Stuttgart. Der Stuttgarter “Tatort“ mit dem Titel “Das ist unser Haus“ ist weniger ein Fernsehkrimi als eine wunderbar ironische Sozialstudie.

Endlich mal eine Leiche im Keller – in einem richtigen Keller, und nicht bloß im übertragenen Sinn. Und dann auch noch ganz ohne Zutun irgendwelcher italienischer Mafiosi, die ihre Opfer in Betonpfeilern zu entsorgen pflegen, wie man aus Spielfilmen weiß. Oder als nachgemachtes Ritual aus der Antike, wie bei „Antigone“ von Sophokles, die zur Strafe lebendig eingemauert werden soll, weil sie ihrem Vater nicht gehorchte.

Nein, in diesem "Tatort" handelt es sich einfach um eine an Genickbruch verstorbene Frau, die unter einem Mehrfamilienhaus gefunden wird. Ein Jahr zuvor erst erbaut, war das Fundament des Hauses nicht fachgerecht abgedichtet worden. Nun hatten die Mitglieder der alternativen Baugemeinschaft „Oase Ostfildern“ den Salat: Wasser im Keller. Und nachdem die Außenwand für die Sanierung geöffnet wird, auch noch eine unbekannte Tote. Lesen Sie auch: Warum das „Tatort“-Jubiläum Jörg Hartmann unter Druck setzte

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In diesem "Tatort" geht es um eine an Genickbruch verstorbene Frau, die unter einem Mehrfamilienhaus gefunden wird. © SWR/Benoit Linder

Der Traum vom gemeinschaftlichen Wohnen

Niemand kann sagen, wie die Frau in das Fundament gekommen ist. Tatsächlich ist das auch gar nicht so einfach: Ein Fundament verankert und trägt das komplette Bauwerk, in dem es sein Gewicht und die entstehende Belastung gleichmäßig auf den Untergrund verteilt. Zur Stabilität wird die Bodenplatte deshalb mit Moniermatten oder Monierstangen verstärkt, bevor der Beton verfüllt wird. Das Stahlgitter steht mitunter ziemlich eng. Da müsste man einen ausgewachsenen Körper schon sehr quetschen, um ihn noch dazwischen zu kriegen …

Aber, egal. In diesem wunderbar einfachen, unspektakulären Stuttgarter Krimi geht es sowieso mehr um die Lebenden. In erster Linie um die Bewohner des Hauses, die erst vor kurzem eingezogen sind, um den idealen Traum vom gemeinschaftlichen Wohnen zu leben. Rio Reisers gleichnamiges Häuserkampf-Lied zur Räumung von „Bethanien“ stand lediglich Pate für den Titel: „Das ist unser Haus“.

Von alleinerziehenden Vätern und Helikopter-Eltern

Mehr Sozialstudie als Krimi, nimmt das Drehbuch von Daniel Bickermann und Dietrich Brüggemann (auch Regie und Musik) vor allem die Vielfalt heutiger Lebensentwürfe süffisant-philosophisch bis schonungslos-liebenswert auf die Schippe. Beide haben auch schon die ausgezeichneten "Tatort"-Folge „Stau“ für das Stuttgarter Kommissar-Duo realisiert. Schwester Anna Brüggemann ist in einer Nebenrolle ebenfalls dabei: Sie spielt mit schwäbischem Charme eine überbesorgte Mutter.

So ziemlich alles, was heute an alternativen Lebensentwürfen gelebt werden kann, hat sich in diesem "Tatort" zu einer Art Kuschel-WG zusammengetan: Alleinerziehende Väter und Helikopter-Eltern. Alpha-Männchen, die mit „toxischer Männlichkeit“ gegeneinander ätzen. Frauen, die beseelt von Aura und Bauchgefühl, dagegenhalten. Dazu eine krisenerprobte Alt-68erinnen, die mütterlich wie ein guter Geist über allem schwäbelt.

Szene aus dem Stuttgarter
Szene aus dem Stuttgarter "Tatort" vom 17. Januar 2021. © SWR/Benoit Linde

Ein Physiotherapeut, spezialisiert auf Behandlung von Intercostalneuralgie, ist auch dabei. Diese Erkrankung kann unterschiedliche Ursachen haben, die sich aber durch ein massives Symptom bemerkbar machen: Starke (Nerven)Schmerzen im Bereich von Brust und Rücken, bis hin zu eingeschränkter Atmung oder gar Atemnot. Die angedeutete Massage, nach der man sich „wie neu geboren“ fühlt, ist nur eine von mehreren möglichen Therapieansätzen.

Alle sind ein bisschen durchgeknallt

Heilung ist sowieso ein großes Thema für die Hausgemeinschaft. Schließlich wollen sich alle möglichst gut fühlen. Das Erste, das ihnen einfällt, um den allgemeinen Hausfrieden wiederherzustellen, ist daher Cleansing: Ein spirituelles Reinigungs- und Heilungsritual, bei dem die feinstoffliche Energie eines Raumes oder Körpers von ihren schädigenden Teilen befreit wird – durch Einsatz von Räucherstäbchen, Klangschalen-Tönen oder schlicht: Klatschen.

Trotzdem bleibt die Tote wie ein „Elefant im Raum“: Die aus dem Englischen übernommene Redewendung bezeichnet ein Thema, das in einem Gespräch unbedingt vermieden wird und deshalb umso massiver im Raum steht. Der Begriff wird oft im Teamcoaching verwendet, um verdeckte Konfliktpotentiale aufzuspüren.

Währenddessen ermitteln die Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) auf die eher gute herkömmlich-bodenständig Art. Und klären auch schon mal eine Frage, die zuvor noch nie in einem Fernsehkrimi gestellt wurde: „Kann man abnehmen, wenn man tot ist?“ Keine Chance für eine alternative Diät, glücklicherweise: Die Kontur eines Körpers bleibt auch nach seinem Ableben erhalten.

Felix Klare und Richy Müller im
Felix Klare und Richy Müller im "Tatort". © SWR/Benoit Linder

In solider Beinarbeit befragen die Kommissare unabhängig voneinander Nachbarn und auch Angehörige von Vermissten, die für die Identifizierung der unbekannten Toten in Frage kommen könnten. Und selbst da gelingt das Kunststück, mit nur wenigen Dialogsätzen und Bildeinstellungen (Kamera: Andreas Schäfauer) ganze Lebenswelten zu eröffnen: Egal, wer wie oder mit wem zusammenlebt – alle sind irgendwie ein bisschen durchgeknallt. Und das in Stuttgart!

„Tatort: Das ist unser Haus“. ARD, 17. Januar, 20.15 Uhr