Berlin. Ein Virologe kritisiert bei Lanz: Das RKI habe eine wichtige Coronavirus-Studie nicht durchgeführt. Nun macht er sie einfach selbst.

  • Die Geschwindigkeit des Anstiegs der Zahl der mit den Coronavirus-Infektionen hat sich in den vergangenen Tagen in Deutschland verlangsamt
  • Ist das ein Grund zur Entwarnung? Nein, sagt der Virologe Hendrik Streeck am Dienstagabend bei Markus Lanz im ZDF
  • Der Nachfolger von Christian Drosten als Direktor des Instituts für Virologie und HIV-Forschung an der Universität Bonn fordert deshalb eine Studie

Seit über einer Woche gelten in Deutschland nun wegen der Coronavirus-Pandemie Ausgangsbeschränkungen. Langsam deutet sich an, dass die Zahl der Infizierten nicht mehr so stark ansteigt wie zuvor. Ein Grund zum Aufatmen? Der Virologe Hendrik Streeck möchte die Statistiken lieber vorher auf Herz und Nieren prüfen.

Bei Markus Lanz erklärt der Leiter der Virologie am Bonner Universitätsklinikum, warum das aus seiner Sicht notwendig sei: „Wir reden sehr viel über Modellierungen. Bei diesen muss aber nur ein Faktor falsch sein und das Ganze fällt in sich zusammen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir jetzt Daten sammeln.“

Markus Lanz – das waren die Gäste:

  • Prof. Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie und HIV-Forschung an der Universität Bonn
  • Margot Käßmann, Theologin
  • Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung
  • Johannes Hano, Auslandskorrespondent in New York
  • Reinhard Merkel, Strafrechtler, Mitglied im Deutschen Ethikrat

Drosten-Nachfolger Streeck führt Corona-Studie in Heinsberg durch

Streeck, der dem bekannten Coronavirus-Experten Christian Drosten als Leiter der Bonner Virologie nachfolgte, führt zu diesem Zweck nun im Kreis Heinsberg eine Studie zu Sars-Covid-19 durch. Heinsberg gilt als das Epizentrum des Coronavirus in Deutschland.

In einer repräsentativen Stichprobe werde die Infiziertenzahl erhoben und Infektionswege dokumentiert. So soll zum Beispiel herausgefunden werden, welche Situationen typisch für eine Ansteckung sind, wo die größten Gefahrenherde lauern und wie hoch die Dunkelziffer der Corona-Infizierten tatsächlich ist. Lesen Sie hier: Coronavirus: So lange leben die Erreger auf Oberflächen

Da das Robert-Koch-Institut, die oberste Bundesbehörde für Infektionskrankheiten, solch eine Studie bisher nicht durchgeführt oder gar angedacht hätte, sähe er es als seine Pflicht als Virologe, nun das Ruder zu übernehmen: „So eine Studie muss gemacht werden, damit wir für die Politik – und auch für die Bürger – Antworten finden.“

Virologe: Restaurants und Friseure vielleicht unnötig geschlossen?

Denn gerade in der aktuellen Diskussion um „Shutdown“ und „Exit-Strategien“ sind belastbare Fakten besonders wichtig. „Es gibt zum Beispiel bisher keine Hinweise, dass Corona in Friseursalons oder Restaurants verbreitet wird“, sagte Streeck. Trotzdem sind die meisten Betriebe geschlossen. „Eng beieinander tanzen“ und ein Besuch beim Friseur haben nach aktuellem Stand eben nicht dasselbe Ansteckungsrisiko. Lesen Sie hier: Coronavirus: Wann werden die Corona-Regeln gelockert?

Hier müsse man nun Nuancen finden, meint Streeck, um in nicht allzu langer Zeit wieder ein normales öffentliches Leben zu ermöglichen. Viel wichtiger sei es auf lange Sicht, die besonders vulnerablen Menschen effektiv zu schützen, zum Beispiel mit wöchentlichen Corona-Tests für medizinisches und Pflegepersonal. „Die Gefahr ist groß, wenn dieses Virus ins Krankenhaus, ins Pflegeheim und ins Altenheim kommt“, sagte der Mediziner.

Marcel Fratzscher bei Lanz: Corona sorgt für „wirtschaftliche Katastrophe“

Groß ist auch die Gefahr, die vom Coronavirus für die deutsche und europäische Wirtschaft ausgeht. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, spricht von einer „Katastrophe“ mit einem „Rattenschwanz an Problemen“. Lesen Sie hier: Rezession wegen Coronavirus – Was das für die Bürger bedeutet

Gerade kleine Betriebe und Selbstständige könnten trotz staatlicher Hilfe nur wenige Wochen durchhalten. Und wer in Kurzarbeit nur noch ein Gehalt von 60 oder 70 Prozent erhält, kann sich damit kaum langfristig über Wasser halten. Lesen Sie hier: Coronavirus: Wie bekommt man die Hilfsgelder der Regierung?

Coronavirus-Krise- Was bedeutet eigentlich Kurzarbeit?

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    Fratzscher fühle sich aber unwohl beim Abwägen von Menschenleben und Gesundheit gegen finanziellen Schaden: „Denn ein gutes Gesundheitssystem braucht auch eine funktionierende Wirtschaft“, sagte der Ökonom. Man müsse nicht gegeneinander ausspielen, sondern eine Lösung finden, die für beide Seiten vertretbar sei. Nach sechs bis acht Wochen würden die Einbußen durch den Shutdown jedenfalls systemkritisch – das müsse vermieden werden.

    Markus Lanz: DIW-Präsident fordert Coronabonds

    Laut dem DIW-Präsidenten führt kein Weg an einem Konjunkturpaket nach der Krise vorbei. Außerdem müsse eine EU-Lösung in Form von „Coronabonds“ her: „Wir brauchen eine europäische Antwort. Nicht nur, um anderen Ländern wie Italien zu helfen, sondern auch uns selbst.“ Ein großer Teil des deutschen Wohlstands beruhe schließlich auf Produktionsketten und Exporten innerhalb der EU. Bisher zeigt sich die Bundesregierung von der Idee aber nicht angetan.

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