

"Sie lassen sich auch als Klimakanzler plakatieren, ohne rote Ohren zu kriegen", ging Louis Klamroth, so enttäuscht von der Antwort wie der Fragesteller, den Vize-Kanzler direkt an. Es sollte nicht sein einziger Versuch bleiben, den SPD-Kanzlerkandidaten aus der Reserve zu locken. Der Moderator legte wesentlich mehr Aggressivität an den Tag, als noch in der Woche zuvor bei Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock.

Textbaustein: Wahlprogramme zur BundestagswahlTextbaustein: Wahlprogramme zur Bundestagswahl

Maximum an Lockerheit: Keine Krawatte

In weißem Hemd und grauen Anzug wirkte der gebürtige Hamburger nicht gerade wie zum Spielen aufgelegt. Dass Olaf Scholz ausnahmsweise auf eine Krawatte verzichtete, war das Maximum an Lockerheit, das er dem jungen ProSieben-Publikum im Berliner Studio anzubieten hatte. Der Sender zielt mit seiner Polit-Gameshow auf die unter 30-Jährigen, die bei dieser Bundestagswahl nur 15 Prozent der Wählerinnen und Wähler ausmachen.

Trotzdem kam Olaf Scholz insgesamt sympathisch rüber, gerade bei den "persönlich-politischen Fragen", mit denen der 31-jährige Klamroth dem "potenziell nächsten Regierungschef" auf den Zahn fühlen wollte: Als er noch "viele Locken" hatte und stellvertretender Juso-Vorsitzender war, wollte der SPD-Mann zum Beispiel Autoindustrie-Großunternehmen enteignen. Zumindest warb er dafür in den 80er Jahren in einer ultralinken Zeitschrift mit langen, sperrigen Artikeln.

Olaf Scholz: 5 kuriose Fakten über den SPD-Politiker

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    Wie lange diese Zeiten her sind, belegt nicht nur die Frisur des heute 63-jährigen Scholz. Inzwischen hält er selbst die Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen für "ein ungeeignetes Mittel", um zu verhindern, dass "Mieten weiter durch die Decke" gehen.

    Stattdessen: "Wir müssen mehr Wohnungen bauen" – 400.000 pro Jahr, davon 100.000 Sozialwohnungen, entgegnete er auf die Frage von Jenny Stupka, Mitinitiatorin des Berliner Volksbegehrens "Deutsche Wohnen und Co. Enteignen", "und ein Mietenmoratorium für die Bestandsmieten durchsetzen". Lesen Sie dazu: Mietendeckel-Urteil – Warum der Bund jetzt handeln muss

    Kein Alkohol, dafür tägliches Fitnessprogramm

    Zufriedenstellend war auch diese Antwort nicht, mehr dafür die privaten Details des SPD-Kanzlerkandidaten aus seinem Wahlkampfalltag: Seit August letzten Jahres – seit er wusste, dass er von seiner Partei als Kanzlerkandidat ins Rennen geschickt würde – trinkt Olaf Scholz keinen Alkohol mehr, verriet er bereitwillig.

    Auch hält er sich körperlich fit, um die Strapazen des Wahlkampfs durchzustehen – mit Trockenrudern am heimischen Rudergerät, bei dem man "das Wasser plätschern hört." Fast so wie Frank Underwood in "House of Cards”, bemerkte Louis Klamroth, während er ein Wahlkampf-Foto in fast identischer Kameraperspektive präsentierte.

    Als wollte er irreführende Vergleiche mit dem skrupellosen Film-Politiker ersticken, beeilte sich Olaf Scholz zu versichern, dass er manchmal auch auf einem Potsdamer See ruderte, demselben, an dem Annalena Baerbock joggte. Getroffen habe er sie dort allerdings noch nie.

    Beide kandidieren im selben Wahlbezirk um das Direktmandat. "Wer holt’s?", wollte Louis Klamroth sofort wissen: "Ich glaube, ich", grinste der SPD-Mann breit und ergänzte: "Ich werbe tagtäglich dafür."

    Bei einer Frage windet sich Scholz

    Themen, die das Publikum besonders interessierten, gab es genug. Und zumindest in der Tinder-Statement-Runde kamen sogar die Antworten Schlag auf Schlag: Ob er für den kostenlosen ÖPNV sei? Nein, dafür aber für ein 365-Euro-Jahresticket. Fürs Tempolimit mit 130? Ja. Impfpflicht? Nein. Cannabis-Freigabe? Nur mit genauer Abgabekontrolle.

    War Hartz-IV ein Fehler? Darauf wollte der SPD-Spitzenkandidat partout nicht mit Ja oder Nein antworten, stattdessen verwies er auf das geplante Bürgergeld, das die gröbsten Systemfehler und Ungerechtigkeiten beseitigen solle, darunter für eine Gleichstellung der U-25-Jährigen beim Bezug sorgen.

    "Wäre Christian Lindner ein guter Finanzminister?", wollte Louis Klamroth dann noch zum Abschluss dieser Runde wissen. "Oder Robert Habeck ein besserer?" Das fand Olaf Scholz besonders lustig – wie viele Kandidaten sich ausgerechnet um sein derzeitiges Amt bewerben. "Habeck traut sich mehr zu", antwortete er diplomatisch. Ein Hinweis auf seine Präferenz, mit welcher Partei er lieber in eine Koalition gehen würde, sei das aber nicht.